
Nordkorea: Pjöngjangs seltsames Raketenprogramm
Pjöngjangs Test-Drohung Nordkoreas rätselhaftes Raketenprogramm
Hamburg - Es sollte eine pompöse Demonstration militärischer Macht werden, doch im Nachhinein wurde es zu einer peinlichen Panne: Im April führte Nordkoreas Regime bei einer Parade gewaltige Interkontinentalraketen vor. Doch eine Fotoanalyse ergab, dass es sich dabei keinesfalls um funktionsfähige Waffen handelte - sondern um Attrappen. Nordkoreas Ingenieure, so spotteten Experten, könnten nicht einmal überzeugende Pappraketen bauen.
Die Episode war bezeichnend für Pjöngjangs Raketenprogramm: Was hinter der Fassade steckt, die Nordkoreas Regime in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat, weiß im Westen niemand genau. Ob der jetzt angekündigte erneute Test ein rein politisches Manöver oder Teil eines ernsthaften Technologieprogramms ist - auch dies ist unbekannt.
Der Münchner Raketenexperte Markus Schiller kommt jetzt in einer Analyse für die amerikanische Rand Corporation zu einem bemerkenswerten Urteil: Nordkoreas Raketenprogramm sei wahrscheinlich nicht mehr als ein Bluff. Das Hauptziel sei, als außenpolitisches Druckmittel zu dienen und die USA und Südkorea von einem Angriff abzuschrecken.
"Eher politische Waffe als ein militärisches Instrument"
Nordkorea soll bis zu 1000 Raketen besitzen. Allerdings basiert schon diese Zahl, die immer wieder genannt wird, nur auf unsicheren Schätzungen. Die meisten dieser Waffen sollen einstufige Kurz- und Mittelstreckenraketen sein, die auf der veralteten Technologie sowjetischer Scud-Geschosse basieren. Über ihre Verteilung und Einsatzfähigkeit ist wenig bekannt, allerdings gelten sie als relativ ungenau. Zwar könnten sie, abgeschossen in größerer Zahl, in Südkorea durchaus schwere Schäden verursachen. Doch ob Nordkorea auch andere Länder gefährden kann, ist fraglich.
So kann die "Nodong"-Mittelstreckenrakete theoretisch Japan erreichen und nach Ansicht von Experten mit einem Nuklearsprengkopf bestückt werden. Allerdings ist nicht nur unwahrscheinlch, dass Nordkorea eine Atombombe derzeit so weit verkleinern kann - sondern auch, ob die "Nodong"-Rakete zuverlässig und präzise genug wäre, um überhaupt für einen Einsatz in Frage zu kommen. Das renommierte International Institute for Strategic Studies (IISS) kommt zu einem klaren Urteil: "Angesichts ihrer geringen Anzahl und Genauigkeit ist die 'Nodong' wahrscheinlich eher eine politische Waffe als ein militärisches Instrument."
Das dürfte erst recht für die mehrstufigen Langstrecken- und Interkontinentalraketen Nordkoreas gelten, über die laut IISS noch weniger bekannt ist. Auf dem Papier etwa ist die "Taepodong-2" mit einer Reichweite von bis zu 6000 Kilometern in der Lage, die Westküste der USA zu erreichen. Doch Papier ist insbesondere in der Raketentechnologie geduldig: Als gesichert gilt nur, was in mehreren Versuchen funktioniert hat.
Zu wenige Tests für ernstzunehmendes Raketenprogramm
Genau das ist der Schwachpunkt von Nordkoreas Raketenprogramm: Würde Pjöngjang es ernsthaft verfolgen, wären regelmäßige Tests nötig - und die wären per Satellit leicht zu entdecken. Bisher aber hat Nordkorea ganze drei Versuche mit der "Taepodong-2" durchgeführt, die das Regime auch als "Unha-2" und -3 bezeichnet, wenn es sich um Satelliten-Trägerraketen handeln soll. Die Flüge fanden im Juli 2006, im April 2009 und im April 2012 statt - und jeder von ihnen geriet zum Fehlschlag, der letzte gar vor der internationalen Presse.
Der Münchner Fachmann Schiller hat für seine Studie nun die öffentlich zugänglichen Informationen über Pjöngjangs Raketenprogramm zusammengetragen und sie nach Verlässlichkeit gewichtet. Das Ergebnis: Ausgerechnet die gängigste Theorie - dass Nordkorea ein weit entwickeltes Raketenprogramm besitze, im Ausland gekaufte Raketen nachbauen und in großer Zahl einsetzen könne - sei die am wenigsten wahrscheinliche. Die besten Informationen sprächen dagegen für die Bluff-Theorie:
- Nordkorea hat nur eine sehr geringe Zahl von Test- und Trainingsstarts durchgeführt,
- die dabei eingesetzten Raketen hätten einen verdächtig hohen Zuverlässigkeitsgrad gezeigt,
- die Starts hätten nur an politisch bedeutsamen Tagen stattgefunden und sich nicht an Technologie- oder Trainingserfordernissen orientiert,
- im Ausland bekannte Raketenteile aus Nordkorea seien qualitativ minderwertig,
- nordkoreanische Scud-Raketen glichen sowjetischen Modellen bis ins kleinste Detail und trügen gar kyrillische Buchstaben,
- das "Nodong"-Triebwerk ist ein altes sowjetisches Design.
Nordkorea, argwöhnt Schiller, könnte bei bisherigen Tests vor allem zuverlässige, aber veraltete Sowjet-Raketen eingesetzt haben, um hohe Einsatzfähigkeit vorzutäuschen. Womöglich habe Pjöngjang bisher kein einziges selbst produziertes Modell erfolgreich getestet. Bei den exportierten Waffen würde es sich demnach um umetikettierte Sowjet-Ware handeln. Hinzu komme das mangelnde Training: "Die Mehrheit der nordkoreanischen Raketentruppen hat nie eine Rakete abgefeuert."
Zweifel dieser Art waren bereits nach dem letzten verpatzten Raketentest im April 2012 aufgekommen. Als auffällig bezeichneten Experten vor allem die Tatsache, dass es bei den Tests zu Fehlern immer neuer Art komme. Das deute darauf hin, dass die Nordkoreaner möglicherweise gar Rückschritte machten - weil sie nicht verstünden, was schief laufe, und ziellose Veränderungen vornähmen. "Ein Test alle drei Jahre ist viel zu wenig", sagte Raketen- und Militärexperte Robert Schmucker. Die nordkoreanischen Techniker müssten mindestens 30 bis 50 Langstreckenraketen fliegen lassen, bevor sie über eine funktionierende Waffe verfügen.
Nach Ansicht des IISS lasse sich letztlich nicht genau sagen, ob Pjöngjang ernsthaft an einer Interkontinentalrakete arbeite, die bis in die USA reichen könnte, oder ob die Taepodong- und Unha-Raketen eher politische Verhandlungsmasse seien. "In gewisser Weise könnte beides zutreffen", so das IISS: Bessere Raketen könnten größere diplomatische Zugeständnisse erzwingen - und notfalls auch eingesetzt werden, falls die Verhandlungen scheitern sollten.
Schiller empfiehlt dem Westen deshalb, die Politik der Raketenstart-Moratorien zu überdenken: Würde das Verbot fallen, hätte Pjöngjang keine Ausrede mehr, viel zu wenige Tests für ein ernstzunehmendes Raketenprogramm durchzuführen. "Und jeder Schuss", meint Schiller, "verkleinert Nordkoreas begrenztes Arsenal an sowjetischen und russischen Raketen".