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Nordkorea: Kims Raketen-Angeberei

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Nordkorea Experten halten Kims Atom-Stärke für Prahlerei

Nordkorea droht unverdrossen mit dem Einsatz von Atomraketen. Ein US-Geheimdienst behauptet, die Gefahr könnte real sein. Die Fachwelt aber hält das Säbelrasseln aus Pjöngjang für pure Prahlerei, die durch keinerlei Fakten gedeckt ist.

Doug Lamborn ist seiner Zeit offenbar gern voraus. Schon im Juli 2012 wütete der Abgeordnete der US-Republikaner gegen "Big Bird" (in Deutschland Bibo), den gelben Riesenvogel aus der "Sesamstraße". Der gehöre "aus dem Nest geworfen". Big Bird war für Lamborn ein Symbol für die Steuerverschwendung durch den öffentlichen Rundfunk. Drei Monate später benutzte Präsidentschaftskandidat Mitt Romney das Big-Bird-Argument im TV-Duell gegen Amtsinhaber Barack Obama - und vollführte eine klassische Bauchlandung.

Jetzt scheint Lamborn wieder einen Schritt weiter zu sein als der Rest der Welt: Am Donnerstag erhob er Nordkorea in den Status einer echten Atommacht mit funktionierenden Nuklearraketen. In einer Parlamentsanhörung machte er einen bis dahin vertraulichen Bericht der Defence Intelligence Agency (DIA) öffentlich. Der Militärgeheimdienst kommt darin mit "mittlerer Zuversicht" zu dem Schluss, dass Nordkorea einen nuklearen Sprengkopf entwickelt hat, der klein genug ist, um auf eine ballistische Rakete zu passen.

Experten und andere Geheimdienste staunten nicht schlecht. In der Fachwelt herrscht derzeit die Meinung vor, dass das Regime in Pjöngjang noch nicht einmal zuverlässig funktionierende Raketen besitzt. Ein solches Geschoss mit einem nuklearen Sprengsatz auszurüsten, gilt als noch größere technische Herausforderung.

Eklatanter Mangel an Tests

Kritiker erinnerten genüsslich daran, dass die DIA schon vor zehn Jahren spektakulär falschlag mit ihrer Einschätzung, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. James Clapper, Nationaler Geheimdienstdirektor der USA und von 1991 bis 1995 selbst Chef der DIA, stellte sich am Donnerstag ebenfalls gegen seine Ex-Untergebenen: Deren Einschätzung entspreche nicht dem Konsens der US-Nachrichtendienste. Nordkorea habe "bisher nicht die vollständigen Kapazitäten gezeigt, die für eine Atomrakete notwendig sind". Ähnlich äußerte sich Pentagon-Sprecher George Little: Es sei "nicht korrekt" anzudeuten, dass das nordkoreanische Regime die von Lamborn zitierten nuklearen Kapazitäten "vollständig getestet, entwickelt und bewiesen" habe.

Damit haben die beiden US-Vertreter die zentrale Schwäche von Nordkoreas Raketen- und Atomprogramm angesprochen: den eklatanten Mangel an Tests, die unerlässlich sind, um ein komplexes Waffensystem einsatzfähig zu machen. Das steht sogar im jetzt bekannt gewordenen DIA-Papier: Die Zuverlässigkeit von Nordkoreas Atomrakete, sollte sie denn existieren, "wird gering sein".

Eine Atomwaffe mit geringer Zuverlässigkeit aber ist nach einhelliger Meinung von Experten praktisch nicht einsetzbar. "Das ist wie bei einem Pianisten", sagt der Münchner Raketenexperte Robert Schmucker. "Vor einem öffentlichen Auftritt muss man üben, üben und üben." Genau das aber hätten die Nordkoreaner nicht getan. Die "Unha-3"-Rakete etwa, mit der Pjöngjang im Dezember 2012 einen Satelliten ins All gebracht hat, ist in rund 20 Jahren nur viermal geflogen - und dabei dreimal abgestürzt.

Die Mittelstreckenrakete des Typs Musudan, die Nordkorea nun nach Befürchtungen des Westens am 15. April testen könnte, ist sogar noch nie eingesetzt worden, wie Schmuckers Kollege Markus Schiller kürzlich in einer Analyse  für die RAND Corporation schrieb.

"In der Raketentechnik gibt es keine Wunder"

Die Rakete, die bis zu 4000 Kilometer weit reichen und einen Sprengkopf von etwa 500 Kilogramm tragen soll, basiert angeblich auf der sowjetischen SS-N-6, einer für U-Boote konstruierten Rakete. 2010 wurde die Musudan bei einer Parade in Pjöngjang erstmals öffentlich vorgeführt. Dabei habe es sich aber "eindeutig um Attrappen gehandelt", wie Schiller meint. Das wiederum bedeute, dass es noch immer keine frei verfügbaren Fotos echter Musudan-Exemplare gibt - "oder irgendeinen anderen Beweis ihrer Existenz".

Auch der Satellitenstart vom Dezember hat - obwohl ein Erfolg für Nordkorea - die Glaubwürdigkeit der Musudan weiter geschwächt. Die Analyse der Trümmerteile der "Unha-3"-Rakete deuteten darauf hin, dass ihre zweite Stufe nicht wie zuvor angenommen auf der SS-N-6 basierte, schrieb David Albright vom Institute for Science and International Security (Isis). Das bedeute, dass Nordkorea die SS-N-6-Technik noch nie erfolgreich erprobt habe.

"Eine Atomrakete muss erfolgreich getestet werden, sonst besitzt man überhaupt nichts", betont Schmucker. Auch die Truppen müssten regelmäßig trainieren und dafür Übungsschüsse absolvieren. "Das gilt für alle Staaten", meint Schmucker, "nur Nordkorea scheint das einzige Land der Welt zu sein, bei dem das anders ist." Hier reichten offenbar bloße Behauptungen: "Die Gerüchte verselbständigen und verfestigen sich." Doch es sei unwahrscheinlich, "dass ein Land, das nichts hat, plötzlich alles kann". "In der Raketentechnik", meint Schmucker, "gibt es keine Wunder."

"Keine Hinweise darauf, dass diese Rakete jemals gesehen wurde"

Andere Fachleute sind etwas vorsichtiger bei der Einschätzung von Nordkoreas Fähigkeiten. Das geht auch aus den von WikiLeaks veröffentlichten US-Botschaftsdepeschen hervor. Am 6. Oktober 2009 etwa kabelte das amerikanische Außenministerium an die Botschaft in Paris, dass Nordkorea "eine neue Mittelstreckenrakete" entwickelt habe - die einstufige Musudan, die auf der sowjetischen SS-N-6 basiere.

Auch US-Fachmann Jeffrey Lewis kam im Sommer 2012 in einer Analyse der Entstehungsgeschichte der Musudan  zu dem Schluss, dass Nordkorea offensichtlich Zugang zur Technologie der SS-N-6 hat - und in der Lage sein könnte, "einige miese Kopien zu basteln, die für ihre Zwecke gut genug sein könnten".

Die Russen wollen davon freilich nichts wissen, wie aus einem Schreiben des US-Außenministeriums an die Moskauer Botschaft vom 24. Februar 2010 hervorgeht. Ein Mitarbeiter des russischen Verteidigungsministeriums habe in bilateralen Sicherheitsgesprächen betont, dass "die weitverbreiteten Behauptungen über Nordkoreas Leistungen im Raketenbereich zweifelhaft sind". Derartige Berichte basierten auf unzuverlässigen Quellen; es habe noch keinen erfolgreichen Test mit der Musudan gegeben. Russland, wird der Mann in der Depesche zitiert, "hat keine Hinweise darauf, dass diese Rakete jemals gesehen wurde".

Am Ende bleibt Rätselraten über die Ziele Nordkoreas. US-Geheimdienstchef Clapper erklärte, man erwarte mit "geringer Sicherheit", dass Diktator Kim Jong Un Atomwaffen nur dann einsetzen würde, wenn er seine Herrschaft gefährdet sieht. "Wann diese Grenze aus Sicht Nordkoreas überschritten ist", räumt Clapper allerdings ein, "wissen wir nicht."

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