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Notgelandeter Airbus von Ural Airlines Der Schutzengel von Flug 178

Wenige Minuten nach dem Start fielen beide Triebwerke aus. Dennoch führte die Notlandung eines Airbus in der Nähe von Moskau nicht zur Katastrophe. Waren die Piloten sehr gut - oder hatten sie einfach Glück?

Normalerweise dauert der Flug von Moskau nach Simferopol auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim etwa zweieinhalb Stunden. Doch für die 233 Menschen an Bord des Ural Airlines Fluges 178 war er am Donnerstagmorgen bereits wenige Minuten nach dem Start vom Flughafen Schukowski schon wieder zu Ende. Ein Zusammenstoß mit mehreren Vögeln sorgte dafür, dass beide Triebwerke des Airbus A321 ausfielen.

Pilot Damir Yusupow und seinem Co-Piloten Grigorij Murzin gelang es, die antriebslose Maschine in einem Maisfeld notzulanden. Rund ein Dutzend Menschen wurden verletzt, Fluggäste und Crew konnten das havarierte Flugzeug über Notrutschen verlassen.

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Flug Ural Airlines 178: Notlandung am Flughafen Schukowski

Foto: SERGEI ILNITSKY/ EPA-EFE/ REX

"Viel besser hätte das nicht ausgehen können. Da war schon ein Schutzengel anwesend", sagt Moritz Renn, Airbus-Pilot bei Germanwings und Vorstandsmitglied der Vereinigung Cockpit dem SPIEGEL. Er lobt den Einsatz der russischen Kollegen: "Sie haben genau das gemacht, wofür sie trainiert wurden."

Renn sitzt während des Gesprächs im Auto, auf dem Weg zum Flughafen Stuttgart. Am Nachmittag geht es für ihn von dort nach Ibiza. "Genau bei solchen Situationen", sagt er, "kommt der Mensch ins Spiel." Als Pilot sitze er nicht im Cockpit, um "bei schönem Wetter von einem einfachen Flughafen A zu einem einfachen Flughafen B" zu fliegen. Dabei helfe die Technik der hochautomatisierten Airbus-Jets. Entscheidend sei das Handeln in Krisenmomenten.

Ein kompletter Antriebsverlust nach Vogelschlag - das erinnert an den US-Airways-Flug 1549. Im Januar 2009 hatte Pilot Chesley "Sully" Sullenberger seinen Airbus A320 in solch einer Situation erfolgreich auf dem Hudson River notgewassert, alle 155 Menschen an Bord überlebten. Sullenbergers beherztes Handeln brachte ihm weltweit Schlagzeilen und wurde sogar mit Tom Hanks verfilmt.

Im Fall des US-Airways-Fluges war der Antrieb in etwa 1000 Metern Höhe ausgefallen, drei Minuten nach dem Abheben, nachdem vermutlich mehr als drei Kilogramm schwere Kanadagänse in die CFM-56-Triebwerke gesogen worden waren. Beim Flug Ural Airlines 178 trat das Problem laut Daten des Fluginformationsdienstes Flightradar24  bereits gut 200 Meter über Grund auf, diesmal sollen Möwen Schuld sein.

Neue Werkstoffe sollen Triebwerke sicherer machen

In beiden Fällen waren Antriebe aus derselben Baureihe betroffen. Im Rahmen ihrer Zulassung werden die Triebwerke gezielt auf ihr Verhalten bei Vogelschlag getestet . Dabei gibt es zwei verschiedene Versuche: In einem Fall müssen die Turbinen zeigen, dass sie zumindest noch 20 Minuten lang 75 Prozent ihrer Leistung bringen, nachdem sie mehrere zwischen 0,7 und 1,8 Kilogramm schwere Vögel eingesogen haben. Das wäre in etwa die Größe einer Möwe.

Beim zweiten Test wird ein größerer Vogel zwischen 1,8 und 2,7 Kilogramm auf das Triebwerk geschossen, das mit voller Kraft läuft. Für die Zulassung reicht es aus, dass das Triebwerk nicht vom Flugzeug abreißt, kein Feuer fängt und sich noch kontrolliert ausschalten lässt. Beim neuesten CFM-Triebwerk namens Leap 1, das unter anderem für die Airbus A320 Neo und Boeing 737 Max entwickelt wurde, wirbt der Hersteller damit, dass es dank der eingesetzten Verbundwerkstoffe weit weniger anfällig für Vogelschlag  ist.

Taugt aber Pilot Yusupow zum Helden, wie ihn die Amerikaner in Chesley Sullenberger gefunden haben? "Die russischen Kollegen haben ihren Job ordentlich gemacht, aber das war nicht so eine Mega-Leistung wie bei 'Sully'", sagt ein Airbus-Pilot, der seinen Namen nicht öffentlich lesen möchte. Die Ural-Airlines-Crew hätte wohl auch schlicht Glück gehabt, dass es direkt hinter der Startbahn von Moskau-Schukowski ein großes und freies Feld gab.

Sprit abzulassen war nicht möglich

Zeit für fliegerische Meisterleistungen habe die Crew im Cockpit kaum gehabt. Selbst bei einem kontrollierten Anflug habe man in der betreffenden Höhe nur noch eine Minute. In diesem Fall, ohne Schub, sei es sogar noch deutlich weniger gewesen. "Die hatten gar keine Zeit mehr, etwas anderes zu machen, als den Flieger ins Feld zu setzen."

Ein kontrolliertes Ablassen des Sprits, um im Fall einer harten Landung das Feuerrisiko zu senken, ist beim A320 technisch nicht möglich. Yusupow und Murzin fuhren bei ihrer Notlandung das Fahrwerk nicht aus. Ob sie das aber überhaupt gekonnt hätten, darüber sind sich die vom SPIEGEL befragten Experten nicht einig. Er gehe davon aus, dass sich die Russen bewusst entschieden hätten, die Räder nicht auszufahren, sagt einer. Dass höchstwahrscheinlich die Zeit sowieso nicht ausgereicht hätte, hält ein anderer dagegen.

Womöglich hätte ein ausgefahrenes Fahrwerk beim Aufsetzen einen Teil der Energie aufgenommen. Außerdem wären beim Ausfahren auch automatisch die Bremsklappen des Airbus aktiviert worden. Damit wäre der Jet schneller zum Stehen gekommen. Andererseits hätte sich die Maschine bei einer Landung mit Fahrwerk eher verkanten können. Damit wäre das Risiko gestiegen, dass sie zerbricht - und der Unfall weit folgenschwerer wird.

Mit Bussarden gegen Möwen

Dass es nicht zu einem Brand kam, dürften Crew und Passagiere auch dem vergleichsweise weichen Untergrund im Maisfeld zu verdanken haben. Bei der missglückten Landung eines Suchoi Superjet 100 von Aeroflot im Mai auf dem Flughafen Moskau-Scheremetjewo war ein Feuer ausgebrochen, 41 Menschen starben. Hier hatte wohl das auf dem harten Untergrund der Landebahn schleifende Metall der Maschine für die Entstehung der Funken gesorgt.

Dass beide Triebwerke eines Flugzeugs gleichzeitig ausfallen, sollte - rein statistisch - selten passieren. Vollständig vor Vogelschlag schützen kann sich eine Maschine allerdings auch nicht. Die Konstrukteure können die Antriebe widerstandfähiger machen. Und die Flughäfen können versuchen, potenziell gefährliche Vögel so effektiv wie möglich zu vertreiben.

Das lässt sich zum Beispiel mit Pyrotechnik lösen, deren Krach die Vögel vergrämt, wie es fachmännisch heißt. Oder aber man setzt, wie der Airport in Hamburg, auf eine natürliche Lösung. Rund vier Mal pro Woche wird der Falkner Herbert Boger gerufen, bei Bedarf auch öfter. Er kommt dann mit seinen Raubvögeln wie dem Wüstenbussard "Sally" aufs Gelände, um Vögel zu vertreiben. "Dann machen die einen Jagdflug auf den Schwarm, und die Sache ist erledigt", sagt Boger.

Die Angreifer bringen die störenden Vögel in den seltensten Fällen zur Strecke. Wenn die Bussarde aber über viele hundert Meter Möwen verfolgten, dann sei das für diese deutlich eindrücklicher als einfach nur Knallerei, so Boger.

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