
Tschernobyl: Neues Dach für Unglücks-AKW
Geberkonferenz in Kiew 550 Millionen Euro für Tschernobyl-Sarkophag
Kiew - 25 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl erhält die Ukraine eine weitere halbe Milliarde Euro für eine neue Reaktor-Schutzhülle. Bei einer Geberkonferenz in Kiew kurz vor dem Jahrestag des Super-GAUs sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: "Tschernobyl ist eine deutliche Erinnerung daran, dass das atomare Risiko nicht an Grenzen haltmacht. Unsere Verantwortung und unsere Solidarität sollten ebenfalls nicht an Grenzen stoppen."
Die nun zugesagten 550 Millionen Euro liegen allerdings unter dem ursprünglich anvisierten Betrag von 740 Millionen. So viel wird für den Bau der Schutzhülle wohl insgesamt noch gebraucht. Bislang sind nach Angaben des Chernobyl Shelter Fund 864 Millionen Euro für das Projekt geflossen. Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch sagte, er hoffe auf noch mehr Unterstützung. Der erste Schutzmantel war innerhalb von acht Monaten nach der Reaktorexplosion 1986 errichtet worden. Er weist inzwischen Risse und Löcher auf und gilt daher als nicht mehr sicher.
An der Konferenz in Kiew nahmen zahlreiche Staaten teil, darunter die Mitglieder der EU und der G8. Einige der Geldgeber aus den vergangenen Jahren, darunter Irland, Spanien und Kanada, machten in Kiew keine Zusagen und verwiesen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten oder bevorstehende Wahlen. Frankreichs Premierminister François Fillon sagte, diese Länder seien aber trotzdem weiterhin zu Hilfen bereit. Frankreich selbst hatte 47 Millionen Euro bereitgestellt. Japans Vertreter machte deutlich, dass angesichts der Katastrophe im eigenen Land keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden könnten.
Das Kiewer Treffen bildet den Auftakt einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, mit denen die Ukraine an die bislang schlimmste Atomkatastrophe vor 25 Jahren erinnern will. Am 26. April 1986 war der Reaktor 4 des Kernkraftwerks in Tschernobyl explodiert. Durch die freigesetzte Radioaktivität starben Tausende Menschen, weite Landstriche wurden unbewohnbar.
Hundert-Meter-Halle über bisherigem Sarkophag
"Weder die Ukraine noch die Weltgemeinschaft haben das Recht, die Antworten auf die Fragen zu verweigern, mit denen uns Tschernobyl konfrontiert hat", sagte Janukowitsch. Die Sicherheit der Atomkraft steht durch die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima erneut auf dem Prüfstand. In der vergangenen Woche war das Unglück in Japan auf dieselbe Stufe wie das von Tschernobyl gehoben worden. Allerdings stehe die Atomkraft für die Ukraine nicht in Frage, sagte Janukowitsch. Er begründete dies in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel" damit, dass es seit Tschernobyl keine Funktionsstörung an den vier Kernkraftwerken seines Landes gegeben habe.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nannte die Zusagen von 550 Millionen Euro ein gutes Ergebnis. Die EU-Staaten würden etwa die Hälfte der Mittel aufbringen. Barroso äußerte die Hoffnung, dass es im Laufe des Treffens noch weitere Zusagen geben könne.
Der neue Schutzmantel soll von einem europäisch dominierten Konsortium aufgebaut werden: Es wird eine über hundert Meter hohe hallenförmige Konstruktion sein, die sich über den bisherigen Sarkophag wölbt. Sie soll die Ruine mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts abschirmen. In dieser Zeit soll der Sarkophag darunter abgerissen und die hochradioaktiven Trümmer an sichere Orte gebracht werden. Das Sperrgebiet im Umkreis von 30 Kilometern rund um die Ruine ist nach wie vor praktisch unbewohnbar. Der nahe gelegene Ort Pripjat ist eine Geisterstadt. Die genaue Opferzahl des Unglücks wird wohl wegen der Spätfolgen wie Krebserkrankungen nie genau zu ermitteln sein.
Atomexperten forderten, den noch immer im Reaktor liegenden Kernbrennstoff zu bergen. "Das wird noch wesentlich komplizierter, gefährlicher und teurer als jede neue Schutzhülle", sagte Tobias Münchmeyer von Greenpeace. Es sei ein "Skandal", dass weder die Ukraine noch die internationale Gemeinschaft an einem Konzept für die Bergung der 180 Tonnen Kernbrennstoff aus dem Reaktor 4 arbeiteten.