Grüner Wasserstoff als Klimaschützer Der Sauberstoff

Reversible Electrolysis Container der Firma Sunfire: "Power to X"
Foto: sunfireWenn es nach Minister Andreas Scheuer (CSU) geht, sollen Benzin- und Dieselmotoren auch in einigen Jahrzehnten noch das Straßenbild prägen. Dumm nur, dass ausgerechnet der Verkehrsbereich unter erheblichem Druck steht, die CO2-Emissionen zu senken, um die Vorgaben aus dem Klimaschutzabkommen von Paris zu erfüllen. Das Wundermittel, das diesen Widerspruch in Luft auflösen soll, heißt: grüner Wasserstoff.
Wenn sich Kraftstoffe synthetisch herstellen lassen, bliebe der Autoindustrie die Verbrennertechnologie trotz höchster Klimaschutzansprüche erhalten. Kein Wunder also, dass Andreas Scheuer das Verfahren zuletzt als Alternative zu Elektroautos ins Spiel gebracht hat.
Grün darf man Wasserstoff nennen, wenn er mit erneuerbarer Energie erzeugt wird. Das geschieht in einem Elektrolyseur, der Wasser (H2O) unter Strom setzt, sodass sich Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) voneinander trennen. In einem zweiten Schritt lässt sich der Wasserstoff zu synthetischem Erdgas, Benzin, Diesel oder Kerosin verarbeiten. "Power to X" heißt dieses Konzept.
Was im Verkehr allenfalls eine Option unter vielen wäre, könnte im Industriesektor zur letzten Rettung werden: Bis 2050 soll Deutschland fast vollständig klimaneutral wirtschaften, ohne grünen Wasserstoff dürfte das nur schwer möglich werden.
"Für die Industrie gibt es keine Alternative zu Power to X", sagt Michael Sterner, Professor für Energiespeicher und -systeme an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH). In der Herstellung von Grundchemikalien, bei Düngemitteln oder in der Glas- und Metallindustrie, führe der Ersatz fossiler Brennstoffe immer zu grünem Wasserstoff, so der Experte.
Klimaneutraler Stahl als langfristiges Ziel
Zu den Industriezweigen mit den höchsten Kohlendioxidemissionen zählt die Stahlbranche. Sie setzt jährlich 56 Millionen Tonnen CO2 frei - und ist damit für gut sechs Prozent des gesamten Treibhausgasausstoßes Deutschlands verantwortlich. Konzerne wie ArcelorMittal oder ThyssenKrupp wollen nun mit grünem Wasserstoff experimentieren, um ihre Klimabilanz zu verbessern.
Die Salzgitter AG zählt zu den Pionieren. Schon seit zwei Jahren wird im Hüttenwerk Salzgitter, zweitgrößter Stahlstandort der Bundesrepublik, Wasserstoff aus einem eigenen Elektrolyseur bei der Veredelung von Rohstahl eingesetzt. Bis Mitte des nächsten Jahres werden nach den Plänen des Unternehmens zwei weitere, größere Elektrolyseure dazukommen.
Die Salzgitter AG hat die weitgehende Dekarbonisierung des gesamten Werks im Visier. So soll grüner Wasserstoff langfristig die Kokskohle ablösen - die mit Abstand wichtigste Emissionsquelle eines Stahlwerks. Auf dem Weg dahin will das Unternehmen die Produktion so umbauen, dass parallel zum Wasserstoff als Zwischenschritt auch Erdgas eingesetzt werden kann.
"Bereits mit einem Drittel Wasserstoff und zwei Dritteln Erdgas können wir gegenüber der heute verwendeten Technologie zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr einsparen", sagt Volker Hille, Leiter Corporate Technology bei der Salzgitter AG. "Daran lässt sich ablesen, wie viel die Stahlindustrie für den Klimaschutz bewegen könnte."
Umstellung der Produktion derzeit nicht wirtschaftlich
Allerdings müsse es "Anreize geben, klimafreundlich produzierten Stahl zu verwenden", fordert Hille. "Technisch gesehen könnten wir schon morgen damit anfangen, unsere Produktion auf fast komplett CO2-freie Verfahren umzustellen, weil die nötigen Technologien bereits etabliert sind. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen." Denn grüner Stahl ist teurer als konventioneller.
Ein Problem, vor dem auch Raffinerien stehen - einige wollen grünen Wasserstoff für die Entschwefelung von Kraftstoffen einsetzen, wofür bislang Erdgas verwendet wird. BP hat bereits in Lingen im Emsland einen Pilotversuch durchgeführt, Shell will im rheinischen Wesseling demnächst einen eigenen Elektrolyseur errichten. Doch bislang rechnet sich die Umstellung nicht, da Erdgas preiswerter ist als Strom.
Grüner Wasserstoff aus dem Ausland
Die größte Hürde bei der Umstellung ist jedoch die Beschaffung des Ökostroms für die Elektrolyse. Allein die Salzgitter AG bräuchte Elektrolyseure mit einer Leistung von 960 Megawatt, um ihre Stahlwerke zu dekarbonisieren. Ein modernes Windrad an Land liefert höchstens drei Megawatt Strom. Für eine klimaneutrale Stahlindustrie müssten also viele Tausend Windräder installiert werden.
"Daher wird der Import von grünem Wasserstoff und anderen Power-to-X-Energieträgern kommen", prophezeit Wissenschaftler Michael Sterner. "Es gibt viele Regionen auf der Welt, die sich hervorragend als Quelle eignen".
Klimaschutz wäre dann also von Energieimporten abhängig - für die Industrie aber keine neue Situation - denn auf die Einfuhr von Kohle, Öl und Erdgas ist sie schon heute angewiesen.