
Sensortechnik Diese Brücken melden sich bei Problemen


Der Einsturz einer viel befahrenen Autobahnbrücke in Genua ist das schwerste Brückenunglück in Europa in den vergangenen 15 Jahren. Das "Polcevera-Viadukt", nach seinem Architekten Riccardo Morandi auch Morandi-Brücke genannt, gab auf einem etwa hundert Meter langen Stück nach, als etliche Autos auf der bekannten Urlaubsverbindung unterwegs waren. Dutzende Unglücksopfer stürzten mehr als 40 Meter in die Tiefe.
Angaben über die Einsturzursache bei der 1967 eingeweihten Schrägseilbrücke gibt es bisher keine verlässlichen. Möglicherweise habe es Versäumnisse bei der Wartung gegeben, spekulierte ein italienischer Politiker. Die Brücke besteht aus Spannbeton, dabei werden die Stahleinlagen im Beton vorgespannt. Solche Konstruktionen gelten als anspruchsvoll in der Wartung. Die soll aber nach Angaben der Betreibergesellschaft Autostrade per Italia ausreichend durchgeführt worden sein.
Bis die genaue Ursache des Unglücks ermittelt ist, wird noch Zeit vergehen. Doch fest steht: Nicht nur in Italien, auch in Deutschland ist die Wartung und Überprüfung von Brücken ein Problem. Experten haben Zweifel an der Stabilität von vielen der fast 40.000 deutschen Brücken an Autobahnen und Fernstraßen geäußert. Ein Großteil sei 40 Jahre oder älter. Nach aktuellen Zahlen des Bundesverkehrsministeriums befinden sich 12,2 Prozent der Brücken in einem "nicht ausreichenden beziehungsweise ungenügenden Bauwerkszustand" - gut jede achte Brücke ist marode.
Materialermüdungen etwa durch Schwingungen und vor allem Korrosion macht Brücken zu schaffen. Durch im Winter gestreute Tausalze, die zusammen mit Feuchtigkeit in die Bauwerke eindringen, werden Stahlkonstruktionen im Inneren des Betons - Fachleute sprechen von Bewehrung - angegriffen. Solche wie auch andere Schäden werden bei den regelmäßig stattfinden Begehungen durch Bauwerksprüfer oft erst dann erkannt, wenn sie offensichtlich sind. In den Beton hineinschauen können sie aber nicht.
Doch derzeit arbeiten Forscher und Ingenieure am Projekt "Intelligente Brücke" - bei ihnen könnten künftig Sensoren frühzeitig Schäden melden. Und auch Mikrorisse im Bauwerk erfassen, die noch gar nicht sichtbar sind.
Im Osten von Nürnberg steht deshalb eine elf Millionen teure Brücke an einem Autobahnkreuz - dort wo die A3 und die A9 sich begegnen. Sie gehört zum sogenannten Digitalen Testfeld Autobahn des Bundesverkehrsministeriums. Seit 2016 erforschen Wissenschaftler, was passiert, wenn tonnenschwere Lkw über die Brücke fahren. Und wie sich Wind, Frost oder Regen auswirkt. Auch ein etwa 800 Meter langer Autobahnabschnitt samt Brücke am Kreuz A3 und A4 nahe Köln gehört inzwischen zum Projekt.
Im Inneren der Bauwerke sind etliche Sensoren eingebaut. Sie erfassen Dutzende Werte: Dehnung, Schwingung, Neigung, Feuchtigkeit, ph-Wert, Temperatur, Belastungsgewicht. So lässt sich erkennen, wie sich etwa die Beanspruchung durch einen Schwertransport, der über die 156 Meter lange Brücke rollt, auf einzelne Bauteile auswirkt. "Dadurch können wir über die Zuverlässigkeit und Lebensdauer von einzelnen Brückenkomponenten wertvolle Erkenntnisse gewinnen", sagt Peter Haardt, Bauingenieur bei der Bundesanstalt für Straßenwesen.
Auch für Korrosionsschäden gibt es Sensoren, erstmals wurden sie bei einer Brücke direkt beim Bau integriert. Sie liegen knapp unter der Betonoberfläche. Kleine Drähte melden, wenn sie Rost ansetzen. Daraus lässt sich grob ableiten, wann der für die Zuglast entscheidende Stahl in einem Bauwerk angegriffen werden könnte.
Solche Sensoren sind inzwischen Stand der Technik und haben einen breiten Anwendungsbereich. Dass sie zum Monitoring einer Brücke eingesetzt werden, ist längst nicht die Regel. Ein Computer im Inneren des Bauwerks sammelt die Daten und sendet sie an die Projektmitarbeiter, darunter ein Ingenieurbüro in Weimar, Forscher aus Lübeck und von der Bundeswehruniversität in München.
Vor allem sensible Bereiche der Brücke haben die Ingenieure mit der Technik ausgerüstet. Dazu gehören etwa die Brückenfugen am Fahrbahnübergang zu Beginn und Ende der Brücke. Solche Dehnfugen hat jede Brücke, denn durch Temperatur und Belastung bewegt sich das Bauwerk, und dafür muss Platz sein. Rund 40 Sensoren sind allein hier angeschlossen. Sie erkennen auf beiden Spuren die Fahrzeuge, die darüber rollen, und messen deren Geschwindigkeit, Achszahl und Gewicht. "An der Fahrbahnübergangskonstruktion können wir beispielweise den Bruch einer Lamelle registrieren", sagt Haardt. Und auch die beiden Lager des Bauwerks werden auf Lasten sowie Verdrehungen und Verschiebungen überwacht.
Sensortechnik wird auch schon in anderen Baubereichen eingesetzt, verschiedene Firmen haben sich auf die Herstellung der Technik spezialisiert. In Düsseldorf rüsteten Planer beim Bau eines komplizierten U-Bahn-Projekts durch dicht besiedeltes Gebiet Gebäudefundamente mit Sensoren aus, die regelmäßig Daten übermittelten. Auch die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hat im vergangen Jahr batterielose Sensoren präsentiert, die sich direkt im Stahlbeton einbetten lassen. Doch der Einsatz ist eher die Ausnahme und spielt bei der täglichen Planung der meisten Ingenieurbüros keine Rolle. Vorgeschrieben ist die Technik ohnehin nicht.
Das liegt auch an den Kosten. Denn die Verwendung macht Brücken deutlich teurer - sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb, räumt auch Haardt ein. Zudem werden weiterhin Fachleute benötige, die die Daten auswerten. Ein Sensor könne zudem nicht flächendeckend kontrollieren - Bauwerksbegehungen würde das System also nicht ersetzen. Aber die Datenauswertung der Brücke ermögliche langfristig Erkenntnisse über die Folgen von jahrzehntelanger Dauerbelastung mit tonnenschweren Sattelschleppern. Und das führt zu langlebigeren Konstruktionen und Teilen - und am Ende vielleicht zu einer besseren Brücke.
Zudem könnte das Brücken-Monitoring generell profitieren: Bisher werden Erhaltungsmaßnahmen an Brücken vor allem dann eingeleitet, wenn Schäden sichtbar sind - man reagiert auf den Zustand der Brücke. Die Sensortechnik könnte das ändern. "Wir wollen hin zu einem prädiktiven, also vorausschauenden Erhaltungsmanagement", sagt Haardt.
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Dehnfuge bei der ersten intelligenten Autobahnbrücke Deutschlands. In Nürnberg haben Ingenieure eine Brücke mit Sensoren gebaut.
So sieht die Dehnfuge von unten aus. Die Sensoren erkennen auf beiden Spuren die Fahrzeuge, die darüber rollen, und messen deren Geschwindigkeit, Achszahl und Gewicht.
Das rund elf Millionen Euro teure Bauwerk gehört zum sogenannten Digitalen Testfeld Autobahn des Bundesverkehrsministeriums.
Ein Bauingenieur liest an einem Rechner im Inneren der Brücke Daten ab. Inzwischen werden sie drahtlos weitergeleitet.
Langfristig könnten die Daten aus dem Projekt bessere Brücken ermöglichen. Sie zeigen, was passiert, wenn ein Schwertransport über die 156 Meter lange Brücke rollt.
Im Inneren der Brücke: Die Technik macht Brücken deutlich teurer. Und Bauwerksbegehungen sind dennoch nötig. Außerdem müssen die Daten von Fachleuten ausgewertet werden.
Ein Dehnmessstreifen: In der Brücke werden zahlreiche Daten erfasst, darunter Dehnung, Schwingung, Neigung, Feuchtigkeit, ph-Wert, Temperatur, Belastungsgewicht.
Dieser Sensor misst die Beschleunigung in den Spanngliedern der Brücke.
Bild eines typischerweise bei Überwachungsaufgaben eingesetzten Dehnungssensors. Er wird in den Beton integriert.
Gateway Arch in St. Louis: Das Jefferson National Expansion Memorial hat die Form einer umgekehrten Kettenlinie. Diese ist für Bogen optimal, deren Eigenmasse deutlich größer ist als die Decklast der Brücke.
Casa Milà in Barcelona: Auch der Architekt Antoni Gaudí nutzte das Design der umgekehrten Kettenlinie.
Das Konzept geht zurück auf den englischen Universalgelehrten Robert Hooke. Er experimentierte mit einer hängenden Kette, um die Idealform für einen gemauerten Bogen zu finden.
Brücke in Venedig: Der Brückenbogen ist ein Statik-Klassiker, man findet ihn weltweit.
Brücke zwischen Göschenen und Andermatt (Schweiz): "Die Ideallinie eines Brückenbogens hängt von der Belastung ab", sagt der Bremer Architekt Martin Speth. "Je steiler ein Brückenbogen ist, umso größere Lasten kann er halten."
Brücke bei Sehnde (Niedersachsen): Eine Brücke kann auch unter einem Bogen hängen - das geometrische Prinzip bleibt dasselbe.
Golden Gate Bridge in San Francisco (mit Solarflugzeug im Vordergrund): Bei Hängebrücken haben die Haltseile etwa die Form einer Parabel.
Eisenbahnviadukt bei Hannoversch Münden nahe Göttingen (Archivbild): Die Steinbrücke querte bis 1945 die Werra, bevor sie kurz vor Kriegsende von abziehenden deutschen Truppen gesprengt wurde.
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