Regierungsstudie Atomunfall würde Frankreich 430 Milliarden Euro kosten

AKW Fessenheim: Frankreichs ältestes Kernkraftwerk liegt direkt am Rhein
Foto: dapdHamburg - Ein Atomunfall vom Ausmaß des Unglücks im japanischen Fukushima würde Frankreich einer staatlichen Studie zufolge rund 430 Milliarden Euro kosten. Das wäre etwa ein Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Selbst ein Unfall kleineren Ausmaßes würde immer noch Schäden in Höhe von etwa 120 Milliarden Euro zur Folge haben, ergab die am Mittwoch im Atomforschungszentrum Cadarache vorgestellte Untersuchung des französischen Instituts für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN).
In den Reaktoren des japanischen Atomkraftwerks Fukushima-Daiichi war es infolge eines heftigen Erdbebens und eines Tsunamis am 11. März 2011 zu zwei Kernschmelzen gekommen. Es war das folgenschwerste Atomunglück seit dem Unfall von Tschernobyl 1986. Die Umgebung wurde weiträumig radioaktiv verstrahlt, Zehntausende Anwohner mussten fliehen.
In Frankreich würde ein vergleichbarer Unfall wohl etwa 100.000 Atomflüchtlinge verursachen, Ernten vernichten und massive Stromausfälle zur Folge haben, ergab die IRSN-Studie. Allein der Kampf gegen die Verstrahlung der Umwelt würde demnach rund 110 Milliarden Euro kosten. Teuer wären zudem die Abschaltung weiterer Atomreaktoren in der Folge, der Umstieg auf andere Energien und der notwendige Stromimport.
Imageschäden wären teurer als Folgen der Strahlung
Der größte Kostenfaktor wären vermutlich aber die Imageschäden etwa für französische Agrarprodukte und den Tourismus, die sich auf 160 Milliarden Euro beliefen. Französischer Wein etwa könnte im Ausland weitgehend unverkäuflich werden, selbst wenn er nicht verstrahlt wäre. "Ein großer Unfall hätte schreckliche Folgen", sagte IRSN-Chef Jacques Repussard. "Aber er würde das Land nicht auslöschen, also müssen wir darüber reden, auch wenn es schwierig ist."
Betroffen könnten laut der Studie etwa vier Départements sein - sowie unter Umständen auch Nachbarländer Frankreichs wie etwa Deutschland. Hierzulande wird immer wieder vor möglichen Unfällen in AKW in direkter Grenznähe gewarnt. Deutsche Atomkraftgegner machen deswegen gegen Kernkraftwerke nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien, Polen oder den Niederlanden mobil.
Der Fukushima-Unfall hat Japan nach IRSN-Berechnungen rund 200 Milliarden Euro gekostet. Dass die Kosten in Frankreich mehr als doppelt so hoch wären, erklären die französischen Experten mit mehreren Faktoren. So hätten die Japaner Glück mit dem Wetter gehabt: Der Wind stand günstig und wehte einen Großteil der radioaktiven Partikel in Richtung Osten aufs Meer hinaus. "Und in Japan hat der Tourismus keine so große Bedeutung", sagte Patrick Momal, der beim IRSN für die Studie verantwortlich ist.
Dennoch warnte Momal vor zu großer Angst. "Man muss beachten, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Unfälle extrem gering ist", so der Wirtschaftswissenschaftler. "Schätzungen wie diese helfen Entscheidungsträgern, die Kosten von Präventivmaßnahmen ins richtige Verhältnis zu setzen."
Immerhin: Auch Frankreich will den Anteil von Atomstrom in seinem Energiemix von derzeit 75 Prozent auf 50 Prozent bis zum Jahr 2025 senken. Frankreichs ältestes Kernkraftwerk, das AKW Fessenheim nahe der deutschen Grenze, soll 2017 stillgelegt werden.
In Asien dagegen hat der Fukushima-Unfall kaum Zweifel an der Atomenergie geweckt: Die meisten Länder setzen weiter auf Atomkraft. Weltweit sind nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA 68 Atomreaktoren im Bau, 43 davon in Asien: 29 in China, sieben in Indien, vier in Südkorea und drei in Japan. Dutzende weitere sind geplant, vor allem in Asien. Vietnam will bis 2030 acht Reaktoren bauen. Der erste soll 2020 ans Netz gehen. Indonesien plant vier Reaktoren bis 2025, Malaysia mindestens zwei in den nächsten 20 Jahren. Von 2009 bis 2035 wird die globale Atomkraftkapazität von 393 auf 630 Gigawatt steigen, schätzt der Industrieverband World Nuclear Association (WNA). Der Großteil des Anstiegs entfalle auf Asien.
"Das Fukushima-Desaster hat das Interesse der asiatischen Regierungen an einer Fortsetzung ihrer Atomprogramme nicht gemindert", sagt Arif Fiyanto, Sprecher der Umweltorganisation Greenpeace in Südostasien. Dabei hätten die Länder jede Menge Alternativen, um ihren Bedarf aus nachhaltigen Energiequellen zu decken, sagt er: Geothermie, Wasserkraft, Solar- und Windparks. Korruption sei in Asien ein zusätzlicher Gefahrenfaktor: Wenn Sicherheitsauflagen mit Schmiergeldzahlungen umgangen würden, drohe ein noch größerer Unfall als in Fukushima, warnt Fiyanto.