Kernfusionsforschung in Greifswald Die 100-Millionen-Grad-Maschine
Noch schrauben und schweißen die Arbeiter in der Plasmakammer. In drei Jahren sollen dort Temperaturen von 100 Millionen Grad herrschen. Bei dieser unvorstellbar großen Hitze verschmelzen Wasserstoffkerne zu Helium und setzen dabei riesige Mengen Energie frei.
Die Bedingungen einer solchen Kernfusion zu erzeugen - das ist das Ziel der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. In einer großen Halle am Rande der Hansestadt montieren sie die etwa 500 Tonnen schwere Maschine dafür. Der Rohbau steht, die Feinarbeiten werden bis 2014 dauern.
Die Erwartungen sind groß, denn die Kernfusion könnte das Energieproblem der Menschheit lösen. Der Brennstoff, die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium, ist in großen Mengen verfügbar, ein Kilogramm davon könnte so viel Strom liefern wie 11.000 Tonnen Kohle. Zudem stößt ein Fusionsreaktor kein CO2 aus - und anders als bei Kernkraftwerken fällt nur wenig Atommüll an, der zudem eher kurzzeitig strahlt.
Bei einer Kernfusion verschmelzen kleine Atomkerne zu größeren Atomkernen - was große Energiemengen freisetzt. Doch damit positiv geladene Kerne, die einander abstoßen, überhaupt fusionieren können, müssen sie unter enormem Druck stehen. Das ist im Innern der Sonne der Fall, wo Wasserstoff in Helium umgewandelt wird. Oder aber die Atomkerne werden auf Millionen Grad erhitzt, so dass sie mit hoher Geschwindigkeit zusammenstoßen und dabei verschmelzen.
Rasend schnelle Wasserstoffkerne
Die technischen Herausforderungen für einen Fusionsreaktor sind riesig. Weil so hohe Drucke wie im Inneren der Sonne kaum zu erreichen sind, wollen Physiker die Fusion mit hohen Temperaturen einleiten. Dabei verlieren die Wasserstoffatome die Elektronen aus der Atomhülle - sie werden zu Ionen. Dieser Zustand wird als Plasma bezeichnet.
Eine unkontrollierte Fusion ist kein Problem - die ersten Wasserstoffbomben wurden schon vor 60 Jahren gezündet. Um die Fusionsreaktion aber beherrschen zu können, muss das heiße Plasma zusammengehalten werden und darf auch nicht an Wände der Plasmakammer stoßen, weil es sich sofort abkühlen würde.
Und den benötigten Käfig für das Plasma, das wissen Physiker seit Jahrzehnten, kann nur ein starkes Magnetfeld bilden. Es zwingt die rasend schnellen Ionen und Elektronen, sich entlang der Magnetlinien zu bewegen. Wenn die Magnetlinien geschlossene Kreise bilden, ist das Plasma in dem Feld quasi eingefangen.
Das klingt einfach - doch bei den bisherigen Experimenten konnten die Forscher das Plasma kaum bändigen. Den bisherigen Rekord hält der "Jet"-Fusionsreaktor in Culham (England): Gerade mal zwei Sekunden dauerte die Fusionsreaktion, das Experiment liegt schon 15 Jahre zurück.

Kernfusionsreaktor: Heißes Plasma im Magnetfeld
Die Greifswalder Fusionsforscher wollen das Plasma nun bis zu 30 Minuten in der Schwebe halten. Mit diversen Sensoren und Messinstrumenten möchten sie beobachten, wie sich das heiße, ionisierte Gas verhält. Das dabei gewonnene Wissen soll später in das Design eines Fusionsreaktors fließen, der eine richtige Kraftwerksturbine antreibt.
Bei der Greifswalder Anlage "Wendelstein 7-X" nutzen die Max-Planck-Forscher ein ganz spezielles Reaktordesign: Es handelt sich um einen sogenannten Stellarator , was man frei mit Sternenmaschine übersetzen kann. Denn auch im Inneren von Sternen (lateinisch "Stella") wie unserer Sonne läuft die Kernfusion im Dauerbetrieb.
Neben dem Stellarator gibt es noch einen zweiten Reaktortyp - den "Tokamak" . Während beim Stellarator allein das äußere Magnetfeld das Plasma in der Schwebe hält, gibt es im "Tokamak" ein inneres und ein äußeres Magnetfeld. Das innere Magnetfeld wird durch Strompulse erzeugt, die durch Induktion in das Plasma geschickt werden. Beispiele für das "Tokamak"-Design sind der Reaktor "Jet" und der in Bau befindliche "Iter" in Südfrankreich.
Ein Dauerbetrieb ist beim "Tokamak"-Design allerdings nicht möglich, denn der Strom im Plasma wird nur so lange induziert, wie sich das äußere Magnetfeld ändert. Damit sich das Magnetfeld ändert, muss der Stromfluss durch die Spulen stetig steigen - was jedoch nur bis zu einer gewissen Grenze möglich ist. Dann wird der Strom in den Spulen abgeschaltet, der Plasmazustand endet und damit die Kernfusion. Sie muss danach wieder neu gezündet werden - man spricht von einem gepulsten Betrieb.
Beim Stellarator ist das anders, er ermöglicht prinzipiell einen Dauerbetrieb. Allerdings müssen dafür die Magnetfelder eine viel höhere Präzision besitzen. Die verschlungene Form der insgesamt 50 Magnetspulen haben die Wissenschaftler nur mit Hilfe von Supercomputern berechnen können. "Wir wollen zeigen, dass das Magnetfeld einen magnetischen Einschluss erzeugt, der mindestens so gut ist wie bei einem 'Tokamak' gleicher Größe", sagt Thomas Klinger, wissenschaftlicher Leiter von "Wendelstein 7-X".
Zum Starten des Reaktors muss das mehrere Dutzend Kubikmeter große Plasmagefäß komplett evakuiert werden. Auch in der äußeren Hülle, wo sich die supraleitenden Spulen befinden, muss Vakuum herrschen. Ansonsten wären die extremen Temperaturunterschiede von plus 100 Millionen Grad in der Plasmakammer und minus 270 Grad in den Magneten nicht beherrschbar.
"In die Kammer kommen dann 0,1 Gramm Wasserstoff und Deuterium", erklärt Klinger. Das Aufheizen dieser kleinen Gasmenge auf 100 Millionen Grad Celsius übernehmen zehn Mikrowellensender, die in einer Nebenhalle stehen. Jeder hat eine Leistung von einem Megawatt und ist damit 10.000-mal stärker als eine Mikrowelle, wie man sie aus der Küche kennt.
Sternenfeuer wird in Südfrankreich gezündet
Bei vollem Betrieb wird "Wendelstein 7-X" eine Leistung von 50 Megawatt benötigen. Die Energieausbeute der Fusionsreaktionen wird kaum messbar sein, denn die Wissenschaftler füllen statt Tritium und Deuterium Wasserstoff und Deuterium ein, was Fusionen nicht ausschließt, aber unwahrscheinlich macht.
"Tritium ist radioaktiv, und das würde die Untersuchungen des Plasmas erschweren", erklärt Klinger. "Wir erzeugen die Plasmabedingungen allein mit der Mikrowellenstrahlung." Um die Wirksamkeit des Magnetkäfigs zu erforschen, reiche dies vollkommen aus.
Man hätte auch einen größeren Stellarator bauen können, mit dem tatsächlich Energie erzeugt wird, sagt der Wissenschaftler, aber das wäre deutlich teurer geworden. "Jetzt sind wir bei 16 Metern Durchmesser, ab etwa 45 Metern wäre die Energiebilanz positiv." Dann würde der Reaktor mehr Energie erzeugen, als man in den Betrieb von Magnetfeld und Mikrowellen stecken muss.
Beim geplanten Forschungsreaktor "Iter" in Südfrankreich soll das Sternenfeuer aus Tritium und Deuterium dann tatsächlich gezündet werden. Die Plasmakammer ist so groß, dass zehnmal mehr Energie freigesetzt als hineingesteckt wird. Bei der englischen Anlage "Jet" lag die Ausbeute bei 65 Prozent, der Reaktor benötigte also mehr Energie als er erzeugte.

Kernfusionsreaktor: Heißes Plasma im Magnetfeld
Im Vergleich zu "Iter" ist "Wendelstein 7-X" ein Schnäppchen. Etwa 500 Millionen Euro wird das Projekt den Steuerzahler kosten, beim Milliardenprojekt "Iter" laufen die Kosten hingegen aus dem Ruder, der Termin der Inbetriebnahme wurde immer wieder verschoben.
Die Greifswalder Forscher sind optimistisch, dass sie ihren Zeitplan einhalten können. "Die Probleme bei der Entwicklung und Beschaffung der Komponenten haben wir glücklicherweise hinter uns", sagt Lutz Wegener, Leiter der Montage. "Unsere Planung ist realistisch, Mitte 2014 soll es losgehen."
Als Nächstes muss der Ring der Plasmakammer vollständig geschlossen werden. Das letzte der fünf Teilstücke, jedes Modul ist 120 Tonnen schwer, fehlt noch. Es steht bisher wenige Meter neben seiner geplanten Position im Ring. Danach werden Monteure alle Lücken zwischen den Modulen hermetisch abdichten - im Inneren muss ja ein Vakuum erzeugt werden.
Thomas Klinger hofft, dass die Erforschung des größten je gebauten Stellarators eines Tages den Traum von der kontrollieren Kernfusion wahr werden lässt. Er sieht durchaus Chancen, dass das merkwürdig verdrillte Magnetfeld in das Design der nächsten Reaktorgeneration nach "Iter" einfließt: "Das künftige Fusionskraftwerk könnte auch ein Hybrid aus 'Tokamak' und Stellarator sein."