Klimaneutrales Heizen So wird die Fernwärme grün

Fernwärmeleitungen am Kohlekraftwerk Datteln IV: Versorger müssen neue Wege gehen, um ihre Fernwärme zu dekarbonisieren
Foto: Jochen Tack / imago imagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Münchens heißester Kandidat für klimaneutrale Heizwärme liegt rund 3000 Meter unter dem Stadtgebiet: ein riesiges Reservoir an heißem Wasser. Das zapfen die örtlichen Stadtwerke jetzt an, um Zehntausende Bürger in der bayerischen Landeshauptstadt mit Wärme zu versorgen – das Unternehmen baut Deutschland größte Tiefengeothermie-Anlage.
Bislang stammt Fernwärme in München vor allem aus Erdgas und Kohle – so wie in vielen anderen Städten. Landesweit kommen rund zwei Drittel der Wärme in den Netzen aus fossilen Brennstoffen. Die erneuerbaren Energien tragen gerade einmal knapp 18 Prozent bei. Beim Strom dagegen liegt der Ökoanteil bereits bei etwa 50 Prozent.
Diese Dominanz von Erdgas und Kohle in der Fernwärme fällt in der Klimabilanz der Bundesrepublik erheblich ins Gewicht. Denn schließlich heizen hierzulande fast sechs Millionen Haushalte auf diese Weise.
»Die Versorger müssen den Anteil der erneuerbaren Energien sowie der Abwärme in der Fernwärme bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf ungefähr 45 Prozent steigern. Sonst ist das Ziel der Klimaneutralität nicht zu erreichen«, sagt Matthias Sandrock vom Hamburg Institut, einem auf die Energiebranche spezialisierten Beratungsunternehmen.

Lesen Sie mehr über die neuesten Entwicklungen, Hintergründe und spannenden Lösungsansätze in unserem Themenspezial.
Bislang kommt die Erneuerbare-Energien-Fernwärme fast ausschließlich aus Biomasse – aus Holzhackschnitzeln zum Beispiel, die in Heizwerken verbrannt werden, oder aus Biomüll in Müllverbrennungsanlagen. Allerdings ist Biomasse nur begrenzt verfügbar. Zudem kritisieren Forscher, dass die Verbrennung von Holz dem Klimaschutz eher schadet als nützt.
Daher müssen die Versorger andere Wege gehen, um ihre Fernwärme zu dekarbonisieren. Ein Patentrezept gibt es dabei nicht. »Welche Technologien sinnvoll sind, hängt vor allem davon ab, welche Wärmequellen jeweils vor Ort zur Verfügung stehen«, sagt Dietrich Schmidt vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.
Wenig Strom, viel Wärme
Infrage kommt die Wärme, die in örtlichen Gewässern, im Erdboden oder auch im Ablauf von Kläranlagen enthalten ist. Großwärmepumpen bringen sie auf das nötige Temperaturniveau. Dafür benötigen die Wärmepumpen Strom. Den setzen sie als Hebel ein: Mit einer Kilowattstunde Strom erzeugen sie mehrere Kilowattstunden Heizwärme.
Eine sehr attraktive Energiequelle für Wärmepumpen ist Schmidt zufolge die Abwärme von Industrie und Gewerbe. »Es gibt hierzulande enorm viel ungenutzte Abwärme im niedrigen Temperaturbereich«, erklärt der Fraunhofer-Forscher. Nutzen Wärmepumpen solche Quellen, arbeiten sie besonders effizient, weil sie weniger Temperaturhub leisten müssen, so Schmidt.
Auch mit der Sonne lässt sich Fernwärme erzeugen: Große, auf freiem Feld installierte Solarthermieanlagen nehmen die Wärme auf und speisen sie ins Netz. Das geschieht zum Beispiel bereits in Ludwigsburg und Kornwestheim, in Senftenberg oder demnächst in Greifswald.
Allerdings benötigen solche Projekte viel Platz. Die Anlage in Senftenberg etwa nimmt die Fläche von drei Fußballfeldern ein. Zudem hat die Solarthermie den Nachteil, dass sie im Winter am wenigsten Wärme erzeugt – also dann, wenn am meisten davon gebraucht wird.
Dieses Problem hat die Tiefengeothermie nicht. Die Anlagen liefern auch dann viel Wärme, wenn es draußen bitterkalt ist . Aus geologischen Gründen ist diese Form der Wärmeerzeugung aber nicht überall in Deutschland möglich.
Erneuerbare Fernwärme mit höheren Kosten
So machen Solarthermie- und Tiefengeothermie-Anlagen sowie Wärmepumpen derzeit zusammen nicht einmal ein Prozent der gesamten Fernwärme-Erzeugung aus.
Das liegt vor allem an den Kosten. »Mit erneuerbaren Energien Fernwärme zu erzeugen, ist unter heutigen Rahmenbedingungen teurer als mit Erdgas oder Kohle«, sagt Sandrock.
Das weiß auch die Bundesregierung – und plant deshalb mit der »Bundesförderung effiziente Wärmenetze« (BEW) eine umfassende finanzielle Unterstützung. »Kommt die BEW wie von der Regierung signalisiert, wäre sie sehr attraktiv für die Fernwärmeversorger«, erklärt Sandrock.
Er spricht im Konjunktiv, weil die Förderrichtlinie schon seit mehr als einem Jahr auf sich warten lässt. Eine Sprecherin des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums begründet die Verzögerung auf Anfrage damit, dass die Förderung beihilferechtliche Fragen berührt. Daher sei man in Abstimmung mit der EU-Kommission. Ziel ist es, die Richtlinie bis Ende Juni zu beschließen, so die Sprecherin.
Der Strompreis muss sinken
Mit der Bundesförderung allein ist es Sandrock zufolge aber nicht getan. Seiner Meinung nach müsse die Politik auch Strom günstiger machen, sodass Wärmepumpen finanziell attraktiver würden. So dürfte es in der nächsten Legislaturperiode auch kommen, da es in dieser Frage parteiübergreifend einen breiten Konsens gibt.
Wenn die Politik die Weichen richtig stellt, wird der klimafreundliche Umbau der Fernwärme an den Versorgern nicht scheitern, ist Sandrock überzeugt. »Die Branche hat die Notwendigkeit erkannt, fossile Energien in der Fernwärme durch erneuerbare zu ersetzen. Da wird in den nächsten Jahren viel passieren.«