Klimaschutz in der Industrie Bakterien bilden Industriechemikalien aus Abgasen

Rohstoffquelle: Abgase eines Stahlwerks von Thyssenkrupp in Duisburg
Foto: Marcel Kusch / picture alliance/dpaEin neues biotechnologisches Verfahren bietet eine klimafreundliche Alternative zur Herstellung der Chemikalien Azeton und Isopropanol. Eine Forschergruppe produziert die Substanzen mithilfe von Bakterien aus den Abgasen eines Stahlwerks. Weil dadurch das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) nicht in die Atmosphäre gelangt, ist das Verfahren nicht nur klimaneutral, sondern spart sogar CO₂ ein. Das Team um Michael Jewett von der Northwestern University in Evanston und Michael Köpke von der Firma LanzaTech in Skokie (beide im US-Bundesstaat Illinois) stellt das Verfahren im Fachmagazin »Nature Biotechnology« vor.
Azeton ist eine Grundchemikalie, die als industrielles Lösungsmittel und als Vorstufe für Acrylglas und andere Kunststoffe verwendet wird. Isopropanol ist Bestandteil von Medikamenten, Kosmetika und auch von Desinfektionsmitteln, mit denen etwa das Coronavirus Sars-CoV-2 bekämpft wird. Das Marktvolumen für diese beiden Chemikalien geben die Forscher mit zehn Milliarden Dollar an. Bisher sind Erdöl und Erdgas für die industrielle Herstellung der Chemikalien notwendig, die Prozesse sind energieaufwendig und führen zu klimaschädlichen Abgasen und gefährlichen Abfällen.
»Die entwickelten Azeton- und Isopropanol-Herstellungswege werden die Entwicklung anderer neuer Produkte beschleunigen, indem sie den Kohlenstoffkreislauf für ihre Verwendung in mehreren Branchen schließen«, wird Jennifer Holmgren, Geschäftsführerin der Firma LanzaTech, in einer Mitteilung ihres Unternehmens zitiert. Viele der Studienautoren waren bereits daran beteiligt, Ethanol (den Alkohol in Bier und Wein, der auch als Treibstoff genutzt wird) mithilfe des Bakteriums Clostridium autoethanogenum herzustellen. Das seit Kurzem industriell genutzte Verfahren diente den Forschern als Ausgangspunkt.
Für die neue Aufgabe veränderten sie das Bakterium nun biotechnologisch. Zunächst recherchierten sie dazu in Gendatenbanken. In nachfolgenden Experimenten schalteten sie Gene aus, die etwa zur Herstellung unerwünschter Nebenprodukte führen. Sie verdoppelten zudem ein Gen, das die gewünschte Reaktion begrenzt – so konnten sie den Ertrag an Azeton und Isopropanol enorm steigern.
Schließlich übertrugen sie das Verfahren aus einem Zweilitergefäß im Labor in einen 120-Liter-Tank für den industriellen Prozess. Als der Prozess störungsfrei lief, führten sie eine Lebenszyklusanalyse durch: Wie ist die CO₂-Bilanz von den Rohstoffen bis zum fertigen Produkt? In Kilogramm CO₂-Äquivalent pro Kilogramm Chemikalie gemessen, ergab sich für Azeton ein Wert von minus 1,78 und für Isopropanol von minus 1,17. Die Werte sind negativ, weil mehr CO₂ eingebunden als ausgestoßen wird. Bei den herkömmlichen Produktionsverfahren liegen die Werte bei 2,55 (Azeton) und 1,85 (Isopropanol), was größere Treibhausgasemissionen bedeutet.
»Die Schaffung eines zirkulären oder sogar netto negativen Industriesektors durch neuartige Ansätze der synthetischen Biologie wird die Klimakrise nicht allein lösen, aber sie kann einige der am schwierigsten kohlenstofffrei zu gestaltenden Teile der Weltwirtschaft angehen«, schreiben Corinne Scown und Jay Keasling vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley (Kalifornien, USA) in einem Kommentar, ebenfalls in »Nature Biotechnology«. Sie verweisen darauf, dass der größte Vorteil des neuen Verfahrens darin liegen könnte, dass mit ihm drei und künftig vielleicht mehr Produkte hergestellt werden können. Denn dadurch könne ein Produzent flexibel auf die Bedürfnisse des Weltmarkts reagieren.