Umbau zu Speichern Kohlemeiler könnten bei Energiewende helfen

Braunkohlekraftwerk bei Grevenbroich (Archivbild)
Foto: Oliver Berg/ picture-alliance/ dpaDie spanische Provinz Almeria könnte einmal als Ort in die Geschichte eingehen, der Jobs in deutschen Kohlemeilern gerettet hat. In einer Halbwüste Andalusiens erforschen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) seit den Achtzigerjahren, wie sich die brennende Hitze der Sonne zur Energiegewinnung nutzen lässt.
Riesige Parabolspiegel konzentrieren die Solarwärme und erzeugen Wasserdampf, der unter hohem Druck eine Turbine und einen Generator zur Stromerzeugung antreibt. Ganz ähnlich funktionieren fossile Kraftwerke von der Lausitz bis ins Rheinische Revier, bloß dass die für die Wärmegewinnung Kohle verbrennen und dem Klima schaden.
Ökostrom puffern
Ein zentrales Element solarthermischer Kraftwerke wollen die DLR-Forscher bald in Kohlemeiler verpflanzen und sie so vor dem Energiewende-Tod bewahren. In Andalusien speichern gigantische Tanks mit flüssigem Salz die Energie der Sonne. In deutschen Kraftwerken könnten die Salzdepots mit Wärme beladen werden, die aus einer Art Tauchsieder stammt, der mit Elektrizität aus dem Netz gespeist wird. Je höher der Grünstromanteil, desto besser die Ökobilanz.

Parabolrinnen-Kollektoren in Almeria (Spanien)
Foto: Frm/ picture-alliance/ dpaDie alten Kohlemeiler würden dann wie eine Batterie funktionieren und eines der zentralen Probleme erneuerbarer Energien lösen - ihre Unstetigkeit. An einem Tag scheint die Sonne und zugleich bläst der Wind - am nächsten ist es bedeckt und windstill. Gelänge es, Energie an einem Tag zu speichern und nachts oder an einem anderen Tag wieder abzurufen, wären die Schwankungen beim Ökostrom geringer.
Die Idee zu der lebensverlängernden Maßnahme hat es vom Stuttgarter DLR aus bis in den Berliner Koalitionsvertrag geschafft. Union und SPD haben darin vereinbart zu prüfen, "inwieweit zukünftig nicht mehr benötigte Kraftwerksstandorte für große thermische Speicherkraftwerke genutzt werden können".
Strom aus der Wüste
Die Energie der Sonne bietet ein riesiges Potential: Pro Jahr gehen 630.000 Terawattstunden an ungenutzter Sonnenstrahlen-Energie auf die Wüsten in Nahost und Nordafrika nieder. Zum Vergleich: Ganz Europa verbraucht pro Jahr etwa 4000 Terawattstunden.
Würde man auf etwa 20.000 Quadratkilometern der nordafrikanischen Wüste Solarthermie-Kraftwerke aufstellen, ließe sich daraus theoretisch so viel Strom gewinnen, um den Bedarf Europas zu decken. Der gewonnene saubere Strom würde mit Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen nach Europa transportiert werden.
Das Prinzip kennt jeder, der einmal mit einem Brennglas Löcher in Papier gebrannt hat: Gebündelte Sonnenstrahlen, von Parabolrinnen-Spiegeln konzentriert, erhitzen Wasser, Dampf treibt Turbinen an, und die erzeugen Strom. So funktioniert ein Solarthermie-Kraftwerk. Auch bei Nacht: In Salzspeichern kann die am Tag erzeugte Wärme für einige Stunden festgehalten werden. So können die Turbinen auch laufen und Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint. Die Technologie ist alt und bewährt: In Kalifornien erzeugen Solarthermie-Kraftwerke seit den achtziger Jahren Strom. In Südspanien wurden kürzlich drei neue Kraftwerke gebaut.
Solarthermie hat Vorteile gegenüber Photovoltaik: Sie ist günstiger und nicht so wartungsintensiv. Außerdem benötigen Solarzellen teure Speicher für den Strom, um eine Versorgung bei Nacht zu gewährleisten. Dafür produzieren Solarzellen direkt Strom, wohingegen mit Solarthermie der Umweg über Wärme und Turbinen gegangen werden muss.
Nachts scheint keine Sonne, in Flüssigsalz-Speichern kann man einen Teil der tagsüber solarthermisch erzeugten Wärme aber chemisch speichern - derzeit bis zu acht Stunden lang. So können die Turbinen auch nachts laufen, die Stromversorgung ist durchgehend gesichert.
Um den Strom über eine Distanz von 3000 Kilometern nach Europa zu transportieren, braucht man Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen (HVDC). Normale Wechselstrom-Leitungen sind zu verlustreich. HVDC-Leitungen haben einen Verlust von etwa drei Prozent auf 1000 Kilometern. Auch diese HVDC-Technologie ist vorhanden und erprobt.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat in einer Machbarkeitsstudie errechnet, dass bis zum Jahr 2050 etwa 400 Milliarden Euro nötig wären, um so viel Solarthermie-Kraftwerke zu bauen, dass Europa 15 Prozent seines Strombedarfs damit decken könnte. 350 Milliarden Euro würden die Kraftwerke kosten und etwa 50 Milliarden Euro das Leitungsnetz, um den Strom von Nordafrika nach Europa zu transportieren.
Solarthermie ist Low-Tech - zuverlässig und risikofrei. Die Kraftwerke können nicht explodieren, es entsteht kein radioaktiver Abfall oder klimaschädliches CO2 und man braucht keine Kohle, kein Öl und kein Uran, um sie zu betreiben. Geht ein Spiegel-Modul kaputt, wird es einfach ausgetauscht - der Betrieb des Kraftwerks ist nicht gestört. Ein weiterer großer Vorteil: Baut man die Kraftwerke in Küstennähe, könnten mit dem Strom auch Meerwasser-Entsalzungsanlagen betrieben werden und dringend benötigtes Wasser für die nordafrikanischen Länder produziert werden. Politisch und wirtschaftlich gesehen könnten die Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas auf dem Exportgut sauberer Strom eine solide Wirtschaft und Wohlstand aufbauen.
Kritiker sehen die Gefahr von Abhängigkeit von den politisch eher instabilen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens. Zudem könnte das Leitungsnetz Ziel von Terroristen sein - die Stromversorgung Europas wäre im Falle eines Anschlags gefährdet. Politische Hürden bestehen vor allem darin, dass für eine Umsetzung des Desertec-Konzepts die Zusammenarbeit sowohl vieler europäischer Staaten untereinander erforderlich ist als auch mit Nordafrika und dem Nahen Osten. Diese Beziehungen sind allerdings historisch belastet.
DLR-Forscher André Thess sieht den großen Vorteil der Technologie darin, volkswirtschaftliches Kapital zu erhalten. Nach dem Konzept des Physikers blieben von einem Meiler Dampferzeuger, Turbine und Generator weiter in Betrieb.
Ein Nachteil ist bisher jedoch die geringe Effizienz. Die Tauchsiedermethode begrenzt den Wirkungsgrad auf 30 bis 40 Prozent. Damit Speicherkraftwerke wirtschaftlich werden, müsse man mindestens 50 Prozent erreichen, sagt Thess. Nötig sind dazu noch detaillierte Konzepte für die Auslegung der Wärmespeicher und die Entwicklung neuartiger Wärmepumpen für Temperaturen über 500 Grad. Wärmepumpen komprimieren und verflüssigen Gas, um Wärme zu produzieren. Ein Prinzip, das auch Kühlschränke anwenden, nur dass dabei Kälte statt Wärme genutzt wird.
Wirkungsgrad bis 80 Prozent möglich
Noch höhere Temperaturen würden die Effizienz weiter verbessern, deshalb untersucht das Solar-Institut Jülich auch feste Speichermedien wie Keramik und Quarzsand. Mit einer Technik, die die Rheinländer als Kombination aus Fön und Induktionsherd beschreiben, wollen sie einen bis zu 1000 Grad Celsius heißen Luftstrom erzeugen. Zusätzlich soll es möglich sein, einen Teil der Wärme direkt in der Industrie zu nutzen. Der Wirkungsgrad soll so auf 80 Prozent steigen.
Fast alle großen Kraftwerksbetreiber lassen durchblicken, dass sie sich mit solchen Konzepten bereits beschäftigt haben. Solange die Kohlekommission tagt, tun sich die Konzerne aber naturgemäß schwer damit, sich zu möglichen Nachnutzungen zu äußern. Stattdessen hat der Düsseldorfer Kraftwerksbetreiber Uniper jüngst eine Art Stilllegeprämie für fossile Stromfabriken gefordert, die für vier Jahre in einer sogenannten Sicherheitsbereitschaft bleiben sollen.
Im Video: Ende Gelände? Protest gegen Braunkohle
Von ausführlichen Modellrechnungen für den Umbau von Steinkohlemeilern berichtet die Essener Steag, die in Spanien auch eine Solarthermie-Anlage mit Salzspeicher betreibt. "Steag hat sich bereits vor drei Jahren mit diesem Thema beschäftigt und für zwei Standorte Szenarien entwickelt", verrät der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung Wolfgang Benesch. Rein technisch ließen sich thermische Speicherkraftwerke dem Unternehmen zufolge realisieren. Die untersuchten Flüssigsalz- oder Feststoffspeicher könnten etwa so viel Energie aufnehmen, wie ein Kohlekraftwerk innerhalb eines halben Tages produziert.
Förderung von Pilotanlagen?
Wirtschaftlich seien Speicherkraftwerke derzeit allerdings nicht, beklagt Benesch. "Sobald sich die wirtschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen verändern würden, könnte Steag aber auf den gewonnenen Erkenntnissen aufbauen."
DLR-Forscher Thess berichtet aus Gesprächen mit interessierten Betreibern, dass sie für ein fünfjähriges Pilotvorhaben gerne von Abgaben auf den Strompreis befreit werden wollen. Zusätzlich schwebe den Unternehmen noch eine Projektförderung durch die Politik in dreistelliger Millionenhöhe vor.
Wirtschaftlich interessant seien die neuartigen Wärmebunker vor allem im Vergleich mit anderen Technologien, rechnet Ulf Herrmann vor, der das Solar-Institut Jülich leitet. Die Investitionskosten schätzt der Maschinenbauer auf etwa 120 Euro pro Kilowattstunde Speichervermögen. Das ist weit weniger als bei Batterien und vergleichbar mit Pumpspeichern.
Ob sich alle Kraftwerksinnereien in die postfossile Ära verpflanzen lassen, ist aber noch nicht ausgemacht. Der Dampferzeuger müsse gänzlich anders konzipiert sein, betont ein Sprecher von Uniper. Wenn aber Dampferzeuger und Wärmespeicher neue Komponenten sind, sei es sinnvoller, auch eine neue Turbine zu verwenden, um die Komponenten perfekt aufeinander abzustimmen.
Mit Prozessen wie dem Kohlehandling und der Rauchgasreinigung würden in jedem Fall beschäftigungsintensive Schritte überflüssig. Steag-Manager Benesch: "Wir rechnen damit, dass in einem Speicherkraftwerk etwa die Hälfte der Arbeitsplätze erhalten bleibt."