

Die Ära von Silizium geht zu Ende. Zwar sind Computerchips in den vergangenen Jahren immer schneller geworden. Doch bei den Schaltzeiten der Silizium-Transistoren, die in jedem Chip massenhaft vorkommen, gibt es eine physikalische Grenze. Taktfrequenzen oberhalb von vier oder fünf Gigahertz sind daher kaum möglich.
Physiker und Informatiker setzen daher große Hoffnungen in ein neues Wundermaterial mit dem Namen Graphen, das deutlich schnellere Chips ermöglichen könnte. Graphen besteht aus Kohlenstoffatomen, die ein zweidimensionales, äußerst robustes Netz bilden. 2004 wurde Graphen erstmals in stabiler Form im Labor nachgewiesen, 2010 bekamen die beiden Forscher Andre Geim und Konstantin Novoselov dafür den Physik-Nobelpreis.
Das Potential ist gewaltig: Graphen könnte die Taktrate von Computerchips auf 500 bis 1000 Gigahertz steigern, glauben MIT-Wissenschaftler. Andre Geim und seine Kollegen von der University of Manchester berichten nun über spannende Beobachtungen bei einer speziellen Graphen-Variante: Die Forscher konnten zwei Lagen des Materials so zusammenfügen, dass darin kaum noch Defekte auftraten, was den Stromfluss verbessert. Die Elektronen konnten sich in der Graphen-Doppelschicht ähnlich wie eine Flüssigkeit bewegen, berichten sie im Fachblatt "Science". Die Arbeit könnte auch die Chipentwicklung weiter nach vorn bringen, denn doppellagiges Graphen gilt als aussichtsreicher Kandidat für den Bau superschneller elektronischer Schalter (Transistor).
Chips mit 1000 Gigahertz
Transistoren aus Graphen schalten deutlich schneller als jene aus Silizium, weil die Elektronen sich in dem Material schneller bewegen können. "Wenn ein Transistor schaltet, müssen Ladungen bewegt werden", erklärt Guido Burkard von der Universität Konstanz im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Je mobiler diese seien, umso schneller arbeite der Transistor. "Graphen hat eine erstaunlich hohe Mobilität - es ist das Silizium von morgen", meint der Physiker.
Für den Einsatz als elektronischer Schalter muss Graphen freilich noch modifiziert werden. Einlagiges Graphen ist wie Metall ein guter elektrischer Leiter, erst in zwei Lagen wird es zum Halbleiter und damit Transistor-tauglich. Daher rührt auch das Interesse der Geim-Gruppe an Graphen-Doppelschichten. Es gibt jedoch auch noch eine andere Möglichkeit, Graphen zum Halbleiter zu machen: Man muss es, wie 2010 von IBM-Forschern demonstriert, in schmale Streifen schneiden. Aus diesen Streifen konnten die Wissenschaftler dann einen Graphen-Chip mit einer Taktrate von 100 Gigahertz bauen.
Dass heute so viele Wissenschaftler weltweit Graphen erforschen, geht letztlich auf eine Spielerei von Geim und Novoselov zurück. In ihrem Labor an der University of Manchester haben sie etwa ein Zehntel der Arbeitszeit für Feierabend-Experimente reserviert. Dann machen die Physiker alle möglichen verrückten Sachen, die vielleicht zu nichts führen, womöglich aber auch zu einer spektakulären Entdeckung. So entstand auch die Idee, mit Klebeband einzelne Atomlagen von Graphit abzuziehen. Die Forscher klebten immer wieder einen neuen Streifen auf das Klebeband und zogen ihn ab, bis schließlich nur noch eine Lage Kohlenstoffatome übrig war - das Graphen.
Touchscreens und Metamaterial
Die neue Arbeit über zweilagiges Graphen reiht sich ein in eine Vielzahl von Publikationen rund ums Thema Kohlenstoffmatten. Im Fachblatt "Nature Nanotechnology" beschreiben US-Forscher die Entwicklung von Metamaterial auf Graphen-Basis. Aus Metamaterial können unter anderem Tarnkappen gebaut werden. Im Magazin "Nature Communications" berichten britische Wissenschaftler, darunter auch Geim und Novoselov, über eine neue Graphenvariante, die 20-mal mehr Licht absorbieren kann als normales Graphen. Lichtdetektoren auf Graphenbasis könnten damit deutlich schneller arbeiten, schreiben die Wissenschaftler, der Durchsatz von Daten in Glasfasernetzen drastisch erhöht werden.
Vor den Wissenschaftlern liegt noch viel Arbeit. "Wir arbeiten seit fünf, sechs Jahren mit Graphen, aber wir kennen es immer noch nicht ausreichend genau", konstatiert der Konstanzer Physiker Guido Burkard. "Die Technik zur Graphen-Herstellung wird von Tag zu Tag besser", sagt Nobelpreisträger Konstantin Novoselov. Dies habe unmittelbare Auswirkungen auf physikalische Erkenntnisse über das Material - aber auch auf die Vielfalt möglicher Anwendungen.
Längst arbeiten nicht nur Grundlagenforscher, sondern auch Konzerne wie IBM oder Nokia mit dem vielseitigen Material, das unter anderem in transparenten Touchscreens zum Einsatz kommen könnte. Reines Graphen ist nämlich praktisch durchsichtig, es absorbiert nur 2,3 Prozent des durchscheinenden Lichts. Bei Berührungen ändert sich jedoch sein Leitungsverhalten, weshalb es sich ideal für berührungsempfindliche Displays eignet, egal ob diese durchsichtig sind oder nicht.
Handyhersteller wie Nokia setzen besonders große Hoffnungen in das Material. Es könnte eines Tages nicht nur Fernseher möglich machen, die man wie eine Tapete aufrollen kann. Die Entwickler aus Finnland denken auch an ein Handy mit einem roll- oder faltbaren Display, das locker in die Hosentasche passt, aber auseinander gefaltet die Größe eines iPads hat.
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Zweidimensionale Struktur: Bei Graphen bilden die Atome sechseckige Waben. Die Kohlenstoff-Matten haben erstaunliche Eigenschaften, die nicht nur Physiker faszinieren.
Graphen-Lage (Zeichnung): Das Material ist ein sehr guter elektrischer Leiter und praktisch durchsichtig. Zum Bau von Transistoren muss es modifiziert werden - zum Beispiel durch Hinzfügen einer zweiten Lage. Dann verhält es sich wie ein Halbleiter.
Vielfältige Optionen: Durch Zusatz von Wasserstoffatomen (rot) haben Forscher ein sogenanntes Graphen-Kristall erzeugt.
Graphen-Schicht unterm Rastertunnelmikroskop: Das Material ist hundertmal so kräftig wie Stahl. Eine Graphenlage könnte eine Katze tragen, ohne zu reißen.
Transistor aus schmalen Graphen-Streifen: IBM-Forscher haben 2010 einen Graphen-Chip mit einer Taktrate von 100 Gigahertz gebaut.
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