Leidenfrost-Effekt Mini-Reaktoren tanzen auf der Herdplatte
Kurz nicht aufgepasst, den Topf mit den Nudeln schwungvoll angehoben und schon fallen einige Tropfen Wasser auf die Herdplatte. Doch statt zu verdampfen tanzen sie umher und schweben über die Platte. Jeder kennt den sogenannten Leidenfrost-Effekt aus dem Alltag. Er ist nach dem deutschen Forscher Johann Gottlob Leidenfrost benannt, der ihn im 18. Jahrhundert erstmals beschrieb.
Das Geheimnis der schwebenden Tropfen ist der Wasserdampf, der unter ihnen entsteht. Er lässt sie sekundenlang umherwandern, hebt sie an und schützt sie eine Zeit lang vor der Hitze. So können die Tropfen auch auf mehreren hundert Grad Celsius heißen Platten noch größtenteils flüssig bleiben und ihr endgültiges Schicksal hinauszögern. Die Wasserdampfschicht ist vergleichbar mit einem Luftkissenboot, das auf einer Schicht aus Luft schwebt.
Das bekannte Phänomen beschäftigt auch Kieler Chemiker. Allerdings haben sie den Effekt nicht nur untersucht, sondern nach Wegen gesucht, um ihn nutzbar zu machen. Die Wissenschaftler um Ramzy Abdelaziz zeigten in einer vor kurzem im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlichten Studie, dass die Bedingungen in den Tropfen sie nicht nur optisch zu einem faszinierenden Schauspiel machen.
Die Wassertropfen lassen sich als kleine chemische Reaktoren nutzen, in denen Prozesse nicht nur beschleunigt ablaufen, sondern unter ständiger Bewegung. "In den Tropfen ist meist alles vorhanden, was für die Reaktionen nötig ist: überhitzte Regionen, Ionen und Wasser als Lösungsmittel", erklärt Mady Elbahri vom Institut für Materialwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Daher liege es nahe, die Tropfen für eine "grüne und nachhaltige Chemie" einzusetzen.
Wassertropfen formt porösen Goldschwamm
Durch die besonders heißen Regionen in dem Tropfen und die chemischen Eigenschaften des teilweise ionisierten Wassers könnten sich Chemikalien einsparen lassen, die sonst zur Unterstützung von Reaktionen nötig sind. Der Tropfen selbst wirkt als Katalysator. Damit wären chemische Reaktoren denkbar, die die Umwelt weniger belasten als übliche Produktionsstätten.
Einsetzen lassen sich auch die natürlichen Strömungen, die durch die Hitze in den Tropfen auftreten. "Die Leidenfrost-Tropfen funktionieren wie ein Mixer", sagt Elbahri. "Sie erzeugen durch ihre Dynamik und Bewegung Strukturen." Zeigen konnten die Forscher dies am Beispiel von Goldverbindungen, denen Säuren beigesetzt wurde.
In einem Video demonstrieren sie, wie sie Nanopartikel und auch poröse Gold-Nanoschwämme mit Leidenfrost-Tropfen erzeugen. Im schwebenden Zustand auf einer heißen Platte lassen sich die Mini-Reaktoren sogar zusammenführen. Denkbar wären damit auch mehrstufige Prozesse, auch das Abschöpfen der Flüssigkeit ist technisch möglich.
Nanobeschichtungen durch verdampfende Träger
Auch im Bereich der Materialbeschichtung bieten die verdampfenden Tropfen interessante Möglichkeiten. "Dreidimensionale Strukturen zu überziehen ist oft schwierig", erklärt Elbahri. "Mit Hilfe der Tropfen lassen sich Nanopartikel direkt auftragen und in alle Ecken schleudern."
Momentan sind die Wassertropfen allerdings noch nicht permanent stabil, manchmal bilden sich Blasen. Die stören den Beschichtungsprozess, auch wenn sie nur selten auftreten. Zudem stellen sich für die Forscher grundsätzliche Fragen: Denn vollkommen verstanden ist das Leidenfrost-Phänomen noch immer nicht.
Beispielsweise haben die Kieler Forscher beobachtet, dass die Tropfen alle paar Sekunden die Platte kurzzeitig berühren. Erst dadurch bauen sie wieder eine Schicht aus Dampf auf, die sie als Polster wiederum sekundenlang schweben lässt. Der Leidenfrost-Effekt ist offenbar ein zyklischer Vorgang. Mady Elbahri gibt zu: "Wir stehen erst noch am Anfang der Leidenfrost-Chemie."

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