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Libyen: USA setzen Erdkampfflugzeuge ein

Foto: USAF

Luftkrieg gegen Gaddafi "Schreckgespenst" jagt Truppen des Diktators

Die US-Luftwaffe nutzt im Libyen-Krieg jetzt Flugzeuge wie die AC-130. Die sogenannten "Schreckgespenster" können Präzisionsangriffe gegen Bodentruppen fliegen - und das auch in Städten. Kritiker befürchten, dass die USA dadurch immer tiefer in einen Langzeit-Konflikt geraten.

Die US-Luftwaffe verstärkt ihre Luftangriffe auf die Truppen des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi: Seit dem Wochenende kommen in dem Konflikt auch Flugzeuge vom Typ AC-130 und A-10 "Thunderbolt" ("Donnerkeil") zum Einsatz. Beide Maschinen sind auf Präzisionsangriffe gegen Bodentruppen spezialisiert - und das auch in städtischen Gebieten, die aus Furcht vor zivilen Opfern für die alliierten Luftstreitkräfte bisher tabu waren. Die Strategie sei weiterhin, die Truppen des Gaddafi-Regimes unter Druck zu setzen, sagte Vizeadmiral William Gortney, Direktor des Vereinigten Stabs des US-Militärs, der "Washington Post". "Die Zahl der Luftangriffe auf Bodenziele ist eine direkte Folge davon."

Die AC-130, je nach Variante unter den Beinamen "Spectre" ("Schreckgespenst")oder "Spooky II" bekannt, ist mit 20- oder 25-Millimeter-Maschinenkanonen, einem 40 Millimeter-Geschütz und einer 105-Millimeter-Haubitze bewaffnet, die allesamt seitlich aus dem Rumpf lugen. Insbesondere die 20- und 25-Millimeter-Gatlinggeschütze werden dank ihres kleineren Kalibers oft auch in städtischen Gebieten eingesetzt.

Die A-10, auch "Warthog" -Warzenschwein - genannt, ist vor allem auf Angriffe gegen Panzer spezialisiert, kann aber auch andere Bodenziele bekämpfen. Sie ist dank ihrer relativ geringen Geschwindigkeit und des Schutzes gegen Flakfeuer ebenso wie die AC-130 in der Lage, Bodenziele auf engem Raum zu bekämpfen - besser zumindest als die bisher eingesetzten Kampfjets der Alliierten, die ihre Ziele üblicherweise mit Raketen und Bomben bekämpfen.

Nächste Phase im Luftkrieg

Der Einsatz der beiden Erdkampfflugzeuge - laut "New York Times" wurden sechs A-10 und zwei AC-130 nach Libyen geschickt - markiert die nächste Phase im Luftkrieg der Alliierten: Die Flugverbotszone steht, nun wird der Krieg gegen die Bodentruppen Gaddafis intensiviert.

Dass ein Flugzeug wie die AC-130 überhaupt zum Einsatz kommt, deutet darauf hin, dass die Alliierten die libysche Luftwaffe und Flugabwehr für weitgehend ausgeschaltet halten. Denn die langsam und tief fliegende AC-130 gilt als äußerst verwundbar gegen Raketen und Flakfeuer. Die US-Luftwaffe musste das etwa im ersten Golfkrieg schmerzlich feststellen, als eine AC-130 im Januar 1991 bei der Schlacht um Chafdschi mit einer tragbaren russischen "Strela"-Rakete abgeschossen wurde. Alle 14 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

Der militärische Vorteil der AC-130 ist, dass ihre Kanonen eine verheerende Feuerkraft relativ präzise entfesseln können. Ähnliches gilt für die A-10. "Sie besitzen Waffen, die auf ein ziemlich kleines Gebiet wirken und das Risiko von Kollateralschäden verringern", sagte David Deptula, ein ehemaliger General der US-Luftwaffe, der "Washington Post".

Das bedeutet freilich nicht, dass zivile Todesopfer ausgeschlossen sind. Im Falle Libyens wären die politischen Folgen derartiger Tragödien wohl besonders groß - denn die Intervention soll ausdrücklich ein humanitärer Einsatz zum Schutz von Zivilisten sein. Das Töten von Unschuldigen könnte den Westen deshalb um seine Glaubwürdigkeit und um die so wichtige Unterstützung seiner arabischen Verbündeten bringen.

Angst vor zivilen Opfern

Eine einzige fehlgeleitete Rakete, die in eine Klinik oder ein Haus voller Kinder einschlage, könne die zerbrechliche Allianz zwischen Nato und arabischen Nationen nachhaltig beschädigen, sagte ein westlicher Diplomat der "Washington Post".

Schon gibt es erste Differenzen wegen der Luftschläge gegen Gaddafis Truppen. Die Araber fürchteten die Gefahr für Unschuldige, andere Länder erheben politischen Einspruch. Russlands Außenminister Sergej Lawrow etwa warf der Nato vor, mit den Luftschlägen gegen Gaddafis Truppen Partei in einem Bürgerkrieg zu ergreifen. Das verstoße gegen die Uno-Resolution 1973, die lediglich die Errichtung einer Flugverbotszone zum Schutz von Zivilisten erlaube.

Die USA sehen sich dadurch inzwischen zu Verbalakrobatik genötigt. Vizeadmiral Gortney etwa betonte, dass der Einsatz der AC-130 und A-10 keinesfalls erfolge, um den Vormarsch der Rebellen in Libyen zu erleichtern. "Wir geben der Opposition keine direkte Unterstützung", sagte Gortney. "Das gehört nicht zu unserem Mandat." Ebenso wenig koordiniere man sich mit den Aufständischen.

Der Einsatz der Erdkampfflugzeuge zeigt auch das Dilemma der US-Regierung: Verstärkt man die Luftangriffe auf Bodenziele, steigt die Gefahr ziviler Todesopfer. Tut man zu wenig, trägt Diktator Gaddafi womöglich den Sieg davon - die USA und die gesamte Nato wären diskreditiert.

Das Dilemma der US-Regierung

Videos von US-Luftangriffen, die den Tod libyscher Zivilisten im Stil von Computerspielen zeigen, wären für den Westen eine politische Katastrophe. Der letzte größere Fall dieser Art war das von WikiLeaks veröffentlichte Video aus einem US-Kampfhubschrauber. Es zeigte, wie die Besatzung immer wieder auf irakische Zivilisten schießt, untermalt von zynischen Kommentaren. Ähnliche Bordkamera-Videos gibt es auch von Einsätzen der AC-130 - sie sind etwa bei YouTube zu sehen. Sie beweisen vor allem eines: Trotz aller Technologie ist es äußerst schwierig, aus der Luft zu erkennen, ob man feindliche Soldaten im Visier hat - oder ob die Geschosse Zivilisten in Stücke reißen werden.

Böse Erinnerungen weckt allerdings auch der Gedanke an eine reine Luftschlags-Operation. Im Bosnienkrieg etwa beherrschten Nato-Flugzeuge den Luftraum, während am Boden Zivilisten massakriert wurden. Die "Washington Post" zitiert nicht namentlich genannte Regierungsbeamte mit der Aussage, dass man nicht noch einmal an einer derart begrenzten Intervention teilnehmen wolle.

Zugleich haben mehrere US-Abgeordnete scharfe Kritik an dem Einsatz geübt - denn sie fürchten, dass ihr Land in einen weiteren Endlos-Konflikt hineingezogen wird, der nicht zu gewinnen ist. "Welche Rolle spielen wir in Libyen? Welches Ziel haben wir?", fragte etwa der republikanische Senator John Barrasso. Die US-Streitkräfte könnten womöglich "für Wochen und Monate" in Libyen feststecken.

Der demokratische Senator Robert Menendez lästerte: "Hätten wir das Abschlachten von Unschuldigen weiter zugelassen, hätten viele unserer republikanischen Kollegen gesagt, der Präsident hätte handeln sollen." Präsident Obama stecke da in einer Zwickmühle: "Du bist der Dumme, wenn du es tust, und der Dumme, wenn du es lässt."

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