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Nachbeben in Japan Wasserlecks im AKW Onagawa schüren neue Ängste

In Japan richten sich bange Blicke auf ein weiteres AKW, das von Onagawa: Radioaktives Wasser ist aus den Abklingbecken geschwappt, weitere Lecks wurden entdeckt. Dutzende Tonnen abgebrannter Brennstäbe werden auf dem Gelände gelagert. Setzt die Kühlung aus, drohen erhebliche Gefahren.
Von Cinthia Briseño

Tokio - Sendai liegt nur 70 Kilometer von Onagawa entfernt. In der Stadt, dem Verwaltungssitz der japanischen Präfektur Miyagi, leben etwas mehr als eine Million Menschen. Der erste Schock für sie kam Donnerstagnacht um 23.32 Uhr. Nur 66 Kilometer östlich von Sendai erzitterte die Erde und ließ erneut Gebäude und Häuser heftig wackeln. Bald darauf kam der zweite Schock für die Menschen in der Stadt: Im nahe gelegenen AKW Onagawa wurde ein Zwischenfall gemeldet.

Radioaktives Wasser sei in allen drei Reaktoren auf den Boden geschwappt, teilte der Betreiber Tohoku Electric Power am Freitag mit. Seit der großen Erschütterung am 11. März galt das AKW Onagawa als eine Art Muster-Atomkraftwerk: Das gewaltige Erdbeben mit einer Stärke von 9,0 und der nachfolgende Tsunami konnten ihm nichts anhaben. Und das, obwohl Onagawa - genauso wie das Katastrophen-AKW Fukushima I - direkt an der Küste liegt und von einer meterhohen Tsunami-Welle überrollt wurde. 14 Meter hoch soll sie nach Angaben der japanischen Zeitung "Asahi Shimbun" in Fukushima gewesen sein, in Onagawa war sie demnach sogar 17 Meter hoch. Nur knapp 120 Kilometer liegen zwischen den beiden AKW.

Zwar stand auch in Onagawa der Keller des Reaktorblocks 2 kurzzeitig unter Wasser. Im Gegensatz zu Fukushima erlitt Onagawa aber am 11. März keinen Schaden. Beim Bau der Anlage hatte der Tohoku-Konzern schärfere Sicherheitsbedingungen walten lassen als Konkurrent Tepco. Zwar rechneten die Architekten dort nur mit Tsunami-Wellen von höchstens neun Metern (Tepco ging beim Bau von Fukushima von Wellen von höchstens sechs Metern aus), dennoch wollte der Betreiber auf Nummer sicher gehen und errichtete einen 15 Meter hohen Sockel, auf dem das AKW gebaut wurde. Dieser war gerade hoch genug, um eine ähnliche Katastrophe wie in Fukushima abzuwenden.

Während Tepco in Fukushima die Kontrolle verlor, schaltete Tohoku sein Werk lediglich ab. Eine Zeit lang bot es sogar einigen Hunderten Obdachlosen ein Dach über dem Kopf: In einer Turbinenhalle kamen Tsunami-Opfer unter, Tohoku übernahm die Verpflegung.

Kühlung über mehrere Jahre

Jetzt hat es Onagawa aber doch getroffen. Wie schwer der Zwischenfall dort wirklich war, ist zur Stunde noch nicht abzusehen. Nach Angaben des Fernsehsenders NHK schwappten insgesamt mehrere Liter leicht radioaktives Wasser aus den Abklingbecken. Darin lagern die verbrauchten Brennelemente aus den Reaktoren. Mehrere Jahre müssen diese in den Becken liegen, bis sie so weit abgekühlt sind, dass sie transportiert und in Endlagerstätten gebracht werden können.

Nach Angaben von Tohoku wurde neben allen drei Abklingbecken der Reaktoren 1 bis 2 Wasser gefunden. In einem Fall (Reaktor 3) handelte es sich demnach um eine Menge von 3,8 Litern, im Reaktor 1 waren es 2,3 Liter, in Reaktor 3 insgesamt 1,8 Liter.

Angesichts der teils hochradioaktiven Wassermassen in Fukushima, gegen die Tepco derzeit kämpfen muss, dürften die kleinen Mengen in Onagawa für den Betreiber kein größeres Problem darstellen. Das Wasser kann vergleichsweise einfach dekontaminiert und entsorgt werden. Zunächst aber war von einem Leck in Onagawa die Rede gewesen. "Das wäre ein weitaus größeres Problem", sagt Sven Dokter von der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). Sollte es sich tatsächlich um ein Leck in einem der Abklingbecken handeln, hätte das möglicherweise Folgen für die Kühlung der Brennelemente. Dann käme es drauf an, wie groß das Leck sei und wieviel Wasser daraus abfließe, so Dokter.

Denn ohne Kühlung in den Abklingbecken kann es zu einem Szenario kommen, mit dem der Betreiber Tepco in Fukushima derzeit schwer zu kämpfen hat: Dort ist mitunter kaum noch Wasser in den Abklingbecken, Wasser wird von außen auf die Becken gesprüht. Versagt die Kühlung, kann es nach Meinung von Experten sogar zu einer Selbstentzündung der alten Brennstäbe kommen. Das größte Problem der Abklingbecken aber ist: Im Gegensatz zu den Reaktoren haben sie keine druckresistente Schutzhülle, die verhindert, dass hochradioaktives Material in die Umwelt gelangt.

Nach Angaben von Tohoku hatte die Kühlung nach dem schweren Nachbeben kurzzeitig ausgesetzt. Die Ursache dafür war vermutlich, dass zwei der insgesamt drei Stromversorgungen ausgefallen waren. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete, hatte das Kühlsystem knapp 20 Minuten lang versagt. Inzwischen funktioniere die Kühlung aber wieder.

Rätseln über Quelle des Wassers

Die gute Nachricht aber ist: Solange die Brennelemente vollständig im Wasser liegen, ist es weniger problematisch, wenn die Kühlung vorübergehend aussetzt. Das Wasser in den Abklingbecken steht fast bis zum Beckenrand. Deshalb sei es ein plausibles Szenario, dass Wasser durch das schwere Beben lediglich aus dem Reaktor geschwappt sei, sagt GRS-Sprecher Dokter. Durch die Beschleunigungen könnten sich Wellen aufschaukeln und so das Wasser zum Überschwappen bringen.

Die Abklingbecken sind mit mehreren tausend Litern Wasser gefüllt. Und solange die darin gelagerten Brennelemente intakt sind, gilt das Wasser Experten zufolge als nur schwach radioaktiv und gesundheitlich unbedenklich. Für das Überschwappen spreche zudem, so Dokter, dass man bisher keine erhöhte Strahlungswerte im und rund um das AKW gemessen habe.

Allerdings haben die Techniker nicht nur an den Abklingbecken sondern auch an anderen Stellen der Anlage Wasser gefunden. Es handle sich um insgesamt acht Lecks in der Anlage, wie der Fernsehsender NHK unter Berufung auf den Betreiber berichtete. Neben den Lecks bereite den Tohoku-Technikern vor allem ein beschädigtes Teil in einem Turbinengebäude Probleme, das den Druck kontrollieren soll, meldet NHK. Details dazu sind bisher nicht bekannt.

Schon einmal war eine riskante Lage im AKW Onagawa glimpflich ausgegangen: Nach einem Erdbeben der Stärke 6,8 im Jahr 2008, dessen Epizentrum 480 Kilometer nordöstlich von Tokio lag, war das AKW Onagawa vom Netz gegangen - ohne weitere Folgen.

Mit Material von dpa
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