
Nordkorea: Kims rätselhafte Waffen
US-Studie Experten warnen vor nuklearer Aufrüstung Nordkoreas
Das Prahlen mit militärischer Stärke gehört zum Standardrepertoire Nordkoreas. Doch was ist dran an den vollmundigen Behauptungen von Diktator Kim Jong Un? Meinungen westlicher Experten gehen teils weit auseinander, sie reichen von düsteren Erwartungen bis zu Spott über Pjöngjangs Angeberei.
Jetzt warnt das U.S.-Korea Institute (USKI) der renommierten Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington vor schnellen Fortschritten Nordkoreas bei der nuklearen Aufrüstung. Im schlimmsten Fall, heißt es, könnte sich Pjöngjangs Atomarsenal binnen fünf Jahren auf hundert Bomben nahezu verzehnfachen.
Das Institut hat die Studie am Dienstag in Washington vorgestellt und will sie demnächst auf seiner viel beachteten Webseite "38 North " veröffentlichen. Nachrichtenagenturen erhielten den Report vorab. Er basiert demnach auf Projektionen der Entwicklung von Waffentechnologie sowie auf Erfahrungen mit Atomprogrammen von Staaten wie Israel, Pakistan, Indien und China.
Nordkorea habe in den vergangenen fünf Jahren große Fortschritte bei der Entwicklung von Waffen gemacht, schreiben die USKI-Experten. Die Programme "werden in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich bedeutend ausgeweitet und stellen eine ernsthafte Herausforderung für die USA, Nordostasien und die internationale Gemeinschaft dar".
Das USKI präsentiert drei Szenarien für die weitere Entwicklung des nordkoreanischen Atomprogramms:
- Minimales Wachstum: Die Zahl der nordkoreanischen Atomwaffen wächst von derzeit 10 bis 16 Uran- und Plutoniumbomben auf insgesamt 20 bis zum Jahr 2020. Jede hat eine Sprengkraft von rund zehn Kilotonnen TNT, also etwas weniger als die Hiroshima-Bombe.
- Mittleres Wachstum: Das Arsenal steigt in den nächsten fünf Jahren auf 50 Waffen. Zugleich gelingt es Nordkorea, die Sprengköpfe so weit zu miniaturisieren, dass sie auf Kurz- und Mittelstreckenraketen einer neuen Generation passen.
- Schnelles Wachstum: Der Bestand würde auf 100 Waffen mit einer Sprengkraft von jeweils 20 bis 50 Kilotonnen TNT anwachsen. Dank technologischer Fortschritte könnte Nordkorea auch kleinformatige taktische Atomwaffen einführen.
Schon das mittlere Szenario birgt das Potenzial, die gesamte Region zu destabilisieren: Sollte Nordkorea in den Besitz nuklearer Kurz- und Mittelstreckenraketen kommen, wäre nicht nur Südkorea unmittelbar bedroht. Experten haben wiederholt davor gewarnt, dass sich dann auch andere Staaten wie etwa Japan Atomwaffen zulegen könnten. Nach Nordkoreas Atomtest von 2013 etwa sprach Japans Premierminister Shinzo Abe von einer "schweren Bedrohung", die nicht toleriert werden könne.
Bluff oder ernst zu nehmende Drohung?
Fraglich ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit die unterschiedlichen Szenarien eintreten. So haben US-Militärs und -Geheimdienste in den vergangenen Jahren in teils schrillen Tönen vor der nordkoreanischen Bedrohung gewarnt. Das USKI stellt sich nun auf die Seite der Mahner. In dem neuen Bericht ist die Rede davon, dass Nordkorea schon jetzt Plutonium-Atombomben besitzen könnte, die klein genug wären, um auf Mittelstrecken- oder Interkontinentalraketen ins Ziel gebracht zu werden.
Diese Systeme seien bereits in der Lage, große Teile Nordostasiens zu erreichen. In Zukunft könne Pjöngjang auch eine begrenzte Zahl von "Taepodong-2"-Langstreckenraketen einsetzen. Die militärische Version der "Unha-3"-Rakete, mit der Nordkorea Ende 2012 einen Satelliten ins All gebracht hat, könne auch das Festland der USA erreichen.
Andere Experten wiederum halten Pjöngjangs Drohungen und Waffen-Inszenierungen für nicht viel mehr als politisch motivierten Bluff. Mitunter könne Nordkorea nicht einmal überzeugende Attrappen bauen. Zudem müssten Raketen - und nuklear bewaffnete ganz besonders - in zahlreichen Tests ihre Zuverlässigkeit beweisen. Die "Taepodong-2" aber hat bisher wahrscheinlich noch keinen einzigen Versuch erfolgreich absolviert. Das gleiche gilt für andere nordkoreanische Systeme wie etwa die "Musudan"-Mittelstreckenrakete.
US-Regierung "zutiefst besorgt"
Doch die Warnung des U.S.-Korea Institute wird offenbar ernst genommen. "Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass Nordkorea seine nuklearen Fähigkeiten ausbaut", sagte Sung Kim, Nordkorea-Sonderbeauftragter der US-Regierung, bei einem Seminar in Washington. Er wollte den USKI-Bericht zwar nicht direkt kommentieren. "Aber wir wissen, dass die Arbeit an Nordkoreas Atomprogramm weitergeht."
Die US-Regierung gibt sich laut Kim "keinen Illusionen" hin, was die Bereitschaft Pjöngjangs betreffe, seine Atomwaffen freiwillig aufzugeben. Deshalb werde man weiterhin Druck ausüben. Ähnlich äußerte sich am Dienstag US-Außenminister John Kerry. "Die friedliche Abschaffung von Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel bleibt ein Ziel der USA", sagte Kerry bei einer Anhörung im US-Kongress. Auch er sprach davon, gemeinsam mit Verbündeten "Druck auf Nordkorea auszuüben".
Joel Wit, einer der Autoren des USKI-Berichts, hält das offenbar für nicht ganz ungefährlich - insbesondere wenn die ungünstigen Szenarien aus der Studie eintreffen sollten. Je mehr Atomwaffen Nordkorea besitze, desto schwieriger werde es, das Land zur Aufgabe der Bombe zu zwingen. "Und ein Land mit so vielen nuklearen Waffen zu bestrafen", sagt Wit, "erscheint mir ziemlich riskant."