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Ölförderung: Einmal mit Pilzsauce, bitte!

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Rohstoffförderung mit Pilzen Ölfirma setzt auf Magic Mushrooms

Deutschlands Rohstoffmanager sind im Pilzrausch: Die Ölfirma Wintershall will bei einem Test in Niedersachsen herausfinden, wie sich scheinbar leer geförderte Lagerstätten doch noch ausbeuten lassen. Die Hauptrolle spielt dabei der Gemeine Spaltblättling.

Berlin - In seinem ersten Leben hat das Erdölfeld Bockstedt seinen Besitzern ein gutes Auskommen beschert. Ein halbes Jahrhundert lang wurde das Reservoir im niedersächsischen Landkreis Diepholz ausgebeutet. Binnen vier Jahren nach dem Start waren bereits eine Million Tonnen Erdöl gefördert. Doch mittlerweile lässt sich der Lagerstätte noch kaum mehr etwas abtrotzen - Bockstedt und die angrenzenden Felder Aldorf und Düste produzieren gerade einmal 30.000 Tonnen Öl pro Jahr.

In seinem zweiten Leben soll das unterirdische Vorkommen nun aber noch einmal für dicke Gewinne sorgen. Jedenfalls wenn ein Versuch Erfolg hat, den die BASF-Tochter Wintershall - wenn alle behördlichen Genehmigungen vorliegen - Mitte Oktober in Bockstedt starten will. Es geht darum, die Ölförderung mit technischen Hilfsmitteln wieder zu erhöhen.

Durch Einpumpen einer biologisch abbaubaren Spezialflüssigkeit soll ansonsten unerreichbares Öl doch noch ans Tageslicht geholt werden. Das Projekt könnte Auswirkungen auf weite Teile der globalen Ölindustrie haben. "Wir kennen eine Vielzahl von Lagerstätten, die sich für eine solche Anwendung eignen würden", wirbt Wintershall-Vorstandschef Rainer Seele. Und weil das Verfahren auf eine biologisch abbaubare Grundsubstanz setze, sei es auch in ökologisch sensibler Umgebung einsetzbar.

Die entscheidende Rolle bei dem Vorhaben spielt ein eigentlich recht unscheinbares Geschöpf. Die Rede ist vom Gemeinen Spaltblättling, oder Schizophyllum commune, wie Wissenschaftler ihn nennen. Der weißliche Pilz ist normalerweise in Wäldern rund um den Globus zu Hause, wo er alte Bäume zersetzt. Weder Trockenheit noch Hitze machen ihm sonderlich viel aus.

Materialforscher um Francis Schwarze von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in der Schweiz nutzten den Pilz in den vergangenen Jahren, um die Klangeigenschaften von Instrumenten zu verbessern. Die zersetzenden Enzyme von Schizophyllum commune veredelten den Klang von Violinenholz. Und eines Tages könnten dieselben Substanzen auch bei der Produktion von Biosprit genutzt werden, jedenfalls wenn es nach Forschern wie Ursula Kües von der Universität Göttingen geht.

Biopolymer funktioniert wie Saucenbinder

Die Öltechniker interessieren sich allerdings für ein anderes Produkt des Pilzes: Ist neben genügend Stärke - etwa aus dem Holz - auch Sauerstoff vorhanden, dann produziert der Gemeine Spaltblättling nämlich eine ziemlich komplexe, wasserlösliche Zuckerverbindung zum Aufbau seiner Zellwände. Diese Substanz, ein sogenanntes Biopolymer, macht Wasser dickflüssig. Das Ganze funktioniert ungefähr so wie beim Saucenbinder - und soll nun dabei helfen, den Ertrag der Lagerstätte zu erhöhen.

Normalerweise lassen sich Öllagerstätten nämlich nur zu etwa einem Drittel leeren. Der Rest des Vorkommens ist partout nicht wirtschaftlich aus dem Boden zu bekommen. Tricks bringen ein paar zusätzliche Prozente - also müht sich die Industrie weltweit entsprechend ab, wenn der Ölhahn nur noch tröpfelt. "Enhanced Oil Recovery" lautet der Oberbegriff für die verschiedenen Verfahren: Mal wird heißer Wasserdampf in die Lagerstätte geschossen, um das Öl zu erwärmen und besser fließen zu lassen. Mal schießen Bohrtechniker Kohlendioxid oder Stickstoff in den Untergrund - und mal sorgen chemische Zusätze nach dem Vorbild von Geschirrspülmittel dafür, dass das Öl besser aus dem Gestein kommt.

In Bockstedt wird nun ein weiterer Ansatz getestet: Die mit Hilfe des Pilzes produzierte Substanz Schizophyllan sorgt dafür, dass das in die Lagerstätte gepumpte Wasser ganz langsam an den Gesteinsporen vorbeifließt. Durch das entstandene Gel wird - wenn alles glatt geht - deutlich mehr Öl als bisher abtransportiert.

Läuft alles glatt, dann könnte der sogenannte Entölungsgrad der Lagerstätte von 30 Prozent auf bis zu 45 Prozent steigen. Gibt es Probleme, weil das Polymer zu stark am Gestein haftet, wäre die betroffene Bohrung versaut.

Biozid wird beigemischt

Hätte der Versuch Erfolg, böte er eine interessante Perspektive auch für andere Firmen. Aus bereits existierenden Lagerstätten ließe sich mit minimalem Investitionsaufwand zusätzliches Öl fördern. Von dem Vorteil, in politisch sensiblen Gebieten auf neue Bohrungen verzichten zu können, ganz zu schweigen.

Künstlich hergestellte Polymere, sogenannte Polyacrylamide, werden bereits in einigen Erdöllagerstätten eingesetzt, zum Beispiel im chineschen Daqing-Feld oder im Dalia-Vorkommen vor der Küste von Angola. Wintershall will im Gegensatz dazu aber natürliche Polymere verwenden.

Das Patent für das Verfahren ("EP 1992 0103803") stammt schon aus dem Jahr 1992, blieb aber vor allem wegen des niedrigen Ölpreises lange ungenutzt. Nun ist die Begeisterung neu erwacht - und das Unternehmen aus Kassel muss sich entscheiden, ob auch Konkurrenten Zugriff auf die magischen Pilze bekommen sollen. Für gutes Geld, versteht sich. "Es ist noch nicht entschieden, ob wir als einzige Schizophyllan zur Verbesserung der Ölförderung einsetzen wollen oder ob wir mit dem Verkauf des Stoffes ein Geschäft machen", sagt Rainer Seele.

Etwa ein Jahr wird es dauern, bis das zum Test eingeleitete, zähflüssige Wasser die Lagerstätte von Bockstedt durchströmt hat. Erst danach lässt sich der Erfolg messen. Dem Schizophyllan könnten, so wirbt jedenfalls Wintershall, weder die hohen Temperaturen noch die salzige Umgebung der Lagerstätte etwas anhaben. "Bei ersten Tests waren zumindest die chemischen Eigenschaften der Verbindung sehr beeindruckend", bestätigt auch Leonhard Ganzer vom Institut für Erdöl- und Erdgastechnik der Technischen Universität Clausthal.

Doch da ist noch die Sache mit den Bakterien: "Biopolymere sind gegenüber Bakterienbefall anfällig. Das muss unterbunden werden", sagt der Wissenschaftler. Deshalb will Wintershall der Lösung auch ein Konservierungsmittel beimischen, um eine Zersetzung zu verhindern. Diese Substanz werde beim Durchfließen des Gesteins vollständig abgebaut, verspricht die Firma. "Die Biozide sind für den Biogedanken nicht unbedingt förderlich", hält Forscher Ganzer entgegen.

Der Test in Bockstedt wird etwas mehr Klarheit bringen. Entgegen der ursprünglichen Planung hatte er sich zwischenzeitlich verschoben. Bei Probebohrungen im eigentlich leer geförderten Ölfeld waren die Geologen nämlich - völlig überraschend - auf ein bis dahin unbekanntes Vorkommen gestoßen.


Von Christoph Seidler ist gerade das Buch "Deutschlands verborgene Rohstoffe" im Carl Hanser Verlag erschienen.

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