Fische, Vögel, aber auch Bakterien bewegen sich nach noch immer nicht vollständig verstandenen Regeln. Denn nicht nur die Kommunikation untereinander spielt dabei eine Rolle, sondern auch physikalische Prozesse und Bedingungen, die um sie herum existieren. Gültige Modelle und Erklärungen dafür zu finden, ist allein mit Berechnungen nicht möglich. Denn die müssen auch experimentell überprüft werden.
Französische Forscher haben in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature" nun einen Versuchsaufbau vorgestellt, der Biologen und auch Physikern bei der Beschreibung komplizierter Systeme unter die Arme greifen könnte.
Schon kleinste Interaktionen können Auswirkungen auf die Struktur und gesamte Bewegung eines Schwarms haben, schreiben die Physiker um Antoine Bricard von der Université Pierre et Marie Curie in ihrer Studie. Mit Tausenden oder gar Millionen von Einzelpunkten einen Schwarm mathematisch zu erfassen, werde so zu einer großen Herausforderung. Die Wissenschaftler haben daher eine komfortable Methode entwickelt, um solche Schwarmmodelle praktisch nachzubilden - und sie platzsparend im Labor zu simulieren: Selbstorganisierende, winzige Polymerkügelchen mit einer Art eigenem Rotationsantrieb.
Sie versetzten dafür eine Flüssigkeit mit Millionen der kleinen Kunststoffkügelchen. Zusätzlich legten sie um die Flüssigkeit ein elektrisches Feld an. Die Forscher nutzten so einen faszinierenden Effekt: die sogenannte Quincke-Rotation. Die tritt auf, sobald sich die kleinen Polymerkügelchen in dem elektrischen Feld befinden. Durch die Ladungsverteilung an ihrer Oberfläche wirken Kräfte auf sie und versetzen sie in Drehung. Sie beginnen sich durch ihre Rotation zufällig zu bewegen.
Jedoch konnten die Forscher auch eine "kollektive Bewegung" in eine Richtung einstellen, schreiben sie. Sie veränderten dafür nur die Parameter um die Kugeln herum. Durch Anpassung der Reibung innerhalb des Systems und die verursachten Wirbel konnten sie die zufällig rotierenden Kügelchen lenken.
Das Video zeigt, wie die Forscher die Kügelchen durch die Flüssigkeit ziehen lassen. Dabei halten elektro- und auch hydrodynamische Effekte sie in einer Formation, die einem natürlichen Schwarm sehr nahe kommt. Die Versuche untermauern, dass Schwarmverhalten ein Prozess ist, der nicht nur auf direkter Kommunikation beruht, sondern eng mit der Umwelt verknüpft ist. Bereits Rahmenbedingungen und physikalische Gegebenheiten können vorgeben, wie sich auch Gruppen von Lebewesen verhalten. So ließe sich beispielsweise auch erklären, wie durch Wechselwirkungen bei Schwarmbewegungen im Tierreich Bewegungen blitzschnell stattfinden können, obwohl kaum Zeit für eine weitreichende Verständigung ist.
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Formation: Brillenenten bewegen sich wohlgeordnet durchs Wasser, wie ein Mathematiker im kanadischen Vancouver beobachtet hat.
Positionsermittlung: Eine Trackingsoftware identifiziert zunächst jede der Brillenenten...
...und ermittelt aus mehreren nacheinander aufgenommenen Fotos den zurückgelegten Weg (graue Striche).
Canada Place: Von dem Rundgang auf dem Gebäude aus fotografierte der Mathematiker Ryan Lukeman die Brillenenten. 18 Meter oberhalb des Wasserspiegels hatte Lukeman eine ideale Beobachterposition.
Dichte um eine Ente herum (Zeichnung): Im Umkreis von einer Körperlänge befinden sich so gut wie nie andere Enten (Abstoßung, blau). Im nächsten Kreisring (rot) konzentrieren sich Nachbarn - es ist der bevorzugte Abstand. Das Diagramm beruht auf einer statistischen Auswertung der fotografierten Schwärme.