Archäologie Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal frage ich mich, wie künftige Generationen auf uns zurückblicken werden. Wie werden sie die Menschen des 21. Jahrhunderts beschreiben, unser Leben, unser Handeln, unsere Gebräuche? Das auffälligste Zeugnis unseres Wirkens auf Erden, so las ich jetzt, wird ein erschütternd profanes sein: Hähnchenknochen. Ja, Sie haben richtig gelesen, Hähnchenknochen. Die Archäologen der Zukunft werden bei ihren Ausgrabungen auf Unmengen von Federtierkarkassen stoßen, überall, ganze archäologische Schichten werden aus Hühnchen bestehen. Weil die Welt Huhn isst, mehr und mehr davon. Es existieren 23 Milliarden Hühner auf der Erde, mindestens zehnmal mehr Tiere als von jeder anderen Vogelart, 40-mal mehr als Spatzen. Sie leben, um verspeist zu werden: Mindestens 65 Milliarden Hühner vertilgt der Mensch im Jahr.

Wir leben im Zeitalter des Broilers.
Die Zahlen stammen aus einem Essay , den britische Geologen und Archäologen verfasst haben. Die Hühnerknochen, so schreiben sie, werden kommenden Ausgräbern weit mehr enthüllen als unseren Appetit auf Frikassee und Chickenwings. Sie werden uns entlarven: als Vergewaltiger der Natur. Keine andere Kreatur haben wir uns so brachial untertan gemacht wie das Huhn, ein Dschungelvögelchen aus Südostasien. Wir haben es auf das Fünffache aufgepumpt, es genetisch in einen Nimmersatt verhext, es verkrüppelt, in ein Produkt verwandelt, das außerhalb der Geflügelfarm gar nicht mehr existieren kann. Das Huhn wird zu einem Symbol des Anthropozäns: des Erdzeitalters, in dem der Homo sapiens die Erde monströs verändert hat. Es gelingt ihm nur schwer, in großem Stil umzusteuern. Immerhin scheint die Weltklimakonferenz im polnischen Katowice nun nach zwei Wochen recht erfolgreich zu enden - wenn nicht noch einer querschießt: Die ganze Nacht und wohl bis in den Samstag hinein sitzen die Delegierten beisammen, um ein Regelwerk für den Klimavertrag zu verabschieden, ein "Rezept zur Wiedergutmachung", wie unser Klimaexperte Axel Bojanowski es mir aus Katowice eben, zum Redaktionsschluss dieses Newsletters, zurief.
Was ich an dieser Arbeit über die Hühnerknochen in den archäologischen Schichten liebe: dass kreative Wissenschaftler, in diesem Fall offenbar bei einer Kaffeepause an der University of Leicester, so interessante und geniale Ideen entwickeln. Wissenschaft fasziniert besonders, finde ich, wenn sie vom Kleinen (Hühnerknochen) auf das Große (Anthropozän) kommt.
Herzlich, Ihre Rafaela von Bredow
Abstract
Meine Leseempfehlungen dieser Woche
- Vom Kleinen ins Große, das funktioniert gut bei der Forschung an Tieren - denn oft lässt sich aus den Ergebnissen auf den Menschen schließen. Und manchmal gibt es ganz unvermutete Zusammenhänge: Bei der Forschung an Katzenminze (einem Kraut, dessen Duft die Miezen antörnt) kam zufällig heraus, dass der rauschhafte Stoff darin auf ganz besondere Weise entsteht - und vielversprechenden Krebsmedikamenten ähnelt.
- Ob die sexuellen Vorlieben der Tungara-Fröschinnen auf den Menschen übertragbar sind, ist indes fraglich. Die Weibchen stehen auf die komplexeren Balzlaute ihrer Artgenossen in der Stadt - nicht auf die Dorfdisco der Landeier.
- Let's talk about sex - auch das liebe ich an der Wissenschaft: Da wird völlig unverkrampft und neutral über wirklich alles gesprochen, auch über Sexualität. In England ist gerade eine Studie erschienen, die belegt, wie sehr Sex ältere Menschen bereichert. Interessant: Den Männern um 65 war der Beischlaf wichtig, die Frauen beglückten Zärtlichkeit, Berührungen, Küsse .
- Und noch mal Sex: mit einem Roboter? Könnte in Zukunft möglich sein. Die Frage ist: Wird Ihr Mann eifersüchtig sein, wütend, wenn Sie mit einem Robo-Kerl ins Bett gehen? Die Forschung sagt: ja. Aber nicht so heftig wie im Fall eines Nebenbuhlers aus Fleisch und Blut .
- Der Mensch liebt die Natur, eigentlich, fürchtet sich aber vor den Naturgewalten. Diese zu bezwingen ist ein starkes Motiv seines Handelns. Surfer tun dies, in jeder Welle. Der Weltrekordler Kelly Slater hat seine Angst in eine technisch hergestellte, eine perfekte Welle gezwungen. Und ist nicht besonders glücklich damit, wie eine schöne, lange Geschichte im "New Yorker" zeigt .
- Würden Sie Ihr Geld einem Roboter anvertrauen? Einer künstlichen Intelligenz? Falls ja, schauen Sie hier nach: ein cooler Überblick über einen "Robo Advisor im Echtgeld-Test" .
- Wenn Sie etwas wirklich Großartiges sehen wollen, schauen Sie in diesen Tagen in den Abendhimmel (falls da keine Wolken sind). Sie könnten Zeuge eines wunderbaren Naturschauspiels werden: der Geminiden. Gemeint ist ein Meteorschauer. Planetenforscher rätselten lange, woher diese Sternschnuppen stammen; inzwischen sind sie sicher, dass es sich um die kosmische Spur des erdnahen Asteroiden Phaeton handelt.
Da kommt man sich ganz schön klein vor.
Quiz
"42: Answer to the Ultimate Question of Life, the Universe, and Everything" (Douglas Adams)
Welche Kreatur vollführt die schnellsten je gemessenen Bewegungen im gesamten Tierreich?
Worunter leidet ein Mensch mit der (seltenen) Erkrankung "Phonagnosie"?
In welchem Ozean liegt die Weihnachtsinsel?
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Ob Migräne, Rückenschmerz, Arthrose oder seltenere Krankheiten wie Fibromyalgie - dauernde Beschwerden können den Alltag eines Menschen zerstören, das ganze Leben wird zur Qual. Wie chronischer Schmerz entsteht, wie man ihn erfolgreich bekämpft und wie man lernen kann, trotz Beschwerden sein Leben selbstbestimmt zu leben, darüber informiert das aktuelle SPIEGEL WISSEN "Den Schmerz besiegen", ab dem 10. Dezember im Handel.
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Bild der Woche
Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht dichtete Bertolt Brecht in der "Moritat von Mackie Messer". Stimmt. Und zwar überall im Gesicht, wie auf dieser computertomografischen Aufnahme eines jungen Katzenhais zu sehen ist. Bei Haien ist die Haut mit zahnähnlichen Zacken besetzt, die den Widerstand beim Schwimmen reduzieren. In einem vergleichbaren Muster wachsen auch Vogelfedern - ein Hinweis auf einen sehr frühen evolutionären Ursprung.

Boston Bite
Unser SPIEGEL-Wissenschaftskorrespondent Johann Grolle berichtet aus Harvard und beißt sich einmal in der Woche an einem erstaunlichen Fakt fest.
"Der Durchschnittsamerikaner, so lernte ich gestern, macht am Tag 5000 Schritte. Das sind ungefähr drei Kilometer und entspricht damit ziemlich genau der durchschnittlichen Strecke, die ein Schimpanse täglich in der freien Wildbahn zurücklegt. Nach zwei Millionen bewegteren Jahren als Jäger und Sammler sind wir also wieder dort zurück, wo wir angefangen haben."
SPIEGEL+-Empfehlungsliste Wissenschaft
Tiermedizin: Wenn es um die Behandlung von Hund und Katze geht, ist vielen Haltern keine Therapie zu teuer. Schon sind Großkonzerne ins Geschäft mit den Haustieren eingestiegen Visionen: Der britische Astronom Lord Martin Rees denkt über die Endzeit nach
* Quiz-Antworten: Dracula-Ameisen lassen ihre Mundwerkzeuge mit bis zu 324 km/h zuschnappen - 5000-mal rascher als ein Wimpernschlag / Er kann die Stimme anderer Menschen nicht wiedererkennen / Im Indischen Ozean, sie gehört zu Australien.