

Hamburg - Das Reaktorunglück in Japan hat einiges bewegt, was Atomlobbyisten gar nicht recht sein kann. So verordnete die EU-Kommission sämtlichen europäischen AKW einen Stresstest. In Deutschland sind Teams aus Kerntechnikern, Physikern, Ingenieuren und Ökologen ausgeschwärmt, um für jedes Kernkraftwerk einen Fragekatalog abzuarbeiten, der eines beantworten soll: Wie sicher sind unsere AKW wirklich?
Und nun noch das: In den USA sind interne Dokumente der amerikanischen Atomaufsichtsbehörde NRC (Nuclear Regulatory Commission) bekannt geworden. Sie legen offen, dass innerhalb der Behörde kein Konsens herrscht: Mitarbeiter äußern klipp und klar Zweifel, ob Amerikas Kernkraftwerke wirklich ausreichend vor drohenden Gefahren geschützt sind.
Dabei war es NRC-Chef Greg Jaczko selbst, der erst vor einer Woche im Energieausschusss des Repräsentantenhauses lauthals verkündete: "Amerikas Atomanlagen sind sicher." Einen US-Ausstieg aus der Kernkraft schloss Jaczko kategorisch aus.
Doch nun hat die angesehene US-Organisation Union of Concerned Scientists (UCS), die sich mit Atomsicherheit befasst, Papiere veröffentlicht, die das Vertrauen der Bevölkerung in die NRC schwer erschüttern dürften: Aus ihnen wird ersichtlich, dass einige NRC-Kerntechniker Zweifel hegen, und zwar genau an der Stelle, die Amerikas wunden Punkt symbolisiert: Die Ingenieure glauben nicht, dass die sogenannten "B.5.b-Maßnahmen" wirksam genug sind - das sind Sicherheitsmaßnahmen, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 angepasst wurden.
"Selbst führende NRC-Experten sind sich nicht mehr so sicher"
"Während die NRC und die Atomindustrie der Bevölkerung versichert haben, dass es keinen Anlass zur Sorge gebe und dass wir im Falle eines nuklearen Desasters wie in Fukushima viel besser gewappnet wären, stellt sich heraus, dass sich führende NRC-Experten selbst nicht mehr so sicher sind", sagte der Atomkritiker und Kerntechnikexperte Edwin Lyman laut einer Pressemitteilung der UCS.
Die UCS hatte sich auf die Auskunftspflicht nach dem Freedom of Information Act berufen und die Dokumente bereits einen Monat vor dem Desaster am AKW Fukushima I verlangt. Bei den Papieren handelt es sich hauptsächlich um E-Mails und Memos, die Teil eines internen NRC-Gutachtens sind. Dieses untersucht ein Szenario an zwei amerikanischen AKW in den Bundesstaaten Pennsylvania und Virginia: Was passiert bei einem vollständigen längerandauernden Stromausfall - wie es auch in Fukushima der Fall war?
In einer der E-Mails schreibt ein NRC-Techniker etwa: Die Notfallpläne für das AKW Peach Bottom in Delta, das vom Energiekonzern Exelon betrieben wird, seien nicht ausreichend geprüft worden. Man wisse daher nicht, ob die Maßnahmen im Notfall schwerwiegende Folgen verhindern könnten.
Dabei hatten NRC-Chef Jaczko und William Levis, der Geschäftsführer eines AKW-Betreibers, noch am 30. März versichert, dass die "B.5.b-Maßnahmen" US-Reaktoren selbst vor solchen Katastrophen bewahren würden wie in Fukushima.
Prompt reagiert die US-Atomlobby auf die neuesten Enthüllungen und äußert Kritik: "Die UCS hat in geeigneter Weise die Pointe der NRC-Studie übersehen", sagte Steve Kerekes, Sprecher des Lobbyverbands der Atomindustrie. Er erklärte, das NRC-Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass das Risiko der AKW, nach einem derartigen Unfall Radioaktivität in die Umwelt freizulassen, geringer sei, als man vorher angenommen habe.
Auch in Japan hatten Atomlobby und Regierung der Bevölkerung immer wieder versichert, dass die Kernkraftwerke des Landes sicher seien - selbst im Falle eines Erdbebens. Und das, obwohl einige Experten zu einem anderen Schluss gekommen waren.
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