"Wendelstein 7-X" Sorge um Sicherheit von Fusionsreaktor

Das Millionenprojekt soll helfen, die Kernfusion als saubere Energiequelle zu erschließen - doch der im Bau befindliche Reaktor "Wendelstein 7-X" in Greifswald sorgt für Streit. Rissige Decken und zweifelhafter Beton lassen an seiner Sicherheit zweifeln.
Fusionsreaktor in Greifswald (im Dezember 2011): Beanstandungen am Betonmantel

Fusionsreaktor in Greifswald (im Dezember 2011): Beanstandungen am Betonmantel

Foto: dapd

Greifswald - Eine kontrollierte Kernfusion in großem Maßstab wäre wohl eine der größten Hoffnungen der Menschheit - schließlich könnte sie saubere Energie im Überfluss liefern. Im Reaktor "Wendelstein 7-X" in Greifswald soll das Kunststück vorbereitet werden. Doch nun ist die Anlage zwei Jahre vor dem ersten Test in die Kritik geraten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat Sicherheitsbedenken gegen den Reaktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik.

Angesichts mehrerer Baumängel prüfe der Verband juristische Schritte, um die Vorbereitungen zum Betrieb zu verhindern, sagte Mecklenburg-Vorpommerns stellvertretender BUND-Vorsitzender Thomas Blaudszun. Das Institut wies die Vorwürfe zurück. Linkspartei und Grüne forderten eine zügige Aufklärung möglicher Sicherheitsmängel.

Nach Angaben des BUND wurde bei der Errichtung der mindestens rund 377 Millionen Euro teuren Anlage gegen wichtige Sicherheitsstandards verstoßen. So gehe aus den Akten des bisherigen Genehmigungsverfahrens hervor, dass die Hallentore nicht ausreichend gegen den Austritt der im Betrieb entstehenden Neutronenstrahlung abgeschirmt seien und der verwendete Strahlenschutzbeton fehlerhaft sei. Zudem soll das Dach der erst vor wenigen Jahren errichteten Experimentalhalle bereits Risse aufweisen.

Das Max-Planck-Institut hingegen erklärte, es habe "nicht den geringsten Zweifel, alle behördlichen Auflagen zum Strahlenschutz erfüllen zu können und Strahlengefahren für Anwohner oder Mitarbeiter auszuschließen". Die Hallenwände aus Beton würden Röntgenstrahlung und Neutronen sicher abschirmen. Das gelte trotz kleiner Risse auch für die Decke. Die Betonqualität der Hallentore werde durch ein Gutachten "derzeit verifiziert".

Auf etwa minus 270 Grad Celsius heruntergekühlt

Die Greifswalder Fusionsforscher wollen zunächst mit extrem heißem Wasserstoff experimentieren, später wird Deuterium beigemischt - und erst dann entstehen Neutronen. Mit diversen Sensoren und Messinstrumenten wollen die Forscher beobachten, wie sich das heiße, ionisierte Gas verhält. Das dabei gewonnene Wissen soll später in das Design eines Fusionsreaktors fließen, der eine richtige Kraftwerksturbine antreibt.

"Wendelstein 7-X" befindet sich nach Angaben des Instituts derzeit in der Endmontage. Voraussichtlich im Jahr 2014 soll das Reaktorgefäß abgepumpt werden, um ein Ultrahochvakuum zu erzeugen. Anschließend muss die Anlage binnen drei bis vier Wochen auf etwa minus 270 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Erst danach beginnen die eigentlichen Tests, bei denen in der 725 Tonnen schweren Plasmakammer ein Magnetfeld aufgebaut wird.

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Kernfusionsreaktor: Heißes Plasma im Magnetfeld

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Laut Institut werden die Neutronen genauso erzeugt wie in vergleichbaren Anlagen, die bereits laufen. So werde etwa in Garching bei München seit mehr als 20 Jahren "routinemäßig und sicher" experimentiert.

Die Linkspartei forderte vom Institut sowie von den öffentlichen Geldgebern eine schnelle Aufklärung. Die energiepolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Mignon Schwenke, sagte: "Die Bevölkerung hat ein Recht, darüber informiert zu werden, ob tatsächlich mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vorliegen."

Die Grünen forderten ebenfalls, allen "auch nur im Ansatz berechtigte Zweifel an der Sicherheit" nachzugehen. Der Fraktionsvorsitzende Jürgen Suhr sagte: "Vor einer Erteilung einer Betriebsgenehmigung für den Reaktor muss die Sicherheit zu hundert Prozent gewährleistet werden."

Die Aufsichtsbehörden des Landes, das Sozialministerium und das untergeordnete Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lagus), kündigten strenge Prüfungen an. Bisher sei eine Betriebsgenehmigung für die Anlage noch nicht beantragt, sagte Lagus-Chef Heiko Will.

Die strengen Sicherheitsauflagen der Errichtungsgenehmigung würden derzeit kontrolliert. Dabei gebe es seitens des Amts "Beanstandungen, was den Nachweis der Qualitätseigenschaften des Betonsmantels angeht", hieß es. Man wolle nun einen unabhängigen Gutachter einschalten, der die Einhaltung der Strahlenschutzverordnung prüfen solle. "Nur wenn die Vorschriften der Strahlenschutzverordnung eingehalten werden, kann 'Wendelstein 7-X' in Betrieb gehen", sagte Ministeriumssprecher Christian Moeller.

chs/dapd
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