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Physik: Im Labor der Skyrmionen-Forscher

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Physik-Durchbruch in Hamburg Nano-Wirbel bilden winzige neue Datenspeicher

Winzige magnetische Knoten könnten die Datenspeicher der Zukunft sein. Hamburger Physiker haben nun erstmals gezeigt, dass sich die Nano-Wirbel schreiben und auch löschen lassen. Ein Besuch im Labor der Skyrmionen-Forscher.

Schon das Vorzimmer im Kellergeschoss der Universität Hamburg ist vollgestopft mit Technik. Auf einem Dutzend Bildschirmen tanzen Graphen, Zahlen flimmern über Messgeräte. Viel Platz bleibt den vier Physikern in ihrem Labor nicht. Dabei ist die Mission der Forscher die Verkleinerung von Speichermedien. Wenn ihr Plan aufgeht, könnten Datenspeicher stark schrumpfen. Doch der Weg dahin führt über eine sehr große Maschine, die sogar ihren eigenen Raum hat.

"Das ist unsere Ultrahochvakuumanlage." Der Arbeitsgruppenleiter Roland Wiesendanger zeigt auf eine Edelstahl-Apparatur und betont das "Ultra". Denn: "Das Vakuum ist besser als das im Weltraum." Wird es gebrochen, dauert es länger als eine Woche, die Anlage wieder auf einige Billiardstel des Luftdrucks leer zu pumpen. So luftleer muss der Apparat allerdings auch sein für die Forschung, die die Wissenschaftlergruppe auf das aktuelle Cover des Fachmagazins "Science"  gebracht hat: das Lesen und Manipulieren winziger magnetischer Strukturen - den sogenannten Skyrmionen.

Klettertour über die Maschine

Skyrmionen könnten eine Antwort auf das oft von der Computerindustrie thematisierte Speicherproblem sein. Denn ließen sich Daten mit diesen Strukturen festhalten, würden die Speichermedien kleiner, hätten mehr Kapazität und wären auch noch stromsparender.

Ein entscheidender Schritt in diese Richtung ist den Hamburger Physikern nun gelungen: Mit einem speziellen Rastertunnelmikroskop gelang es den Forschern um Niklas Romming, Skyrmionen in eine nur wenige Atomlagen dünne Metallschicht zu schreiben und wieder zu löschen. Die Forschung der Wissenschaftler stellt einen Anfang auf dem Weg zur Spintronik dar. Das zusammengesetzte Wort beschreibt eine Technik, die nicht wie bisher üblich nur die Ladung von Elektronen nutzt, sondern eine weitere Eigenschaft von winzigen Teilchen einbezieht: den Spin.

"Skyrmionen sind Quasi-Teilchen - in diesem Fall kleine zweidimensionale magnetische Knoten. Sie besitzen Eigenschaften von Teilchen, sind aber keine", sagt Physiker Christian Hanneken. Nur etwa zehn Labore auf der Welt beschäftigen sich derzeit mit den Wirbeln, die einige Nanometer groß sind, so die Forscher. "Erst in den vergangenen Jahren boomt das Feld", sagt Kirsten von Bergmann, die auch an der Studie mitgearbeitet hat. Das Interesse der Industrie wächst ebenfalls erst allmählich. Dabei hat der Physiker Tony Skyrme, nach dem die Strukturen benannt wurden, sie bereits in den sechziger Jahren mathematisch beschrieben.

Skyrmionen-Schreibprozess: Ströme "schreiben" Magnetwirbel auf Kristalle

Skyrmionen-Schreibprozess: Ströme "schreiben" Magnetwirbel auf Kristalle

Foto: Arbeitsgruppe Wiesendanger/ Uni Hamburg/ Science

Christian Hanneken drückt sich an dem Ungetüm aus Edelstahl vorbei, das stellenweise mit Alufolie abgedeckt ist. Er klettert über die Anlage und zeigt, wieder auf dem Boden angekommen, auf ihr Ende. Dort speisen die Physiker Proben ein, die sie dann in den luftleeren Kugeln, ähnlich kleinen Reinräumen, bearbeiten. Erst danach lassen sich Skyrmionen auf die Proben schreiben und über Mikroskope auslesen und messen.

"Die beste Zeit zum Messen ist am Wochenende und nachts", sagt Niklas Romming, Erstautor der Studie. Dann sind Störungen nur minimal. Zu dieser Zeit erreichten kaum Erschütterungen von umherlaufenden Studenten in den oberen Stockwerken die luftgepolsterte und besonders geschützte Anlage, ergänzt Hanneken und deutet dabei mit dem Finger zur Decke.

Kristall glätten wie Wachs einer Kerze

Der Physiker Hanneken läuft um die Anlage herum und erklärt weiter: Für die Forschung werden Iridium-Kristalle nach einem besonders gründlichen Reinigen und einer Art "Sandstrahlen mit Ionen" kurz aufgeheizt. Von Station zu Station reicht er die Probe mit kleinen Greifarmen weiter, in einen anderen Teil der Anlage. Vorsichtig hantiert er den nur wenige Millimeter großen Kristall in eine Kammer, und erwärmt ihn, bis er hell aufglüht. "Das ist wie bei einer Wachskerze, die Sie mit einer Gabel außen aufgeraut haben", erklärt er. "Wird sie wieder heiß, glättet sich das Wachs."

Auf das Material dampfen die Forscher eine dünne Schicht Eisenatome auf und darauf Palladium. Erst jetzt landet der Kristall im Rastertunnelmikroskop, das ihn nicht nur abtastet und auf Bildschirmen im Nebenraum abbilden kann. Die Forscher benutzen das Gerät auch zum Schreiben. "Wir müssen nur die Parameter dafür immer wieder umstellen", sagt Romming. Beim Prozess zusehen können sie daher nicht. Erst später sehen sie, ob ihr Schreibvorgang erfolgreich war. Er findet bei Temperaturen einige Kelvin über dem absoluten Nullpunkt statt, und während ein von den Forschern erzeugtes starkes Magnetfeld den Kristall durchzieht.

Die so geschriebenen Skyrmionen könnten künftig zur Darstellung von Bits, also von Nullen und Einsen, geeignet sein - und damit zur Datenspeicherung. "Wir stoßen bei heutiger Technik an die physikalischen Grenzen um ein Terabit pro Quadratzoll", erklärt Romming. Festplatten auf Skyrmionen-Basis könnten die aktuelle Speicherdichte verzehn- bis verhundertfachen, schätzt der Forscher.

Mit ihrer Forschung haben die Wissenschaftler erstmals bewiesen, dass sich diese Technik überhaupt zur Datenspeicherung eignet und sich beliebig Skyrmionen schreiben und auch wieder löschen lassen. Unternehmen wie IBM haben daher ein Auge auf die einige Nanometer großen Wirbel geworfen.

Noch ist die Arbeit der Hamburger Physiker Grundlagenforschung. Um stabile Speicher zu realisieren, müssen sie vor allem neue Materialien finden. In denen müssten schon bei Raumtemperatur große Magnetfelder integriert sein, um Skyrmionen zu speichern. Derzeit verlieren die Wissenschaftler die winzigen Wirbel und damit die Daten, sobald die Magnetfelder zusammenbrechen und die Temperatur in den Geräten steigt. Verhindern können sie das nur mit flüssigem Helium zur Kühlung. In dem großen grauen Behälter, um den die Physiker im Halbkreis stehen, hätte problemlos ein ganzer Stuhl Platz. Für den normalen Gebrauch ist die Technik noch lange nicht geeignet. Allein die Kühlung würde ihren Benutzern im Alltag den Platz rauben - und es würde nicht nur in kleinen Physiklaboren ziemlich eng.

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