

Der Flughafen Magdeburg-Cochstedt? Muss man sich in etwa vorstellen wie die Investruine Kassel-Calden. Nur komplett ohne Flugzeuge. Oder wie den Hauptstadtflughafen BER. Nur mit Nachtfluggenehmigung, sieben Tage die Woche. Aber sonst ähnlich viel los: Schicker Kontrollturm, Sicherheitsschleuse mit akribischen Mitarbeitern, brandneues Terminal, imposante Feuerwehrautos - alles ist da. Nur eben keine Jets, nur eine alte Antonow-Frachtmaschine aus Lettland.
Dabei wollten sie hier sogar mal an die Grenze des Weltraums vorstoßen. Doch All-Touristen heben auf dem ehemaligen sowjetischen Militärflugfeld in Sachsen-Anhalt genauso wenig ab wie Wochenendurlauber. Wenn irgendwo nichts los ist, dann hier. Und das auf gleich zwei Startbahnen.
Umso aufsehenerregender sind die Manöver, die ein weißer Airbus A320 seit ein paar Tagen über dem Flugfeld vollführt: In nur 15 Metern Höhe rauscht die Maschine von Kapitän Hans-Jürgen Berns wieder und wieder über die Grünstreifen neben der Landebahn. Ganz langsam schwebt das Flugzeug mit eingezogenem Fahrwerk vorbei. Man glaubt beinahe, das Ding anfassen zu können. Am Ende der Runway zieht Berns den Airbus dann in einer steilen Linkskurve nach oben - und auf geht's zur nächsten Runde.
Den Forschern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) kommt es sehr gelegen, dass sie in Cochstedt auf niemanden Rücksicht nehmen müssen: Sie haben bei ihren Versuchen nichts weniger im Blick als die Zukunft des Fliegens. Dafür brauchen sie Ruhe am Himmel - und möglichst viele Mücken, Fliegen und ähnliches Getier am Boden. Beides gibt es hier.
Es brummt und summt, wenn man durch das knapp kniehohe Gras diesseits und jenseits der Piste streift. Heiko Geyr von Schweppenburg und Dominic Gloß vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen wollen herausfinden, wie viele dieser Insekten während des Fluges mit der Maschine kollidieren.
Wie nach einem Massaker
Das Problem dürfte jedem soweit bekannt sein: Nach jeder längeren Autobahnfahrt im Sommer sieht die Frontscheibe aus wie nach einem Massaker. Doch während das für den Straßenverkehr nur ein ästhetisches Problem ist, könnte es in der Luft auch ums Geld gehen - die Insekten erhöhen nämlich die Reibung des Fliegers.
Ein Problem ist das bei sogenannten laminaren Flügeln aus Kohlefasern, auf die Ingenieure große Hoffnungen für die Flugzeuge der Zukunft setzen. Grob gesprochen funktioniert die Sache wie folgt: An der Vorderkante von klassischen Flugzeugflügeln entstehen Verwirbelungen, die Luft strömt ungleichmäßig. Ein Problem ist das nicht, aber besonders effizient eben auch nicht. An zukünftigen Flugzeugen sollen deshalb keine solchen Turbulenzen mehr auftreten. "Wir wollen den Widerstand des Flugzeugs senken - und damit den Treibstoffverbrauch", sagt Forscher Gloß.
Dafür müsste sich am Flügel eine sogenannte laminare, also gleichmäßige Strömung ausbilden. Mückenleichen würden dabei stören. "Wenn man zu viele Insekten hat, kann man die laminare Strömung vergessen", sagt von Schweppenburg. Gefragt sind also Schutztechniken, die den Flügel sauber halten.
Klappen dürfen nicht zu groß werden
An Segelflugzeugen gibt es traditionell sogenannte Mückenputzer, in Zukunft sollen auch Jets so etwas ähnliches haben. Die DLR-Wissenschaftler wollen dafür die Auftriebsklappen der Maschinen so modifizieren, dass sie gleichzeitig als Insektenprellbock dienen.
Bei den laminaren Flügeln sollen sogenannte Krüger-Klappen für den Auftrieb beim Start sorgen. Entwickelt wurden sie in Deutschland schon während des Zweiten Weltkriegs. Sie sitzen während des Reisefluges unter dem Flügel. So stören sie den Luftstrom auf der Oberseite nicht. Für die Krügerklappen gilt es die richtige Größe zu finden. Sie müssen für Auftrieb - und am besten auch Insektenschutz - sorgen, dürfen aber nicht unnötig schwer werden. Sonst wäre die Spritersparnis zunichte gemacht.
Entworfen werden die Bauteile am Computer. Und Daten für diese Simulationen liefern die Versuche in Cochstedt: Wie viele Insekten kollidieren bei verschiedenen Flugbedingungen mit dem Airbus? Welchen Einfluss haben Gewicht des Jets, Flughöhe und Anstellwinkel der Klappen?
"Wir haben eine Kamera entwickelt, die während des Fluges die Unterseite des Flügels filmt", sagt Dominic Gloß. So werden alle Insektenzusammenstöße aufgezeichnet. Deren Spuren sind auch an sechs weißen Klebefolien am Flügel zu sehen. Der Forschungsflieger wird so zur größten Fliegenklatsche Deutschlands.
Nach den Flügen ziehen die Forscher die Folien einzeln ab und verstauen sie schnell in gepolsterten Holzkisten. Später werden sie im Labor gescannt. Gelbe, schwarze und rote Spuren künden davon, wo Tierchen ihr Leben verloren haben. Und man kann, obwohl weitere Ergebnisse der Versuche noch nicht vorliegen, sagen, dass Cochstedt seine Aufgabe als ruhig gelegener Insektenlieferant sehr gut erfüllt hat.
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DLR-Airbus über dem Flughafen Cochstedt: In nur 15 Metern Höhe rauscht die Maschine von Kapitän Hans-Jürgen Berns wieder und wieder über die Grünstreifen neben der Landebahn. Ganz langsam schwebt das Flugzeug mit eingezogenem Fahrwerk vorbei. Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wollen bei den Flügen Insekten sammeln.
Forschungsairbus im Flug: Nach jeder längeren Autobahnfahrt im Sommer sieht die Fronscheibe aus wie nach einem Massaker. Doch während das für den Straßenverkehr nur ein ästhetisches Problem ist, könnte es in der Luft auch ums Geld gehen - die Insekten erhöhen nämlich die Reibung des Fliegers.
Dominic Gloß beim Entfernen der Folien: An zukünftigen Flugzeugen sollen keine Turbulenzen durch tote Insekten auftreten. "Wir wollen den Widerstand des Flugzeugs senken - und damit den Treibstoffverbrauch", sagt der Forscher.
Messtechnik an Bord des Airbus: Eine Kamera filmt während des Fluges die Unterseite des Flügels. So werden alle Insektenzusammenstöße aufgezeichnet.
Airbus im Tiefflug: An Segelflugzeugen gibt es traditionell sogenannte Mückenputzer, in Zukunft sollen auch Jets so etwas ähnliches haben. Die DLR-Wissenschaftler wollen dafür die Auftriebsklappen der Maschinen so modifizieren, dass sie gleichzeitig als Insektenprellbock dienen.
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