"Aerokurier" über neues Lufttaxi
Experten zweifeln am "Lilium Jet"
Das deutsche Start-up Lilium entwickelt ein Elektro-Luftfahrzeug, das auch als Flugtaxi dienen soll. Doch ein Insider rechnet vor, dass die Versprechungen der Firma nicht annähernd zu halten sind.
Ein "Lilium Jet" vor New York - einstweilen allerdings nur auf einer Computergrafik
Foto: Lilium
Das bayerischen Start-up Lilium hat einen ambitionierten Plan: Die Firma will mit dem "Lilium Jet" ein elektrisch angetriebenes Luftfahrzeug bauen, das fünf Personen bis zu 300 Kilometer weit fliegen kann – und zwar mit einer Geschwindigkeit von maximal 300 Kilometern in der Stunde. Im vergangenen Jahr hob das Gerät bereits zu einem kurzen Erstflug ohne Besatzung ab, die kommerzielle Nutzung als Flugtaxi ist nach Firmenangaben ab dem Jahr 2025 geplant. Das Unternehmen will alle Maschinen selbst betreiben und für Kunden eine eigene Buchungsplattform anbieten.
Doch ein Experte hat nun massive Zweifel an den technischen Grundlagen des Projektes angemeldet. Nach Informationen des "Aerokuriers" kommt der Brancheninsider - sein Name ist dem Luftfahrtmagazin laut dem Bericht bekannt - in einer Rechnung zu dem Schluss, dass der "Lilium Jet" die Versprechen des Unternehmens nicht einmal ansatzweise einhalten kann. Schuld daran sei vor allem die geringe Energiedichte der derzeit erhältlichen Akkus. Ähnlich hatten sich in früheren Jahren bereits andere Fachleute geäußert, etwa in einem Bericht des Magazins "Wired" im Jahr 2016.
Der aktuell vom "Aerokurier" zitierte Experte nimmt für das Fluggerät eine Akkumasse von 500 Kilogramm an, da der genaue Wert nicht öffentlich verfügbar ist. Er argumentiert nun wie folgt: Die besten Lithium-Ionen-Akkus erreichten aktuell eine Energiedichte von bis zu 240 Wattstunden pro Kilogramm, in der Praxis könnten davon etwa 220 Wattstunden pro Kilogramm genutzt werden. Für einen Flug des "Lilium Jets" stünde damit eine gespeicherte Energie von 110 Kilowattstunden zur Verfügung.
"Dann ist der Akku leer"
Besonders energieintensiv sei der Schwebeflug bei Start- und Landung, im Reiseflug trete nur ein Bruchteil des Leistungsbedarfs auf. Aus bekannten sowie "wohlwollend" geschätzten technischen Parametern des durch 36 Mantelpropeller angetriebenen Fluggeräts errechnet der Luftfahrtfachmann eine maximal mögliche Schwebeflugdauer von 67,7 Sekunden. Und zwar ohne dass der "Lilium Jet" in diesem Fall in den Reiseflug gewechselt wäre.
Setze man nun für Start und Landung den "beängstigend kurzen" Gesamtwert von 60 Sekunden an, verbleibe noch Energie für eine Reiseflugzeit von 3 Minuten und 42 Sekunden. In dieser Zeitspanne käme man bei 300 Kilometern pro Stunde nur gut 18 Kilometer weit - "dann ist der Akku leer."
Herstellung des "Lilum Jets": Im November vergangenen Jahres hat das Unternehmen eine erste Produktionshalle in Bayern fertiggestellt, eine weitere soll folgen.
Foto: Lilium
Der Experte macht noch eine zweite Rechnung auf, bei der die Parameter zugunsten von Lilium verändert werden, unter anderem durch "Erhöhung der Wirkungsgrade im Schwebe- und im Reiseflug auf ihr theoretisches Maximum". In diesem Fall kommt er unter Beibehaltung einer Schwebeflugdauer von einer Minute auf eine Flugzeit von 29 Minuten und damit auf eine Maximalreichweite von 145 Kilometern.
Müsse der "Lilium Jet" allerdings auf Anforderung der Zulassungsbehörde - derzeit arbeitet die Europäische Flugsicherheitsagentur EASA Regeln für die neuen Luftfahrzeuge aus - auch nur eine Minute länger schweben können, sinke die Reichweite bereits um 50 Kilometer. "Das Versprechen einer Reichweite von 300 Kilometern und einer Flugdauer von bis zu einer Stunde ist für das voll gewichtige, fünfsitzige Konzeptflugzeug mit aktueller Akkutechnologie nicht realisierbar", lautet daher das Fazit des Experten.
Lilium wies die Vorwürfe auf Anfrage des "Aerokurier" zurück. Das Unternehmen kritisierte die Annahmen der Modellrechnung als zu ungenau. Das führe zu falschen Schlussfolgerungen. Es gebe außerdem ein Video, das den "Lilium Jet" zwei Minuten im Schwebeflug zeige. Bereits das widerlege die Kritik des Fachmanns. Außerdem experimentiere man bereits mit besseren Batterien, die über eine Energiedichte von 300 Wattstunden pro Kilogramm verfügten.
Allerdings erklärte der Experte in seiner Konzeptkritik, dass für eine Reichweite von 300 Kilometern eine Energiedichte der Akkus von rund 400 bis 650 Wattstunden pro Kilogramm nötig sei. Lithium-Ionen-Technologie könne das nicht liefern.
"Nichts anderes als eine Scheinwelt"
Zwei Luftfahrtforscher unterstützen in dem Bericht die Kritik: Erol Özger von der TH Ingolstadt nannte die von dem ungenannten Fachmann präsentierte Rechnung "plausibel" und "sicher noch zu optimistisch". Und Mirko Hornung von der TU München erklärte, das Fluggerät können "die postulierten Leistungsdaten bei heutigem Stand der Technik nicht erreichen". Lilium erzeuge "mit seinen Behauptungen und der hochprofessionellen PR nichts anderes als eine Scheinwelt", so Hornung weiter. Dass der große Aufschrei unter Fachleuten bisher ausgeblieben sei, habe allein einen praktischen Grund: "Alle haben Sorge, es könnte ein 'Cargolifter-Effekt' eintreten." Der Luftschiffentwickler hatte 2002 Insolvenz angemeldet und habe, so Hornung, die gesamte Branche mit sich gezogen – "auch Ideen, die hätten funktionieren können, waren daraufhin tot."
Das wolle man diesmal vermeiden, erklärte der Forscher. Es gebe durchaus Unternehmen mit vergleichbaren Fluggeräten und guten Ansätzen auf dem Markt, bei denen realistische Werte für Reichweite und Energieverbrauch kommuniziert würden. Neben Lilium arbeiten noch zahlreiche andere Unternehmen an elektrisch getriebenen Luftfahrzeugen, die senkrecht starten und landen können. In Deutschland sind das etwa Volocoper und Airbus Helicopters.
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Ein "Lilium Jet" vor New York - einstweilen allerdings nur auf einer Computergrafik
Foto: Lilium
Herstellung des "Lilum Jets": Im November vergangenen Jahres hat das Unternehmen eine erste Produktionshalle in Bayern fertiggestellt, eine weitere soll folgen.