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Strom aus Kohle: Die Rückkehr des Schmuddelkinds

Foto: Carsten Koall/ Getty Images

Stromerzeugung aus Kohle Schmuddelkind mit Waschzwang

Deutschland will weg von der Atomkraft. Kommt es nun zu einer Renaissance der Kohle? Ingenieure hoffen darauf - und arbeiten an immer effektiveren Kraftwerken. Umweltaktivisten aber sind strikt dagegen.

Auf diese Statistik sind die Kraftwerkstechniker zu Recht stolz: In den vergangenen 25 Jahren ist der Wirkungsgrad der Steinkohle-Verstromung von 35 auf 46 Prozent gestiegen. Möglich wurde das, weil moderne Anlagen bei höheren Temperaturen und höherem Druck arbeiten. Außerdem tun in ihrem Inneren immer effektivere Turbinen Dienst. Hinzu kommt, dass die Kraftwerke weniger Strom für den Eigenbedarf verbrauchen. Auch die Effektivität von Braunkohle-betriebenen Anlagen hat sich langsam, aber stetig verbessert - auch wenn die Werte weiterhin unter denen von Steinkohlemeilern liegen.

Mit besserer Effizienz ließ sich bislang vor allem mehr Geld verdienen. Der dadurch verbesserte Klimaschutz war für die Energiekonzerne eher ein Nebeneffekt. Und von den Effizienzwerten moderner Gasturbinen-Kraftwerke, die über 60 Prozent liegen können, sind Kohlemeiler noch immer weit entfernt. Dazu kommt ein weiteres Problem: Um Klimaziele zu erreichen, dürften Kohlekraftwerke langfristig wohl nur mit CO2-Abtrennung betrieben werden. Und die knabbert gehörig an der Effizienz der Anlagen - von den politischen Widerständen gegen die unterirdische Speicherung des Treibhausgases in Deutschland ganz zu schweigen.

Welchen Beitrag kann Kohleverstromung für die Energieversorgung der Zukunft leisten? Umweltschützer sähen sie gern komplett gebannt - weil die Nutzung von Kohle selbst im Vergleich mit Gas besonders viel Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst. Und klar ist auch: Jede heute gebaute Anlage wird jahrzehntelang am Netz sein. In ihrem Energiekonzept "Plan B 2050" fordert die Umweltorganisation Greenpeace deswegen einen kompletten Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040.

Kohle deckt rund 40 Prozent des globalen Strombedarfs

Doch so schnell wird es wohl nicht gehen - selbst dann nicht, wenn man es auch nur halbwegs ernst meint mit dem Ende des Atomzeitalters. 2008 trug die Steinkohle rund 19,5 Prozent zur Stromversorgung Deutschlands bei, auf die Braunkohle entfielen sogar knapp 24 Prozent. Global liegen beide Kohlearten zusammengenommen bei etwa 40 Prozent. Die Kohle wird also selbst bei massivem Ausbau der erneuerbaren Energien noch lange ein wichtiger Faktor bleiben.

In aufstrebenden Ländern wie China werden Kohlekraftwerke mit atemberaubender Geschwindigkeit gebaut: Aktuell geht dort im Schnitt eines pro Woche ans Netz. Ähnlich sieht es in Indien aus. "Wir müssen uns in der Zukunft von schmutziger Kohle zu sauberer Kohle bewegen", sagte Indiens Umweltminister Jairam Ramesh im Dezember 2010 auf dem Uno-Klimagipfel im mexikanischen Cancún. Kohle werde auch auf lange Sicht "die Hauptstütze der indischen Stromversorgung" bleiben. Und Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie, fordert auch in Deutschland den Neubau von Kohlekraftwerken - immerhin mit einer regelmäßigen Überprüfung der Betriebsgenehmigung, um erneuerbare Energien nicht zu behindern.

In diesem politischen Umfeld arbeiten Ingenieure mit Hochdruck daran, Kraftwerkstechnik für die Zukunft zu entwickeln, um Kohle als attraktive Option darzustellen. Konkret tüfteln sie vor allem an drei Technologien:

  • Kohletrocknung: Bei der Verfeuerung von Braunkohle lassen sich Effizienzgewinne dadurch erzielen, dass die Kohle vor dem Einsatz besser getrocknet wird. Deutlich niedrigere Temperaturen als bisher sollen den Energieverbrauch senken. So wird an der Technischen Universität Cottbus die Dampfwirbelschicht-Trocknug erforscht. Sie läuft deutlich energiesparender ab als bisherige Verfahren mit heißem Rauchgas. Eine Pilotanlage für das Wirbelschicht-Verfahren steht am RWE-Kraftwerk Niederaußem. Der Vattenfall-Konzern baut an einem Testprojekt am Standort Schwarze Pumpe.

  • 700-Grad-Technologien: In modernen Großkraftwerken werden Dampftemperaturen von 600 Grad und Drücke von 250 bar eingesetzt. Die Kraftwerke der Zukunft sollen sogar mit 700 Grad und 350 bar arbeiten. Zum Vergleich: Eine Espressomaschine erreicht etwa 15 bar. Für Hochleistungskraftwerke brauchen Ingenieure neue Materialien. Vor allem sind hitzebeständige Spezialstähle auf Nickelbasis gefragt, denen meist noch weitere Metalle beigemischt werden. 700-Grad-Kraftwerke sollen Wirkungsgrade jenseits der 50 Prozent erreichen. Allerdings sind die neuen Spezialstähle zum Teil schwer zu verarbeiten.

  • Kohlendioxid-Abtrennung: Die Abtrennung und Speicherung von Kohlendioxid - auch Carbon Capture and Storage, kurz CCS genannt - verbessert nicht die Energiebilanz von Kohlekraftwerken. Im Gegenteil: Bislang schlägt bei der Effektivität ein Minus von zehn Prozentpunkten zu Buche. Und trotzdem könnte die Technologie - das Funktionieren und gesellschaftliche Akzeptanz vorausgesetzt - darüber entscheiden, ob die Kohleverstromung überhaupt eine Zukunft hat. Denn vor allem die Braunkohle weist eine miserable CO2-Bilanz aus. Ihre Verbrennung würde sich ohne CCS nicht lohnen, wenn die großen Energieversorger vollständig in den Emissionshandel einbezogen sind. Die Kohle hätte dann sozusagen Waschzwang.

    Neue Verfahren sollen den Energieaufwand der CO2-Abtrennung verringern. Halbierte Werte versprechen etwa Forscher der TU Darmstadt, die an zwei Verfahren arbeiten. Beim sogenannten Carbonate-Looping-Prinzip wird das CO2 zunächst mit Hilfe von Kalkstein gebunden. Später wird es aus diesem gezielt herausgelöst und gespeichert. Beim Chemical-Looping-Verfahren kommt eine spezielle Verbrennungstechnik zum Einsatz. Einige Energieversorger testen CCS bereits in kleineren Anlagen. Doch gegen die unterirdische Speicherung des CO2 regt sich in vielen Teilen Deutschlands massiver Widerstand.

Die Haltung der Gesellschaft wird auch ganz allgemein zeigen, welche Rolle die Kohleverstromung in Zukunft in Deutschland noch spielen wird. Klar ist, dass neue Kraftwerke auch eine höhere Lastflexibilität als alte Anlagen bräuchten - weil die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen schwankt.

Im Rahmen der sogenannten Cooretec-Förderinitiative hat die Bundesregierung in den vergangenen sieben Jahren 300 Projekte für effizientere Gas- und Kohlekraftwerke gefördert - mit mehr als 310 Millionen Euro. Cooretec-Sprecher Alfons Kather, Maschinenbauer an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, lobt die "zuverlässigen fossil befeuerten Kraftwerke" in Deutschland deswegen auch "als Dienstleister für den Ausbau erneuerbarer Energien". Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hält im SPIEGEL-Interview dagegen: "Es dämmert doch nun allen, dass das ganze bisherige fossil-nukleare Betriebssystem der Gesellschaft keine Zukunft hat und massive Investitionen in regenerative Energien erfolgen müssen."

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