
Eingebaute Katastrophe: Von der Isolierung zum Inferno
Styropor-Platten in Fassaden Wärmedämmung kann Hausbrände verschlimmern
Hamburg - Sie sollen die Wärme im Haus halten - aber sie können offenbar auch eine Katastrophe verursachen: Styroporplatten, die jährlich in Deutschland in Hunderttausende Häuser als Wärmedämmung eingebaut werden, wirken als Brandbeschleuniger. Die Isolierungen haben anscheinend zahlreiche Feuer erst zum Desaster werden lassen.
Platten aus Polystyrol, besser bekannt als Styropor, kommen bei über 80 Prozent aller Wärmedämm-Einbauten in Häusern zum Einsatz. Sie sind besonders günstig und leicht zu verarbeiten.
Reporter des NDR haben das Material einem Realitätstest unterzogen - zu sehen am Montagabend in der Dokumentationsreihe "45 Min": Sie haben ein Brand-Experiment in der Materialprüfanstalt Braunschweig durchführen lassen. Der Versuch entsprach einem simulierten Zimmerbrand. 160 Millimeter dicke Dämmplatten aus Polystyrol, geschützt durch Armierung, Putz und Anstrich, wurden dem Ernstfall ausgesetzt: Ein Brand unter einer Maueröffnung entflammte das sogenannte Wärmedämmverbundsystem (WDVS) eines Markenherstellers.
Das erschreckende Resultat: Zwanzig Minuten hätte die Dämmung den Flammen standhalten müssen. Doch sie fing so schnell Feuer, dass der Versuch bereits nach acht Minuten abgebrochen werden musste.
Erstaunen in der Prüfhalle
Am Boden unter der Versuchswand hatte sich ein Feuer aus brennend abtropfendem Polystyrol gebildet, und trotz der Abluftanlage breiteten sich große Mengen giftiger, schwarzer Rauchgase in der Prüfhalle aus. Uwe Zingler von der Feuerwehr Braunschweig musste den Brand mit seinem Team löschen. Sein Fazit: "Nach acht Minuten kann so eine Fassade schon gänzlich brennen und dann besteht die Gefahr, dass sich über die Fassade ein Dachstuhlbrand entwickelt".
So ähnlich hat es sich möglicherweise bei einem Großbrand im Juni 2011 abgespielt: Jugendliche hatten in einer Wohnanlage im niedersächsischen Delmenhorst zwei Müllcontainer angesteckt, gleich fünf Mehrfamilienhäuser brannten aus. Vermutlich machte die Wärmedämmung die Flammen zur Katastrophe: Die mit Polystyrol gedämmten Fassaden hatten Feuer gefangen, der Brand griff rasch auf die hölzernen Dachstühle mehrerer Gebäude über.
Bereits 2005 hatte der Großbrand eines Hauses in Berlin für Aufsehen gesorgt - die mit Polystyrol gedämmte Fassade hatte den Brand nach Beobachtungen von Zeugen erst so richtig angetrieben: "Dass ein Zimmerbrand dazu führt, dass die Fenster platzen, die Flammen raus schlagen, das ist nichts Besonderes", erinnert sich Albrecht Broemme, der damals als Leiter der Berliner Feuerwehr vor Ort war. "Dass aber die Fassade dann anfängt zu brennen und von sich aus den Brand mit einer ganz starken Intensität weitertreibt und dann von der Fassade aus das Feuer in weitere Wohnungen rein läuft - das ist schon ein Fall, der Gott sei Dank sonst nicht vorkommt."
Auch Bauherren sind ahnungslos
Bei dem Brand in Berlin kamen zwei Menschen ums Leben, etliche konnten in letzter Sekunde über die Rückseite des Gebäudes vor den giftigen Rauchgasen gerettet werden. Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft Berlin ihre Ermittlungen ein. Die Bauweise und Bauausführung der Fassade sei zwar "möglicherweise brandfördernd" gewesen, "aber nicht in einer Weise vorschriftswidrig, dass sich hieraus eine strafrechtliche Verantwortlichkeit hätte herleiten lassen", erklärte Simone Herbeth, Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, auf Anfrage.
Der Hartschaum ist nach wie vor der mit Abstand am häufigsten verwendete Dämmstoff. Vielen Bauherren ist die Brennbarkeit von Polystyrol nicht bewusst, denn sie verlassen sich auf wissenschaftliche Tests: Die Brandsicherheit von WDVS mit Polystyrol wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens mit Brandversuchen im Originalmaßstab geprüft. Durchgeführt werden die Experimente von der Leipziger Prüfungsanstalt für das Bauwesen und vom Materialprüfungsamt Nordrhein-Westfalen. Es ist kurios, aber rechtmäßig: Die Tests werden von den Herstellern der Dämmsysteme selbst beauftragt und bezahlt. Das NDR-Team von "45 Min" hatte sich über Monate bemüht, bei einem solchen Versuch zu drehen - vergeblich.
Schließlich beauftragte die Redaktion einen eigenen Brandversuch bei der Materialprüfanstalt in Braunschweig. Der Versuchsaufbau lehnte sich an die offiziellen Tests an. "Hierbei soll gezeigt werden, dass die Flamme, die durch den Brenner erzeugt wird, nicht erheblich an der Wand hoch wandern kann, das Wärmedämmverbundsystem also quasi wenig zum Brand beiträgt", erläutert Olaf Riese von der TU Braunschweig, der den Versuch im Auftrag des NDR leitete. Doch die Annahme erwies sich als trügerisch: Der Prüfingenieur war überrascht, wie schnell die Wärmedämmung Feuer fing.
"Wenn die Bewohner wüssten"
Warum ging der Test anders aus als die offiziellen Experimente des Zulassungsverfahrens? Entscheidend dafür könnte gewesen sein, dass der Versuch im Auftrag des NDR realistischere Bedingungen zeigte: Im Gegensatz zu herkömmlichen Tests verzichteten die Prüfer diesmal auf den Einbau einer Brandsperre aus nicht brennbarer Mineralwolle über dem simulierten Fenstersturz. Diese 20 cm breiten Streifen werden bei den üblichen Brandversuchen verwendet und sollen ein Eindringen der Flammen in die Wärmedämmung aus Polystyrol verhindern. Indes: Im Hausbau kommen die Brandsperren selten zum Einsatz.
Bei Einfamilienhäusern sind diese Brandsperren überhaupt nicht vorgeschrieben. Bei Gebäuden mittlerer Höhe (7-22 Meter) indes müssen sie eigentlich über den Fenstern eingebaut werden - allerdings nur sofern die Polystyrol-Hartschaumplatten eine Dicke von 100 Millimetern überschreiten. Jedoch sei die Montage der Einzelstreifen besonders bei Fassaden mit vielen Fenstern zeit- und kostenintensiv, schreibt ein Dämmstoffhersteller auf seiner Internetseite.
Eine wesentliche Vereinfachung - ohne Abstriche bei der Brandsicherheit - biete aber der "umlaufende Brandriegel". Hierbei wird nach jeder zweiten Etage ein umlaufender, 20 cm breiter Riegel aus nicht brennbarer Mineralwolle verbaut. Damit gibt es aber jeweils ein ungeschütztes Zwischengeschoss, in dem ein Zimmerbrand auf die Fassade übergreifen kann. Diese Situation wurde in dem NDR-Versuch simuliert.
"Wenn die Bewohner um das Brandrisiko wüssten, würden sie wohl deswegen auf die Straße gehen", meint Albrecht Broemme, Präsident des Technischen Hilfswerks, der den Einsatz von Polystyrol in der Gebäudedämmung kritisch sieht - der Brandschutz wird dem Experten zufolge nicht ausreichend beachtet. "Das Thema", sagt Broemme, "war eben bislang etwas für Fachleute - Bewohner werden erst vom Brand überrascht."
"45 Min - Wahnsinn Wärmedämmung" im NDR-Fernsehen am 28. November 2011, 22:00 Uhr