Havarie der »Ever Given« Wie man den Kahn aus dem Dreck zieht

Experten arbeiten unter Hochdruck daran, den havarierten Containerfrachter »Ever Given« freizubekommen. Dabei werden auch verwegene Strategien diskutiert.
Festgefahrener Containerriese in Ägypten

Festgefahrener Containerriese in Ägypten

Foto: Planet Labs

Keiner weiß, wann die »Ever Given« wieder Fahrt aufnimmt. Das 400 Meter lange und 59 Meter breite Containerschiff war am Dienstag auf Grund gelaufen – wohl durch starke Winde und schlechte Sicht. Seitdem steckt es im Suezkanal fest, einer der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Der Pott, der einem japanischen Unternehmen gehört, blockiert die Passage durch den Kanal für Hunderte weitere Schiffe, wie Trackingdaten zeigen. Dadurch entstehen gigantische Kosten , zudem geraten die globalen Lieferketten der Waren ins Stocken.

Die Bergung der »Ever Given«, die unmittelbar bei der Stadt Sues an der Nordspitze des Roten Meeres quer liegt, ist offenbar keine Kleinigkeit. Das Schiff steckt zu beiden Seiten in der Uferbefestigung. Je nachdem, wem man glaubt, könnte es Tage oder Wochen dauern; letzteres sagte zumindest ein an der Bergungsaktion beteiligtes Unternehmen. Die japanische Eignerfirma hofft dagegen, dass das Schiff am Wochenende wieder flott ist.

Im Augenblick setzen die Experten auf Schlepper, die den Bug der »Ever Given« wieder in den Strom ziehen sollen. Die Hoffnung ist auch, dass die Schiffsschrauben der Schlepper Sediment unter dem Bug des Containerriesen sozusagen wegblasen. Zehn solcher Schiffe versuchten das allerdings bislang erfolglos.

Deshalb dürften Hobbyingenieure rund um die Welt derzeit diskutieren, was jetzt zu tun ist. Dabei wurde auch eine Strategie erörtert, die zunächst völlig abwegig klingt: der Einsatz von Hubschraubern. Tatsächlich sollen Mitarbeiter der ägyptischen Kanalbehörde über diese Möglichkeit spekuliert haben. So könnte man die Ladung des Schiffs nach und nach löschen. Durch die Gewichtsreduzierung ist es vielleicht möglich, dass sich der Containerriese leichter vom Grund ziehen lässt.

Ein interessanter Ansatz. Zwar ist unklar, wie viele Container derzeit an Bord sind, auf Bildern erscheint das Schiff nah an der Wasserlinie. Es kann bis zu 20.000 20-Fuß-Container transportieren. Jeder dieser Container wiegt leer ungefähr zweieinhalb Tonnen, voll beladen bringen es 40-Fuß-Container auf gut 30 Tonnen.

Bagger am Bug des Schiffes

Bagger am Bug des Schiffes

Foto: Suez Canal Authority / EPA

Bei dieser Last kommen Helikopter an ihre Grenzen. Der Sikorsky CH-53K King Stallion gilt als stärkster Transporthubschrauber der US-Streitkräfte. Aber auch er kann trotz seiner drei Triebwerke nur rund 16 Tonnen bewegen. Selbst der russische Mil Mi-26, der stärkste und größte Serienhubschrauber der Welt, kann nur rund 20 Tonnen in die Luft heben, heißt es in einem Bericht . Zwar gab es mal eine Maschine, die solche Lasten bewegen konnte: den Mil Mi-12, den größten bisher gebauten Hubschrauber. Aber gebaut wurden lediglich Prototypen, die heute im Museum stehen.

Mit dem Mil Mi-26, von dem zwei Maschinen von den Streitkräften Jordaniens betrieben werden, können also höchstens leichtere Container bewegt werden. Und auch das würde dauern. Um das Schiff um 5000 Tonnen zu erleichtern, müsste man Hunderte Flüge unternehmen.

DER SPIEGEL

Grundsätzlich wurden solche Missionen bereits durchgeführt. Als 2017 das über 180 Meter lange Containerschiff »Kea Trader« auf ein Riff lief, wurden im späteren Verlauf des Unglücks Hubschrauber vom Typ Sikorsky-»Skycrane« eingesetzt, um die Container zu bergen.

Saugbagger und Ballastwasser

Experten setzen bei solchen Unfällen sonst üblicherweise auf eine dreistufige Strategie: eine Kombination aus Baggern, dem Einsatz von Schleppern und notfalls der Gewichtsreduzierung.

Derzeit arbeitet bereits ein Bagger am Ufer und trägt rund um den mächtigen Bugwulst Erde ab. Ein spezieller Saugbagger soll ebenfalls eingesetzt werden. Er kann pro Stunde rund 2000 Kubikmeter Material bewegen, teilte die Kanalbehörde mit. Demnach müssten geschätzt zwischen 15.000 und 20.000 Kubikmeter Sand unter dem Schiff abgetragen werden. Dann sei eine Tiefe von 12 bis 16 Metern erreicht, die ausreiche, um das Schiff wieder frei zum Schwimmen zu bringen.

Sollte das nicht funktionieren, wird die rund 224.000 Tonnen schwere Stahlkonstruktion wohl abspecken müssen. Üblicherweise wird dabei zunächst Ballastwasser abgelassen. Normalerweise hilft das Ballastsystem dem Schiff, unregelmäßige Gewichtsverteilung auszugleichen und es gleichmäßig auf die Wasserlinie zu legen. Bis zu 20.000 Tonnen Wasser kann ein Schiff dieser Größe an Bord haben, berichtet ein ehemaliger Kapitän, der den Kanal mehrfach durchfahren hat, dem SPIEGEL.

Eine weitere Möglichkeit ist das Abpumpen von Treibstoff, dafür müssen aber entsprechende Tankschiffe an den Ort der Havarie reisen. Und möglicherweise reicht das im Fall der »Ever Given« nicht aus, um sie leicht genug zu machen, vermuten Experten.

Löschen der Ladung

Aber schon diese beiden Schritte sind mit enormem Aufwand verbunden und nicht ohne Risiko. Zunächst wird eine Stabilitätsberechnung aufgestellt, denn man kann nicht einfach beliebig Wasser und Treibstoff entnehmen und das Schiff unten erleichtern, während oben schwere Container draufstehen. Es könnte im schlimmsten Fall kippen, deshalb müssen Wasser und Treibstoff gleichmäßig aus den verschiedenen Tanks gelassen werden.

Als nächste Möglichkeit bleibt nur das gleichmäßige und schrittweise Löschen der Ladung. Mit Schwimmkränen wäre das aber eine aufwendige Operation, denn zunächst müssten sie nahe genug an das Schiff herangebracht werden und groß genug sein, um die obersten Container zu erreichen. Auch hier ist fraglich, wie schnell entsprechendes Gerät nach Suez gebracht werden kann.

Möglicherweise lassen sich hier Spezialschiffe verwenden, die für den Aufbau von Offshore-Windanlagen gebraucht werden. Aber auch das Abladen der Container ist nicht leicht. Denn ein Schiff kann nicht einfach von einer Seite abgeladen werden, es besteht die Gefahr, dass es aus dem Gleichgewicht gerät. Die Ladung muss gleichmäßig entnommen werden.

Wenn alle anderen Versuche fehlschlagen, wird man am Ende versuchen, das zumindest etwas leichtere und freigebaggerte Schiff mit Schleppern aus dem Ufer zu ziehen. Solche Strategien sind bereits mehrfach erfolgreich umgesetzt worden. Für eine der spektakulärsten Aktionen muss man nicht einmal in ferne Länder schauen. 2016 wurde die »CSCL Indian Ocean« nahe dem Hamburger Hafen aus der Elbe befreit. Der nahezu genauso lange Containerriese havarierte, als die Ruderanlage ausfiel.

Das Schiff musste schließlich um mehr als 6500 Tonnen Gewicht erleichtert werden, davon waren 2500 Tonnen Treibstoff. Saugbagger trugen damals 45.000 Kubikmeter Sediment ab, ehe das Schiff von zwölf Schleppern freigeschleppt werden konnte. Die Aktion dauerte damals fast mehr als fünf Tage.

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