Großes Physikrätsel Wissenschaftler leiten Strom erstmals verlustfrei bei Raumtemperatur

Supraleiter könnten die Technologien von morgen ermöglichen, doch bislang funktionierten die Materialien nur bei extremer Kälte. Nun sind Forscher einen wichtigen Schritt weitergekommen.
Ein Magnet schwebt über einem Supraleiter, der in flüssigem Stickstoff gekühlt wird

Ein Magnet schwebt über einem Supraleiter, der in flüssigem Stickstoff gekühlt wird

Foto: J. Adam Fenster / University of Rochester

Zum ersten Mal haben Forscher ein Material entwickelt, das Strom bei Raumtemperatur nahezu ohne Widerstand leitet. Damit scheint ein jahrzehntealtes Ziel der Physik erreicht zu sein, doch die Sache hat einen Haken: Das System funktioniert nur bei extrem hohem Druck. Für die breite Anwendung ist es also noch ungeeignet.

Forscher hoffen, dass bei Raumtemperatur anwendbare Supraleiter eines Tages dazu beitragen, effiziente Quantencomputer in großer Menge herzustellen. Andere leistungsfähige elektrische Geräte könnten mithilfe der Technik arbeiten, ohne zu überhitzen, verlustarme Stromleitungen wären denkbar, genauso wie Hochleistungsmagnete ohne Kühlung für Magnetschwebebahnen oder MRT-Geräte.

Chris Pickard, Physiker an der University of Cambridge, bezeichnete die neue Arbeit auf der Nachrichtenseite  des Fachmagazins "Science" als Meilenstein. In anderen Zeiten hätte die Erkenntnis wahrscheinlich auf den Titelseiten großer Zeitungen Platz gefunden.

Druck, fast so hoch wie am Erdmittelpunkt

Basis der nun bekannt gewordenen Arbeit von Ranga Dias von der University of Rochester und Kollegen ist eine Klasse von Supraleitern, die Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie bereits 2015 entwickelt haben. Den Mainzer Forschern war es gelungen, Strom bei minus 70 Grad Celsius fast ohne Widerstand zu leiten, damals ein Rekord. Dias und Kollegen berichten nun in einem Titelbeitrag des Fachmagazins "Nature" , ihr Material leite Strom bei rund 15 Grad Celsius beinahe verlustfrei - damit ist eine neue Größenordnung erreicht.

Supraleiter zwischen zwei Diamantspitzen

Supraleiter zwischen zwei Diamantspitzen

Foto: J. Adam Fenster / University of Rochester

Dias und Kollegen haben das in Mainz entwickelte Material auf gut Glück durch Kohlenstoff ergänzt. Es besteht außerdem aus Schwefel und Wasserstoff. Die Forscher platzierten eine winzige Probe der Stoffkombination zwischen zwei feinen Spitzen aus Diamant und regten diese mit Laserlicht zur Reaktion an, sodass sich ein Kristall formte. Als die Forscher die Temperatur reduzierten, sank der Widerstand für den durch das Material fließenden Strom auf null. Ein Supraleiter war entstanden.

Die Forscher erhöhten den Druck und stellten fest, dass das Material bei einer immer höheren Temperatur supraleitend wurde. Bei 14,55 Grad Celsius und einem Druck von 267 Gigapascal war das Maximum erreicht. Der Wert entspricht dem 2,6-Millionenfachen des Drucks auf der Erde und etwa drei Viertel des Drucks im Erdinnern.

Mehr Rohdaten gefragt

Die jüngste Studie liefere einen überzeugenden Hinweis auf die Hochtemperaturleitfähigkeit des Materials, sagte der Physiker Mikhail Eremets vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz dem Fachmagazin "Nature" . Er gehörte zu dem Team, das 2015 die Vorarbeit für den Versuch gemacht hat. Allerdings fehlen Eremets noch die Rohdaten aus dem Experiment. Nur anhand dieser können Forscher das Experiment nachvollziehen und in ihren eigenen Laboren überprüfen.

Erstmals beobachtet wurde Supraleitung bereits im Jahr 1911. Der niederländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes dokumentierte sie in einem Quecksilberdraht bei nur 4,2 Grad über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad. In den folgenden Jahrzehnten ergründeten Forscher die physikalischen Grundlagen des Phänomens und erzeugten Supraleiter, die bei immer höheren Temperaturen funktionierten.

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