
Tarntechniken: Unsichtbares Militärgerät
Tarntechniken im Kampfeinsatz Amerikas unsichtbare Armee
Es sind nur ein paar Wrackteile, mit Mühe kann man einen Rotor auf den unscharfen Bildern erkennen. Dennoch reichen die Aufnahmen aus, um die Fachwelt zu elektrisieren. "Das ist das erste Mal, dass wir einen Stealth-Hubschrauber im Einsatz gesehen haben", sagte Luftfahrtexperte Bill Sweetman am Donnerstag dem US-Sender ABC. Ähnlich beeindruckt zeigte sich Dan Goure vom Lexington Institute in Arlington, Virginia, das der US-Rüstungsindustrie nahesteht: "Das ist eine Premiere."
Die Notlandung und anschließende Sprengung eines geheimnisvollen, bisher nicht bekannten Hubschraubertyps beim Zugriff auf das Bin-Laden-Anwesen im pakistanischen Abbottabad hat die Fachwelt aufgeschreckt. Seit langem gibt es Spekulationen über diesen Helikopter, nun liegt möglicherweise ein sichtbarer Beleg vor.
Über den Typ der Maschine gibt es keine gesicherten Angaben, es könnte sich um einen Stealth-Blackhawk-Hubschrauber handeln, über dessen Existenz es bisher nur Gerüchte gab. Die Indizien deuten jedenfalls darauf hin, dass es sich um eine Art "Flüster-Design", also einen besonders geräuscharmen Hubschrauber handelt.
Meister der Tarnung
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine ausgereifte Tarntechnologie des US-Militärs quasi aus dem Nichts auf dem Gefechtsfeld erscheint - denn in dieser Hinsicht sind die Amerikaner Weltmeister der Geheimhaltung.
Als das Pentagon Ende 1988 endlich die Existenz des Tarnkappen-Jagdflugzeugs F-117 "Nighthawk" bestätigte, stand die Baureihe bereits knapp vor ihrer Einstellung. Nur zwei Jahre später wurden die letzten Exemplare an die US-Luftwaffe ausgeliefert - und das Nachfolgemodell YF-22 Raptor hatte bereits seine ersten Testflüge absolviert. Die Planungs- und Entwicklungsarbeiten für diesen Stealth-Jet der zweiten Generation waren bereits 1969 im Rahmen von Studien zu einem "Advanced Tactical Fighter" auf den Weg gebracht worden - lange bevor Materialwissenschaft, Physiker und Designer alle Voraussetzungen für die Umsetzung erfolgreicher Tarnkonzepte geschaffen hatten.
Stealth-Technologie, die darauf abzielt, militärische Fahrzeuge, Schiffe, Fluggeräte oder U-Boote vor Aufspürtechnik zu verstecken, ist keine Erfindung der letzten Jahre. Seit Armeen sich von dem Konzept verabschiedeten, in grellbunten Uniformröcken aufrecht gehend in langen Reihen und fester Formation aufeinander zuzulaufen und stattdessen Tarnfarben anlegten, gibt es in der Kriegsführung einen Wettbewerb zwischen denen, die entdecken und denen, die verbergen wollen.
So begann auch die Forschungsarbeit an Stealth-Technik für Fahr- und Fluggerät unmittelbar nach der Einführung der ersten militärischen Anwendung des bereits 1904 patentierten Radarprinzips. Die ersten Gegenmaßnahmen konnten sich auf frühe Forschungen über Radar absorbierende Materialien (RAM) stützen, die bereits 1936 in den Niederlanden veröffentlicht wurden. Schon das Gummieren von U-Boot-Teleskopen erschwerte deren Ortung, doch bis in die achtziger Jahre blieb der Fortschritt der Ortungstechnik der Entwicklung von Gegenmaßnahmen stets einen Schritt voraus.
Zeit der Tarnbomber
Es sollte eineinhalb Jahrzehnte dauern, bis dieser Trend von US-Forschern gestoppt werden konnte. Die amerikanischen Stealth-Techniken beruhten von da an sowohl auf speziellen RAM-Beschichtungen, als auch auf ausgefuchsten Design-Prinzipien. Die zielten darauf ab, den sogenannten Radarquerschnitt der militärischen Geräte zu manipulieren.
In frühen, erfolgreichen Versuchen schafften es die Amerikaner, zur Irreführung von Gegnern und Ablenkung von Abfangraketen Lockobjekten die Radarsignatur regulärer Flugzeuge zu geben. Spätestens in den achtziger Jahren aber gelang es, die Radarquerschnitte von Flugzeugen und Schiffen so zu maskieren, dass die Geräte quasi unsichtbar wurden für das Ortungsgerät. Auch Wärmesignaturen versuchten die Entwickler durch spezielle Düsendesigns oder - bei anderen Fahrzeugen - durch Verdecken und Verstecken von Abgasauslässen zu tarnen. Zunehmend mit Erfolg.
Bereits 1981 erhob sich die erste serienreife Maschine vom Typ F-117 in die Lüfte, der bis heute wohl bekannteste Stealth-Bomber mit der typischen extremwinkeligen geometrischen Gestaltung. Frühe Prototypen flogen sogar schon vier Jahre zuvor, ab 1983 unterhielten die Amerikaner eine einsatzbereite Staffel.
Trotzdem blieb das Flugzeug für weitere fünf Jahre im Sinne des Wortes ein Ufo, ein unbekanntes fliegendes Objekt. Einzelne Sichtungen seltsamer Fluggeräte dementierte das Pentagon kühl, aber bestimmt. Etliche Berichte darüber dürften in die Ufo- und Area-51-Folklore eingeflossen sein. Jahrelang flogen, schwammen und fuhren Stealth-Fahrzeuge nur an geheimen Orten und zu Zeiten, in denen sie von Spionagesatelliten nicht erspäht werden konnten.
Wie geschickt sich die Amerikaner bei der Geheimhaltung anstellten, zeigt auch die "Sea Shadow", das 1985 in Dienst gestellte erste Stealth-Versuchsschiff der US Navy. Das immerhin 50 Meter lange Boot mit der spektakulären, damals äußerst fremdartigen Keilform und den ungewohnt glatten Außenflächen blieb bis 1993 ein Geheimnis. Inzwischen sind die Bauprinzipien der "Sea Shadow" schon fast ein Standard. Neben den USA haben zumindest auch Großbritannien, Frankreich sowie Norwegen und Schweden Stealth-Schiffe in Dienst gestellt, die Türkei plant ein Boot noch im Laufe dieses Jahres.
Bei Flugzeugen haben die USA noch die Technologieführerschaft, doch auch hier ziehen andere nach. Russland ließ seine Suchoi T-50 erstmals im Januar 2010 öffentlich starten, und im Januar 2011 führte China völlig überraschend seine Chengdu J-20 vor. Bei zahlreichen militärischen Landfahrzeugen kommen die Stealth-Bauprinzipien ebenfalls schon fast routinemäßig zum Einsatz, vor allem Radar-absorbierende Beschichtungen.
Helikopter als Stealth-Herausforderung
Der eine Bereich, in dem der Stealth-Durchbruch bislang ausblieb, ist die Helikoptertechnik. Hubschrauber sind im Vergleich zu Flugzeugen langsam und laut. Sie haben aber noch ein weiteres Problem: Selbst, wenn man ihren Korpus mit den bekannten Designprinzipien für das Radar schwer auffindbar macht, bleiben noch immer die Rotoren.
Das geometrische Prinzip, mit dem man die Form eines Fahrzeugs so gestaltet, dass sich möglichst nirgendwo eine Reflexionsfläche für den Radarimpuls bietet, kann hier nicht greifen. Denn die Rotoren bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit; sie sind flexibel, ihre Neigung und Biegung ist abhängig von Tempo, Bewegung und Außeneinflüssen wie dem Wind; sie schwingen und biegen sich durch und bieten so kein berechenbares Profil. Der Neigungswinkel, in dem die Rotoren stehen, ist durch Design und Physik definiert: Man kann all das nicht beliebig ändern, ohne Auftrieb und Vortrieb zu beeinflussen - oder zu verlieren.
Bisherige Versuche, für das Radar unsichtbare Helikopter zu entwickeln, sind an solchen Problemen gescheitert. Der Traum vom "Fliegenden Auge", wie ein Sci-Fi-Film der achtziger Jahre hieß, der einen Stealth-Hubschrauber zum Thema hatte, ist bisher angeblich nicht verwirklicht worden. Versucht haben es die Amerikaner offenbar dennoch: Von 1983 bis 2004 pumpten die Luftfahrt- und Rüstungskonzerne Boeing und Sikorsky Gelder in die Entwicklung des RAH-66 "Comanche", der Amerikas erster Stealth-Hubschrauber werden sollte. Der Versuch scheiterte.
Trotzdem hielten sich hartnäckig Gerüchte über Stealth-Hubschrauber - und in gewissem Sinne sind die wahrscheinlich richtig: Denn "Stealth" ist ein äußerst ambivalenter, unscharfer Begriff. Auch US-Militärs nutzen ihn für alles, was irgendwie "heimlich", "schleichend" oder "leise" sein soll.
Und so gilt der "Flüstermodus" der notorisch lauten Helikopter, der auch Überraschungsangriffe möglich machen soll, ebenfalls als Stealth-System. Hier gibt es erste Erfolgsmeldungen. Die bekannteste Technik ist das NOTAR-Prinzip von McDonnell Douglas. das Kürzel steht für "No Tail Rotor", kein Heckrotor. Das reduziert eine Lärmquelle, vor allem aber Interferenzen, die sich zwischen Haupt- und Heckrotor ergeben und für mächtig Dezibel sorgen.
Der beim Angriff auf das Anwesen Bin Ladens abgestürzte "Stealth"-Hubschrauber dürfte eine andere, neue Art dieser Leisetreter-Technik repräsentieren. Zeugenaussagen stützen diese Vermutung, die durch die seltsamen Designs der Heckrotor-Abdeckung genährt wurden. So heißt es, dass man die Helikopter der Amerikaner erst gehört habe, als sie unmittelbar über dem Ziel waren.
Die Nachrichtenagentur Reuters mutmaßte, dass dabei auch eine Anti-Radartechnik zum Einsatz gekommen sein könnte. Es gibt Berichte über ein bisher unbekanntes Material des Heckrotors. Also doch ein "RAM" für Hubschrauber? Gerüchte darüber gibt es bereits seit 1995. Angeblich schon ab 1991 sollen in der Wüste von Nevada Hubschrauber-Designs im Einsatz gegen Radargeräte getestet worden sein. Ort der nur kolportierten geheimen Tests: die berüchtigte Area 51.
Irgendwann wird man wissen, ob der Durchbruch bei den Tarnhubschraubern gelungen ist - und ob der Einsatz gegen Bin Laden die Feuertaufe war. Die Halbwertszeit für die erfolgreiche Geheimhaltung von Stealth-Techniken scheint ja bei etwa 15 Jahren und mehr zu liegen. Dass in Abbottabad aber wirklich ein für das Radar unsichtbarer Hubschrauber abstürzte, ist zumindest sehr wenig wahrscheinlich.