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Technik für Schiedsrichter Piep - Toooooooor!

Chip im Ball, Hochgeschwindigkeitskameras so effektiv wie Falkenaugen: Dramatische Schiedsrichter-Patzer wie im WM-Spiel Deutschland-England wären schon lange vermeidbar - doch die Fifa-Bosse sperrten sich bislang gegen Hightech. SPIEGEL ONLINE erklärt, welche Systeme zur Torerkennung es gibt.

Achtelfinale der Fußballweltmeisterschaft: Frank Lampard zieht aus 17 Metern ab, der Ball knallt an die Unterkante der Querlatte und von dort eindeutig hinter die Linie auf den Rasen. Anschließend springt er wieder aus dem Tor. Der uruguayische Schiedsrichter Jorge Larrionda lässt weiterspielen - seitdem diskutiert nicht nur ganz England über das geklaute Tor.

Dass Lattenknaller hinter der Linie auf den Boden treffen und wieder aus dem Tor herausspringen, ist nicht einmal ungewöhnlich. Wenn ein Ball mit großer Wucht auf einer nahezu waagerechten Flugbahn gegen die Lattenunterkannte fliegt, bekommt er einen Drall. Denn der Ball ist weich, er wird beim Aufprall etwas eingedrückt und rollt ein kleines Stück um die Querlatte nach unten, bis er sich wieder von ihr löst. Die Kugel rotiert dann wie ein angeschnittener Tischtennisball und springt auf verblüffende Weise aus dem Tor heraus.

Von der Tribüne aus war das Tor der Engländer leicht zu erkennen, vor allem wenn man in Höhe der Grundlinie saß. Für die Unparteiischen ist die Entscheidung schwerer, denn ihre Perspektive ist nicht die beste. Der Linienrichter steht fast 40 Meter von der Tormitte entfernt - und nur selten genau auf der Grundlinie. Auch der Schiedsrichter blickt aus relativ spitzem Winkel auf die Torlinie - er hat nicht so eine gute Draufsicht wie die meisten Stadionbesucher. Weil der Aufprall eines Fußballs auf dem Rasen nicht einmal eine Hundertstelsekunde dauert, kann auch er sich täuschen.

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Hilfe für Schiedsrichter: Chip im Ball oder Torkamera?

Foto: DB Kazuya Tahara adidas/ picture alliance / dpa

Das Problem folgenreicher Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern ist den Verantwortlichen beim Weltfußballverband Fifa durchaus bekannt. Seit Jahren wird immer wieder gefordert, die Unparteiischen mit Technik zu unterstützen. Anfang 2010 hat die Fifa zuletzt zwei verschiedene Systeme untersucht, die Tore automatisch anzeigen. "Die Frage war, sollen wir Technik im Fußball zulassen, und die Antwort war ganz klar: Nein!", sagte Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke im März.

Die Entscheidung wirkt aus heutiger Perspektive geradezu absurd. "Wir sind alle der Meinung, dass die Technologie aus dem Spiel herausgehalten werden muss", erklärte Valcke. "Das Einzigartige sind die Menschen." Fehler werde es immer geben, "aber lasst uns den Fußball so erhalten, wie er ist". Jonathan Ford vom Waliser Verband ergänzte damals: "Strittige Entscheidungen sind doch gerade das Schöne an diesem Sport."

Krasse Fehlentscheidungen sind freilich alles andere als schön - das hat nun offenbar auch Fifa-Präsident Sepp Blatter eingesehen: Er kündigte an, über technische Hilfsmittel nun zumindest debattieren zu wollen.

SPIEGEL ONLINE stellt Technologien vor, mit denen sich Fehlentscheidungen vermeiden lassen:

Chip im Ball

Die deutsche Firma Cairos Technologies AG  hat gemeinsam mit Adidas ein System entwickelt, das auf einen Chip im Ball und ein Magnetfeld an der Torlinie setzt. Hinter der Torlinie ist ein dünnes Kabel verlegt, durch das ein schwacher Strom fließt, der ein Magnetfeld erzeugt. Wenn der Ball sich der Linie nähert, registriert der Chip darin das Magnetfeld und sendet die Daten verschlüsselt an zwei Antennen neben dem Tor. Eine Software analysiert die Messwerte und entscheidet, ob der Ball die Linie vollständig überquert hat. Ist dies der Fall, wird der Schiedsrichter mit einem verschlüsselten Funksignal an seine Armbanduhr über das Tor informiert.

Hundertprozentig ausfallsicher ist das sicher nicht, womöglich kann die Funkübertragung sogar gezielt gestört werden. In Tests schnitt das sogenannte Goal Line Technology System auf jeden Fall gut ab. Der Chip im Ball wurde bereits 2005 bei der U17-WM in Peru genutzt und sollte ursprünglich bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zum Einsatz kommen. Schließlich entschied sich die Fifa aber dagegen. Das endgültige Aus für technische Lösungen kam dann im März 2010. "Der Fußball soll menschlich bleiben", sagte UEFA-Präsident Michel Platini. Der Fußball verliere seine Faszination, wenn er "wissenschaftlich" werde, meinte Fifa-Präsident Sepp Blatter.

An der Entwicklung des Chips im Ball war anfangs auch das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen beteiligt. Die Forscher haben das System mittlerweile in eine andere Richtung weiter entwickelt: als Analysewerkzeug für Trainer und Medien. Beim System Witrack  sind Ball und Spieler mit aktiven RFID-Chips ausgerüstet. Antennen an den Sendemasten messen ähnlich wie bei GPS die Laufzeitunterschiede der Funksignale und können so die Position von Spielern und Ball auf wenige Zentimeter genau orten. Installiert ist das System bislang nur in zwei Stadien: in Nürnberg und in Dublin, wo allerdings nicht Fußball, sondern Rugby gespielt wird.

"Witrack wurde primär zur Spieleauswertung entwickelt", sagt Fraunhofer Forscher René Dünkler. "Man bekommt Laufwege und Distanzen zum Tor in Echtzeit." Zum Anzeigen von Toren sei Witrack jedoch nicht geeignet. Dazu müsse es mit einer anderen Technik kombiniert werden, erklärt Dünkler, etwa mit dem System von Cairos und Adidas.

Aus Dänemark kommt das System Goalref , das ähnlich wie das von Cairos und Adidas mit Magnetfeldern und einen Chip im Ball arbeitet.

Torkameras

Ob ein Ball auf oder hinter der Linie war - darüber wird nicht nur im Fußball gestritten. Tennisspieler und -schiedsrichter können sich mittlerweile auf den scharfen Blick eines Raubvogels verlassen. Hawk-Eye , also Falkenauge, heißt das in England entwickelte System, das mit sechs hochauflösenden Hochgeschwindigkeitskameras arbeitet. Diese sind gleichmäßig um das Spielfeld herum positioniert und überwachen permanent die Position des Balls. Weil die Kugel von mehreren Kameras zugleich erfasst wird, lässt sich aus den Messdaten leicht ihre exakte Position im Raum berechnen. Beim Cricket, wo Hawk-Eye zum Einsatz kommt, gibt der Hersteller eine Ortungsgenauigkeit von fünf Millimetern an. Auch hier liefert das System quasi in Echtzeit die Information "Tor" an den Schiedsrichter.

Im Dezember 2006 wurden die Torkameras in der italienischen Serie A beim Spiel zwischen Udinese Calcio und Reggina Calcio eingesetzt. Im Jahr 2007 stand das Hawk-Eye-System bei den U20- und U17-Weltmeisterschaften in Kanada und Südkorea. Letztlich entschieden sich die Fifa-Funktionäre aber auch gegen spezielle Torkameras - wohl auch weil sie fürchteten, dass Einführung weitere technische Hilfsmittel nach sich ziehen könnte. Was an der Torlinie klappt, könnte man ja auch an der Seitenauslinie tun.

Klassischer Videobeweis

Beim Achtelfinale Deutschland-England am 27. Juni 2010 wäre Hightech nicht einmal nötig gewesen, um das Tor als solches zu erkennen. Normale Fernsehbilder hätten genügt. Der klassische Videobeweis, üblich beispielsweise im American Football oder im Eishockey, hat jedoch den Nachteil, dass das Spiel dafür unterbrochen werden muss. Bei den vollautomatischen Systemen von Cairos/Adidas und Hawk-Eye ist das nicht der Fall.

Torrichter

Statt mit Hightech experimentieren die Fußballfunktionäre inzwischen mit Torrichtern. Das sind zusätzliche Unparteiische, die unmittelbar neben dem Kasten stehen. Erstmals kamen sie in der Europa-League-Saison 2009/2010 zum Einsatz. Eine generelle Entscheidung über Torrichter hat die Fifa noch nicht getroffen.

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