Schöpfungsgeschichte und Wissenschaft Es werde Licht

Kapitel 1: Es werde Licht
Diese Schöpfungsgeschichte des Lichts beginnt nicht mit Gott, sondern mit Florian Marquardt, schlank, braunes, gescheiteltes Haar, schwarzgerahmte Brille. Der 45-Jährige kennt sich mit dem Thema so gut aus wie kaum jemand sonst. Marquardt ist Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen.
Wenn er erklären soll, warum er ausgerechnet Licht erforscht, lacht der Physiker erst, dann gerät er ins Schwärmen und spricht über photonische Kristalle, Spektroskopie, Quantenkryptografie. Die Begriffe lassen erahnen: Was in der Bibel als Fingerschnipp-Erfindung - "Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht" - daherkommt, ist naturwissenschaftlich betrachtet etwas komplexer.
"Licht ist ungewöhnlich", sagt Marquardt. Normalerweise stecke hinter jedem noch so komplizierten Phänomen eine einfache, naturwissenschaftliche Erklärung, die jeder nachvollziehen kann. Bei Licht ist das anders. Lange stritten Wissenschaftler über seine Beschaffenheit, erst vor gut 90 Jahren fanden sie die Antwort.

Die Forschungsgeschichte auf Irrwegen geht so: Im 17. Jahrhundert zeigte Christiaan Huygens, dass sich Licht keineswegs wie ein gebündelter Strahl ausbreitet wie bis dahin angenommen. Sonst müssten alle Ecken stockdunkel bleiben, die das Licht nicht auf geradem Weg erreichen kann. Huygens Erklärung: Licht breitet sich wellenförmig aus. Völliger Mumpitz, urteilte dagegen Isaak Newton. Die schon zu damaliger Zeit legendäre Koryphäe der Physik war sich sicher: Licht besteht aus Teilchen, die er "Korpuskeln" nannte.
Welle oder Teilchen? Bei dieser Glaubensfrage mussten sich fortan alle Physiker bekennen, darunter Berühmtheiten wie James Clerk Maxwell, Max Planck und Albert Einstein. Was dann passierte, ist ungewöhnlich für einen so fundamentalen Streit, bei dem scheinbar nur eine Seite recht haben kann. 1927 einigte man sich: Alle liegen richtig und falsch zugleich. Licht verhält sich mal als Teilchen, mal als Welle, ist aber weder das eine noch das andere. Nicht kapiert? Nicht schlimm.
"Das lässt einen schon am Kopf kratzen", gibt selbst Marquardt zu. "Aber das Licht verhält sich schon seit 14 Milliarden Jahren so. Wir haben nur lange gebraucht, um das zu verstehen." Und ohne seine seltsamen Eigenschaften hätte es niemals Leben auf der Erde gegeben.

Kapitel 2: Und die Welt sah, dass das Licht gut war
Licht ist der göttliche Funke, der die Welt zum Leben erweckte. Die Nahrungskette, die gesamte Biomasse, alle fossilen Energieträger haben ihren Ursprung im Sonnenlicht. Umso ärgerlicher, dass alle paar Stunden die Dunkelheit hereinbricht.
Für viele Tiere ist die Nacht gefährlich, Räuber können sich unbemerkt anschleichen, dazu wird es unangenehm kalt. Ein Problem, das nur der Mensch zu lösen wusste. Schon vor einer Million Jahren drängte sich Homo erectus in einer Höhle im heutigen Frankreich um eine schützende, wärmende Flamme, ein evolutionärer Durchbruch. Die Beherrschung des Feuers machte die Gattung homo erst menschlich, glauben Forscher.
Das hat vor allem zwei Gründe: Gekochtes Essen lässt sich leichter verdauen und liefert dadurch mehr und schneller Energie. Vermutlich konnte es sich der Mensch nur deshalb erlauben, ein so komplexes Gehirn zu entwickeln, das ein Fünftel der durch Nahrung aufgenommene Energie verschlingt. Und nicht nur das: Das gemütliche Sitzen am Feuer, das Teilen von Essen ist ein wichtiger Teil dessen, was uns menschlich macht.
Die Glühbirne änderte alles
Mit Erfindung der künstlichen Beleuchtung emanzipierte sich der Mensch weiter von der Natur. Scheuchte der Sonnenuntergang ihn früher ins Bett oder ans Feuer, geht der Tag heute einfach weiter. Jeder mit einer sprachgesteuerten Lampe kann nun wie Gott in der Bibel sagen: "Es werde Licht!" Und es wird Licht. Für alle anderen reicht ein Druck auf den Lichtschalter, außer für die 840 Millionen Menschen, die auch im 21. Jahrhundert ohne Strom auskommen müssen.
Noch vor 140 Jahren war alles viel unbequemer. Gequälte Städter eilten nachts mit Sonnenschirmen durch die Straßen, um sich vorm grellen Licht der Bogenlampen zu schützen, die auch noch unangenehm surrten, nur um sich zu Hause an das spärliche Licht einer Ölfunzel zu setzen, die die Luft verpestete.
Erst 1880 bekam Thomas Alva Edison das Patent für eine Lampe, die warmes und mildes Licht spendet. Der Clou: Seine Firma lieferte nicht nur ein erschwingliches Leuchtmittel, sondern sorgte in New York auch gleich für den nötigen Strom nebst Generatoren, Kabeln, Sicherungen, Schaltern, Verbrauchszählern. Als hätte der Erfinder des Autos die asphaltierte Straße gleich mit entwickelt, gebaut und Maut kassiert.

Ob Edison geahnt hat, wie sehr seine Erfindung die Welt verändern würde? Vor der Glühbirne brauchte kaum jemand Strom, plötzlich lechzte jeder danach. Die Nachfrage verursachte die vielleicht größte Infrastrukturinvestition aller Zeiten: Kraftwerke, Stromtrassen, kilometerlange Kabelleitungen, mit der Glühbirne hatte die Elektrifizierung der Welt begonnen - die Voraussetzung für weitere Erfindungen vom Smartphone bis zum elektrischen Nasenhaartrimmer.
Die Geschichte des Lichts könnte mit dieser Krone der Schöpfung zu Ende sein, doch sie hat eine dunkle Seite.

Kapitel 3: Und die Welt sah, dass das Licht nicht nur gut war
"Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht", heißt es im Ersten Buch Mose. Doch so ist es nicht mehr. Die Nacht ist längst nicht mehr finster. Die Menge künstlichen Lichts steigt jedes Jahr um etwa zwei Prozent. Die möglichen Folgen deuten sich erst allmählich an.
Die ständige Beleuchtung töte Billionen Insekten, die nun lieber um Lampen schwirrten und darüber das Nahrungsuchen und Fortpflanzen vergäßen, warnen Forscher. Frisch geschlüpfte Meeresschildkröten würden von heranrasenden Autos plattgefahren, weil sie in die hell erleuchtete Stadt kriechen statt ins Meer. Menschen wälzten sich nachts schlaflos im Bett, aufgeputscht vom blauen Bildschirmlicht ihres Smartphones.
Obwohl längst nicht alle Zusammenhänge eindeutig belegt sind, hat eine regelrechte Hexenjagd auf das Licht begonnen. Von schädlichen Emissionen ist die Rede, von Lichtverschmutzung. Weltweit werden Lichtschutzgebiete eingerichtet, das Westhavelland in Brandenburg gilt als erster Sternenpark Deutschlands. Dort ist es nachts so dunkel wie in der Wüste Namibias.
Wegen des Volkbegehrens "Rettet die Bienen " muss in Bayern die Fassadenbeleuchtung an öffentlichen Gebäuden ab 23 Uhr abgeschaltet werden, Himmelsstrahler und beleuchtete Werbung an Ladenfronten sind verboten. Hersteller tüfteln an Straßenlaternen, die nur bestimmte Bereiche ausleuchten und nur wenig Licht gen Himmel schicken. Neue Lichtkonzepte sollen den natürlichen Gang der Sonne nachempfinden. (Mehr dazu sehen Sie hier.)
Vielleicht steckt hinter der Sehnsucht nach Dunkelheit auch der Versuch, der ständigen Erreichbarkeit zu entkommen, indem man mal abschaltet - und wenn es nur die Lampe ist. Licht per se zu verteufeln, wäre jedenfalls übereilt, Forscher arbeiten längst an Innovationen. Und da kommt wieder Physiker Marquardt ins Spiel.

Kapitel 4: Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag
"Das Geniale an Lichtteilchen ist", sagt Marquardt, "dass man sie nicht messen kann, ohne sie nachhaltig zu verändern." Genau das macht sich die Quantenkryptografie zu Nutze, durch die jede Abhöraktion sofort auffliegt.
Angenommen, eine Whistleblowerin schickt brisante Informationen als Lichtsignal über eine Glasfaserleitung: Es kann theoretisch kein Geheimdienst der Welt die Nachricht anzapfen, ohne sich zu verraten. Wird nur ein Lichtteilchen aus der Leitung geschleust und ausgelesen, verändert es sich grundlegend und es ist unmöglich, es in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen und wieder auf die Reise zu schicken. Der Empfänger der Nachricht würde sofort bemerken, dass jemand an dem Signal herumgepfuscht hat, dass es abgehört wurde - vorausgesetzt natürlich, er verfügt über die nötige Technik.
Mehrere Firmen bieten diese Art der Datenverschlüsselung bereits an. Die Reichweite liegt jedoch nur bei etwa 50 Kilometern und auch die Datenrate ist gering. Momentan kann allenfalls ein Schlüssel übertragen werden, mit dem sich geheime Botschaften auslesen lassen. Doch eines Tages, glaubt Marquardt, lassen sich Quantencomputer weltweit mit der Technik verbinden, absolut abhörsicher.
"Nichts kann Informationen so schnell, sauber und zuverlässig übertragen wie Licht", sagt Marquardt. Schon heute werden Lichtsignale in Glasfaserkabeln um die Welt geschickt. Das ganze Internet läuft darüber.
Womöglich kommt das Internet der Zukunft gar aus der Lampe. Das Prinzip der drahtlosen Datenübertragung, auch bekannt als Li-Fi: LEDs schalten sich Millionen Mal in der Sekunde an und aus. Für das menschliche Auge sieht es so aus, als würde die Lampe durchgehend leuchten. Doch ein Sensor kann die im Licht-Code enthaltenen Daten entschlüsseln und in elektrische Impulse umwandeln.

Auf diese Weisen lassen sich beispielsweise HD-Filme auf den heimischen Fernseher streamen - Schattentheater 2.0. Das französische Tech-Unternehmen Oledcomm präsentierte 2018 eine Schreibtischlampe, die bis zu 16 Geräte mit Internet versorgen kann. Kostenpunkt: Um die 760 Euro. Auch das Fraunhofer Institut entwickelt Li-Fi-Anwendungen.
Das optische WLAN hat mehrere Vorteile. Es ist extrem schnell, bis zu 40-mal schneller als die aktuelle durchschnittliche Download-Geschwindigkeit in Deutschland. Licht hat ein bis zu zehntausendmal größeres Spektrum als Radiowellen, die derzeit für die Datenübertragung genutzt werden. Und: Li-Fi ist absolut abhörsicher.
Weil die Datenübertragung eine direkte Verbindung zwischen der Lichtquelle und dem Sensor erfordert und Licht nicht durch Wände scheint, müsste ein Hacker im selben Raum sitzen. Gleichzeitig ist das auch der größte Nachteil. Schiebt sich etwas zwischen Sensor und Lichtquelle, beispielsweise eine Hand, bricht die Verbindung ab.
Trotzdem wird Li-Fi bereits als der neue Hype gehandelt. Eines Tages, so die Hoffnung, können Straßenlaternen Spaziergänger mit WLAN versorgen, Autos könnten über ihre Scheinwerfer kommunizieren, im Internet surfen wäre auch im Flugzeug oder Krankenhaus kein Problem. Ende Oktober testete Air France Li-Fi während eines Linienflugs.
Die möglichen Anwendungen von Licht ließen sich noch endlos weiterführen. Seine Geschichte lässt sich eben nicht in sieben Tagen erzählen.