Kosmonaut Komarow Geopfert auf dem Altar der Revolution

Kosmonaut Wladimir Komarow
Foto: imagoSein Raumschiff umkreiste zum vierten Mal die Erde, als Kosmonaut Wladimir Komarow den verabredeten Funkspruch absetzte:
"Achtung! Ich spreche von Bord des Raumschiffs 'Sojus-1'.
An die Völker der Sowjetunion.
Am Vorabend des ruhmreichen historischen Ereignisses - des 50. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution übermittle ich den Völkern unserer Heimat, die der Menschheit den Weg zum Kommunismus bahnt, einen flammenden Gruß!
Flieger-Kosmonaut Komarow"
Es war der Morgen des 23. April 1967, als Komarows Worte die Bodenstation erreichten. Dann begann die fieberhafte Suche nach einer Möglichkeit, die kaum noch steuerbare Raumkapsel irgendwie sicher auf die Erde zurückzuholen.
Der eilig angesetzte Flug Komarows mit dem nagelneuen Raumschiff "Sojus 1" war von Anfang an umstritten. Jurij Gagarin, der erste Mensch im Weltall und zugleich Komarows Ersatzmann, hatte interveniert, um den Start zu verschieben oder zumindest ihn anstelle von Komarow auf die Reise zu schicken.
Aber Gagarin scheiterte an der Hartnäckigkeit der Ideologen.
Schließlich begleitete er Komarow persönlich an die Spitze der Rakete und verabschiedete ihn mit den Worten: "Auf ein baldiges Wiedersehen!"
Später sollte Gagarin sagen, er sei der Letzte gewesen, der Komarow lebend gesehen habe.
Der Flug des neuen Raumschiffs "Sojus" sollte das größte Geschenk zum 50. Jahrestag der bolschewistischen Oktoberrevolution werden. Die Sowjetunion feierte damals wichtige Jahrestage des Sowjetstaates mit spektakulären Initiativen beim kommunistischen Aufbau oder eben mit Weltraumflügen.
Eigentlich hatte schon Chefkonstrukteur Sergej Koroljow (1907-1966) mit dieser Unsitte Schluss gemacht. "Wir starten die Raumschiffe dann, wenn sie einsatzbereit sind, und nicht, wenn irgendein Jubiläum ansteht", entschied er rigoros und setzte sich damit mehrfach auch bei der Partei- und Staatsführung durch.

Wladimir Komarow: Das erste Opfer der bemannten Raumfahrt
Doch Koroljow war völlig unerwartet im Januar 1966 gestorben, und sein Nachfolger, Wassili Mischin (1917-2001), hatte nicht annähernd den Willen und die Autorität, um diese Linie beizubehalten.
Offenbar war sich aber auch Mischin angesichts der warnenden Worte seiner Sache nicht ganz sicher. Doch er glaubte, mit Komarow genau den richtigen Piloten an Bord zu haben, der notfalls mit seinen großen theoretischen und praktischen Erfahrungen etwaig auftretende technische Probleme lösen könnte.
Immerhin war der gebürtige Moskauer mit seinen 40 Jahren der älteste sowjetische Kosmonaut. Zudem hatte er als einziger ein abgeschlossenes Studium an der Shukowski-Ingenieurs-Akademie und auch schon 1964 einen Raumflug mit der "Woschod"-Kapsel erfolgreich absolviert.
Rendezvous im Orbit geplant
Dabei kommandierte er als erster Raumfahrer der Welt eine dreiköpfige Besatzung, die zudem noch ohne Raumanzug unterwegs war. Nun sollte Komarow auch der erste Mensch werden, der zweimal ins All gestartet ist.
Das neue Raumschiff wurde trotz der Warnungen von Experten, dass es noch nicht ausgereift sei, für den Start am 23. April 1967 zu einem Testflug mit einem zudem höchst anspruchsvollen Programm freigegeben.
Am folgenden Tag, dem 24. April 1967, sollte eine zweite "Sojus"-Kapsel mit drei Kosmonauten zu einem Kopplungsmanöver ins All geschickt werden. Dabei sollten zwei von ihnen durch den freien Raum in Komarows Schiff umsteigen und mit ihm zusammen landen.
Boris Tschertok (1912-2011), einer der engsten Mitarbeiter Koroljows, bezeichnete die Stimmung in der Staatlichen Kommission, die die Starterlaubnis für gleich zwei Trägerraketen erteilte, als "aggressiv". Alle seien sich darin einig gewesen, dass die "Sojus"-Premiere das wichtigste Unterfangen seit dem Flug Gagarins vom 12. April 1961 war.
Chronik des Katastrophenfluges
Beim Start verlief noch alles nach Plan. Pünktlich um 3.35 Uhr hob "Sojus 1" ab. 540 Sekunden später trennte sich das Raumschiff planmäßig von der dritten Stufe der Trägerrakete und schwenkte in seine Umlaufbahn ein. Im Flugleitzentrum, das sich damals noch in Jewpatorija auf der Krim befand, brandete Beifall auf.

Sowjetische Raumfahrttechnik: Von Koroljows Gnaden
Doch schon die ersten telemetrischen Daten und der erste Funkkontakt mit dem Kosmonauten waren schockierend. Eines der beiden Sonnensegel des Raumschiffes hatte sich nicht entfaltet, sodass nicht genügend Energie für die Versorgung der Bordsysteme generiert werden konnte. Zudem funktionierte die automatische Orientierung der Kapsel auf die Sonne und die Sterne nicht.
Zu Beginn der zweiten Erdumkreisung konnten die Ballistiker immerhin die Position von "Sojus 1" genau ermitteln: Die Flughöhe der elliptischen Umlaufbahn schwankte zwischen 209 und 224 Kilometern. Der Bahnneigungswinkel betrug 61 Grad 67 Minuten, die Umlaufzeit lag bei 88,62 Minuten. Diese Daten waren wichtig für das geplante Annäherungsmanöver an "Sojus 2".
Doch schon bald war klar, dass dafür die nötige Energie fehlte. Auch die wiederholten Bemühungen Komarows, das Raumschiff per Hand auszurichten, misslangen. Deshalb wurde der Start von "Sojus 2" mit Waleri Bykowski, Jewgeni Chrunow und Alexej Jelissejew abgesagt, was diese Männer wahrscheinlich vor dem Schicksal Komarows bewahrte.
Es ging jetzt nur noch darum, Komarow heil zurück zur Erde zu bringen. Wegen der Sensorprobleme konnte das Raumschiff nicht automatisch in die für die Landung erforderliche Position manövriert werden. Das übernahm dann der Kosmonaut per Handsteuerung und mithilfe eines optischen Visiers.
Während der 19. Erdumkreisung löste Komarow auch den Bremsimpuls manuell aus, der die Kapsel auf eine Abstiegsbahn brachte. Wegen des nicht vollständig ausgeklappten Sonnensegels war das Raumschiff für dieses Manöver nicht perfekt ausbalanciert. Seine Lage war instabil. Komarow musste deshalb zeitweilig seinen zentralen Pilotensessel mit einem der beiden anderen Sitze tauschen, um für die korrekte Ausrichtung zu sorgen.
Der Kosmonaut meldete danach noch mit ruhiger Stimme, wie es hieß, dass die Geräte- und die Orbitalsektion abgesprengt würden. Die Kapsel begann den Rückflug zur Erde. Dann ging seine Stimme in einem immer stärker werdenden Rauschen unter.
Komarow hat im Sinne Mischins wirklich alles Menschenmögliche getan, um das Raumschiff und damit auch sich zu retten. Mehr noch: Als erfahrener Testpilot hat er auch die wichtigsten neuen Bordsysteme überprüft und bewertet, bevor er den Bremsvorgang auslöste.
Das Fallschirmsystem versagt
Das Fallschirmsystem gehörte allerdings nicht dazu, weil es für ihn nicht zugänglich war. Zudem hatte niemand auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, dass es nicht funktionieren könnte.
Doch dann geschah das Ungeheuerliche: Während auf der Erde schon mit großer Erleichterung die vermeintliche Rettung des Kosmonauten gefeiert wurde, versagte das System. Schuld daran war Schlamperei.

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Im Herstellerwerk hatte man den Fallschirmcontainer nicht richtig abgedeckt, als die Kapsel mit einer Epoxidharz-Schutzschicht versehen wurde. Dadurch gelangte ein Teil der klebrigen Masse an die Innenwand des Containers. Der angeklebte Fallschirm konnte von dem Hilfsschirm nicht herausgezogen werden.
Die Raumkapsel stürzte ungebremst zur Erde, schlug nach 26 Stunden und 47 Minuten Flug mit einer Geschwindigkeit von 180 km/h in der Nähe von Orsk (Gebiet Orenburg) am Boden auf und explodierte. Der Pilot verbrannte bis zur Unkenntlichkeit.
Die Sowjetpropaganda verschwieg jahrelang den wahren Verlauf des Katastrophenfluges. Der Absturz sei durch die "Verdrehung der Fangleinen" verursacht worden, hieß es lediglich. Kein Wort zum geplanten Kopplungsmanöver mit einer zweiten "Sojus"-Kapsel. Komarow habe "voll und ganz das vorgesehene Testprogramm" erfüllt und die geplanten wissenschaftlichen Experimente vorgenommen, schrieb TASS.
Glaubt man dem Protokoll des Funkverkehrs, dann war Komarow während des gesamten Horrorfluges ruhig und gefasst. Ab und zu soll er sogar beruhigend auf die aufgeregten Leute der Bodenkontrolle eingeredet haben.
Der zweite Heldenstern
Der Kosmonaut wurde posthum zum zweiten Mal (nach der Woschod-Mission) mit dem Goldenen Stern eines Helden der Sowjetunion ausgezeichnet und in Moskau an der Kreml-Mauer beigesetzt. Auf der Trauerfeier versprach Gagarin seinem toten Freund, "Sojus" das Fliegen beizubringen, was denn auch geschah.
1971 gab es allerdings noch einen zweiten tödlichen Unfall. Drei Kosmonauten starben, weil sich ein Luftventil von "Sojus 11" bei der Landung zu früh geöffnet hatte. Seitdem funktionieren die Raumschiffe fehlerfrei und sind heute sogar der einzige Zubringer für Astronauten und Kosmonauten zur ISS.