WM-Spielgerät "Jabulani" "Der Ball ist schrecklich, furchtbar"
Der Ball ist rund, damit er gut rollt. Das weiß jedes Kind. Fußballer treten aber gern auch mal so gegen das Leder, dass es fliegt. Und dann fangen die Probleme an. Die Rundungen des Leders mögen geometrisch perfekt sein - aerodynamisch gesehen ist die Kugelform jedoch eine Katastrophe.
"Der Luftfluss um einen Ball herum ist sehr kompliziert", sagt Andy Harland von der Loughborough University in England. Harland hat im Auftrag von Adidas verschiedene Vorserienmodelle des WM-Balls "Jabulani" im Windkanal getestet, um das Design mit dem bestmöglichen Flugeigenschaften zu finden.
Schon seit Jahren klagen Profi-Torhüter wie Jens Lehmann über flatternde Fußbälle. Die neuen Plastikbälle würden plötzlich von der erwarteten Flugbahn abweichen und seien deshalb schwerer zu halten. Der tschechische Keeper Petr Cech nannte "Europass", das Spielgerät der Europameisterschaft 2008, "unberechenbar".

Wirbel und Nähte: Die Physik des Fußballs
"Es ist offensichtlich, dass Fußbälle flattern", sagt der Sportwissenschaftler Harland. "Das haben wir auch im Labor beobachtet." Prinzipiell flattere jeder Ball, wenn er sich im Flug nicht oder nur wenig drehe. Doch nur wenige Fußballer wie Cristiano Ronaldo oder Frank Lampard beherrschten die dafür nötige Schusstechnik. Wird ein Ball hingegen angeschnitten ( Bananenflanke), tritt das Phänomen nicht auf. Die Rotation stabilisiert ihn.
Die Extremvariante eines flatternden Flugobjekts ist ein Gummiball ganz ohne Nähte. Scharf geschossen, fliegt ein solcher Ball unvorhersehbar. Er torkelt plötzlich nach rechts oder stürzt ab. Auch Volleybälle flattern, wenn sie bei der Aufgabe so geschlagen werden, dass sie kaum rotieren.
Klassische Fußbälle neigen hingegen weniger zum Flattern, erklärt Harland, denn die Nähte machen ihn aerodynamisch stabiler. "Fevernova" aus dem Jahr 2002 war der letzte WM-Ball, der aus zwölf Fünfecken und 20 Sechsecken bestand - der traditionelle Aufbau eines Fußballs.
Nähte entscheiden über Aerodynamik
"Jabulani" ist ganz anders konstruiert: Der Ball für die WM in Südafrika besteht aus nur noch acht Plastikpanels. Das erleichtert die Herstellung, sorgt in der Aerodynamik aber für Probleme: Der Ball kann, je nachdem wie man ihn dreht, auf linker und rechter Seite verschiedene "Gesichter" haben.
"Auf der einen Seite sind weniger Nähte als auf der anderen - so kann eine seitliche Kraft entstehen", erklärt Harland im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Wenn der Ball langsam rotiere, könne sich die Richtung der seitlichen Kraft während des Flugs ändern - der Ball flattere dann.
Adidas hat das Problem mit sogenannten Aero Grooves gelöst. Das sind längliche Noppen, die die gesamte Balloberfläche bedecken (siehe Fotostrecke). "Der Ball sollte möglichst gleichmäßig von Nähten und Aero Grooves überzogen sein", sagt Hans-Peter Nürnberger, Entwickler bei Adidas. Diese künstlichen Nähte machten "Jabulani" auch griffiger, wenn er feucht ist.
Der WM-Ball sei "ein guter Kompromiss aus trendigem Design und guten Flugeigenschaften", sagt Harland. "Jabulani" habe bessere Eigenschaften als frühere Bälle. "Wir als Forscher hätten den Ball aber sicher anders konstruiert, mathematischer." Damit meint er regelmäßig geformte Panels mit vielen Nähten dazwischen. "Mehr Nähte machen den Ball stabiler, zu viele bringen dann aber keine Verbesserung mehr", sagt Harland. Dies hätten Tests im Labor mit Bällen gezeigt, die aus 300 Panels bestanden.
Was flattert da?
Metin Tolan, leidenschaftlicher Fußballfan und Professor für Experimentalphysik an der Universität Dortmund, bezweifelt hingegen, das es flatternde Fußbälle tatsächlich gibt. "Immer, wenn das im Fernsehen behauptet wird, gucke ich ganz genau in der Superzeitlupe hin und sehe einfach keinen zweimaligen Richtungswechsel - das wäre ja Flattern."
Sollten Bälle tatsächlich flattern, dann müsste dies nach Tolans Meinung am Magnuseffekt liegen. Er sorgt dafür, dass rotierende Bälle um die Kurve fliegen. Hinter dem Ball entsteht dabei eine asymmetrische Wirbelschleppe. Weil jede Kraft auch eine Gegenkraft besitzt, wird der Ball seitlich abgelenkt.
Die Richtung dieser ablenkenden Kraft kann sich unter bestimmten Bedingungen jedoch umkehren, man spricht dann vom umgekehrten Magnuseffekt. Die Bälle müssen dazu extrem glatt sein und eine bestimmte kritische Geschwindigkeit überschreiten, oberhalb der sich die Luftwirbel an der Balloberfläche ändern. Ein schneller Ball würde demnach zunächst von der umgekehrten Magnuskraft abgelenkt, und dann von der entgegengesetzten normalen Magnuskraft, weil er durch die Reibung langsamer geworden ist und die kritische Geschwindigkeit unterschritten hat.
Als Erklärung für Flatterbälle, wie sie beispielsweise auf YouTube (siehe Video oben) zu sehen sind, eignet sich der umgekehrte Magnuseffekt aber kaum. Denn die Bälle rotieren ja dank der speziellen, dort ausführlich erläuterten Schusstechnik kaum. Warum aber fliegen die Bälle dann so seltsam? Liegt es an wechselnden Winden? Oder haben die Bälle eine Unwucht? Oder kann es allein mit den asymmetrisch verteilten Nähten erklärt werden?
"Schrecklich, furchtbar"
Womöglich steckt hinter dem Phänomen auch Psychologie. Die neuen Plastikbälle sind runder als alle Vorgängermodelle und somit in den meisten Situationen berechenbarer. Bei wenig Rotation verhalten sich die modernen Modelle jedoch plötzlich weniger vorhersehbar - und dieser Unterschied könnte die Torleute irritieren.
Wie auch immer man das Phänomen Flatterball erklärt, die Diskussion über "Jabulani" ist bereits in vollem Gange. "Ich glaube, dass es eine Schande ist, ein so wichtiges Turnier mit solch einem Ball zu spielen", sagte jüngst der Italiener Gianluigi Buffon, vierfacher Welttorhüter des Jahres. "Er ist schrecklich, furchtbar", schimpfte Brasiliens Torwart Júlio César auf einer Pressekonferenz. Jeder wolle im Fußball Tore sehen, sagte der Keeper weiter. "Deshalb hat man den Ball verändert." Dies geschehe meist zugunsten der Angreifer und gehe zu Lasten der Torhüter.
Dass kein Ball wie der andere ist, wissen Fußballer schon länger. In der Bundesliga mussten sich Profis schon immer auf verschiedene Modelle einstellen - bei Spielen kam bisher immer der Ball zum Einsatz, den der Gastgeber und damit dessen Ausrüster stellt. Folge: Der Zeugwart hatte mehrere hundert Bälle im Lager. Nur so konnte das Team jeweils mit dem passenden Ball trainieren. Damit ist ab der kommenden Saison 2010/11 aber Schluss: Dann wird in der Bundesliga mit einem Einheitsball gespielt.