Zweifelhaftes Gutachten TÜV bescheinigt 10-Euro-Wetterstation Wunderprognosen

Funk-Wetterstation "Auriol": Digitales Orakel
Foto: SPIEGEL ONLINEHamburg - Was haben Meteorologen nicht alles versucht, um das Wetter vorherzusagen. Im 19. Jahrhundert begannen sie, die Landschaft mit Messgeräten zu bestücken, um einen umfassenden Eindruck von der Witterung zu erhalten. Weil sich die Vorhersage für mehr als einen Tag im Voraus dennoch kaum verbesserte, schossen sie ab den sechziger Jahren Satelliten ins All, mit denen sie auch das Wetter in großer Entfernung in ihre Prognosen einbeziehen konnten. Doch das Wetter von gestern im Westen muss nicht das Wetter von morgen im Osten sein - Luftströmungen können sich ändern. Um diese Unsicherheit zu verringern, nahmen die Meteorologen Großcomputer in Betrieb. Anhand von Abermillionen Wetterdaten berechnen die Maschinen, welche Richtung die Luftströmungen einschlagen könnten - das Ergebnis, das am häufigsten ermittelt wurde, kommt als Wettervorhersage in die Medien.
Die Genauigkeit hat sich deutlich verbessert: Neun von zehn Prognosen für den nächsten Tag treffen im Wesentlichen zu. Selbst die Vorhersage für den dritten Tag im Voraus ist heutzutage so gut wie vor 40 Jahren jene für den nächsten Tag - etwa drei von vier Prognosen für diesen Zeitraum sind im Wesentlichen korrekt.
Glaubt man einem Gutachten des TÜV Süd, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, wäre der Aufwand indes gar nicht nötig. Mit der kleinen "Auriol Funkwetterstation 5-SER LCD" lasse sich das Wetter für die nächsten vier Tage auch am Wohnzimmertisch "genähert vorhersagen": Die Prognosen mit dem telefongroßen Gerät für nur 9,99 Euro der Firma Schwarz-E-Commerce - einem Ableger von Lidl - seien zuverlässig, heißt es im Gutachten, sie "treffen lokal in zirka 70 bis 90 Prozent der Fälle die richtige Vorhersage".
Wetterküche im Haus
Die Fachwelt staunt. "Meteorologisch sind die Geräte unbrauchbar", sagt Frank Böttcher, Leiter des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation IWK. Die gemachten Versprechungen seien skandalös. "Mit einer einzelnen Station", sagt der Wetterexperte, "ist eine ernsthafte Viertagesprognose schlichtweg unmöglich".
Zwar gibt es tatsächlich kleine Wetterstationen für den Hausgebrauch, die brauchbare Prognosen ausspucken - doch die erhalten ihre Daten per Funk von den Wetterdiensten; sie sind deshalb auch etwas teurer.
Die "Auriol"-Station hingegen benötigt angeblich nur vier Messungen für ihre Prognose; und nur zwei davon geben Auskunft über das Wetter: Ein Thermometer, das der Benutzer von der Funkstation weg nach draußen legten muss, misst die Außentemperatur. Und ein Barometer misst den Luftdruck, der draußen und drinnen identisch ist.
Zwei weitere Messungen liefern Daten, aber erstaunlicherweise nicht vom Wetter, sondern aus dem Innenraum: Das Gerät erfasst Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Haus. "Je nach Zimmerklima erhält man demnach ein anderes Wetter", sagt IWK-Chef Böttcher. Eine feuchter Keller oder eine dampfende Suppe verändern die Daten. Dabei liege die Wetterküche nicht im Haus, sondern oft Tausende Kilometer entfernt, betont Böttcher: "Ohne Informationen aus der Ferne ist eine Prognose wertlos."
"Vertragliche Vereinbarungen"
Der Deutsche Wetterdienst DWD reagiert überrascht auf die Kunde von dem vermeintlichen Sensationsgerät: Die Auriol-Station sei dem DWD nicht bekannt, es wäre aber "schwer zu glauben, dass eine Elektronik alleine aus dem Luftdruck und der Außentemperatur dauerhaft vernünftige Wettervorhersagen machen kann", erklärt der DWD. Es widerspreche der Physik. Auch Messungen in Innenräumen könnten für die Wettervorhersage "niemals sinnvoll sein".
Jetzt rätseln Experten, wie das Billiggerät wohl getestet wurde. Frage an den TÜV Süd: Wie lässt sich mit Hilfe dieser Messungen eine zuverlässige Viertagesvorhersage erstellen? Der TÜV Süd antwortete darauf leider nicht - aufgrund "vertraglicher Vereinbarungen", wie es in einer Stellungnahme gegenüber SPIEGEL ONLINE hieß: "Wir haben im Auftrag einer Firma eine Performance-Prüfung durchgeführt", erläutert der TÜV Süd. Nähere Auskünfte erteile der Auftraggeber.
Die Vertriebsfirma der Wetterstation, Lidl, zweifelt nicht an der Richtigkeit des TÜV-Gutachtens: "Mit Hilfe des Luftdrucks, der Luftfeuchte und der Temperatur erstellt die digitale Wetterstation eine Wetterprognose, die das kommende Wetter für vier Tage genähert bestimmt", teilt Lidl auf Anfrage voller Optimismus mit. Amtliche Wetterprognosen basierten zwar "auf einer präziseren und breiteren Datenbasis", räumt das Unternehmen ein. Sie wären aber eben dennoch kaum erfolgreicher als die Tischstation - glaubt man der Lidl-Werbung.
Es sei rätselhaft, sagt Wetterexperte Frank Böttcher, wie der TÜV Süd solch ein Gerät beglaubigen konnte. Die Wetterstation müsse wohl "als Orakel verstanden werden".