MEDIZIN Tod durch Krakelei
Mit dem Schreibstift richten manche Ärzte mehr Unheil an als mit dem Skalpell. Der texanische Kardiologe Ramachandra Kolluru beispielsweise hat erst kürzlich einen 42 Jahre alten Patienten ins Jenseits gekrakelt.
Die Hieroglyphe, die der Mediziner auf den Rezeptblock warf, sollte »Isordil« heißen; das ist eine Arznei gegen Herzschmerzen. Der Apotheker indes las »Plendil« und gab dem Herzkranken das Mittel gegen hohen Blutdruck mit auf den Weg. Der führte nicht mehr weit. Einen Tag nach der Einnahme streckte ein Infarkt den Mann nieder; wenig später war er tot.
Die Klaue des Dr. Kolluru hat auch in anderer Hinsicht Medizingeschichte geschrieben: Als erster Arzt wurde der Doc aus Texas wegen unleserlicher Schrift von einem Gericht verurteilt. Vor wenigen Monaten musste er 225 000 Dollar an die Hinterbliebenen zahlen.
Dass Kritzeleien zumindest in den Vereinigten Staaten beklemmend häufig zu kapitalen Kunstfehlern führen, zeigt ein Bericht des amerikanischen Institute of Medicine. Demnach sterben jedes Jahr 7000 US-Bürger, weil sie falsche Medikamente erhalten. Handgeschriebene Rezepte, die keiner entziffern kann, gelten als eine der wichtigsten Fehlerquellen.
»Viele in unserem Stand sind berüchtigt für ihre ärmliche Handschrift. Doch nun ist es an der Zeit, dass wir uns alle darauf konzentrieren, Rezepte leserlich auszustellen«, mahnt Jack Lockhart, Präsident der Ärzteschaft im US-Bundesstaat Wisconsin, in einem Brandbrief, den er vorigen Dezember an 8000 Mediziner verschickt hat. Wer sich nicht in der Lage sehe, »leserlich zu schreiben«, der solle seine Rezepte und Patientenberichte dringend auf einem Computer schreiben.
Die Rüge trifft die Richtigen: Im Unterschied zu Krankenschwestern können viele Ärzte die 26 Buchstaben des Alphabets nicht einmal dann lesbar zu Papier bringen, wenn man sie ausdrücklich auffordert, sauber zu schreiben. Zu diesem Ergebnis kam vor zwei Jahren eine Studie in drei walisischen Krankenhäusern: Ein Softwareprogramm konnte die Handschrift von 32 Pflegerinnen weitaus leichter erkennen als die Schriftproben von 38 Ärzten.
Einige Mediziner sind sogar stolz auf ihre Schwächen: »Ich kann weder schreiben noch buchstabieren«, verriet ein Arzt dem britischen Medizinblatt »The Lancet«. »Und doch stelle ich Rezepte aus.«
Sudeleien von Ärzten will Paul Hackmeyer, leitender Gynäkologe am Cedars-Sinai Krankenhaus in Los Angeles, in seinem Haus nicht länger dulden. »Der Strich eines Füllers kann Tod und Verderben bringen«, warnt der 47-Jährige. Die rätselhaftesten Rezepte seiner Kollegen hat er im April in der Mitarbeiterzeitschrift seines Spitals gedruckt. Der Erste, der das Geschmiere deuten könne, so versprach Hackmeyer, werde ein üppiges Sonntagsfrühstück im Hotel Four Seasons gewinnen. Wochenlang blieb der Wettbewerb ohne Sieger, ehe zwei Ärzte die an Keilschrift erinnernden Zeichen richtig interpretierten.
Den Hinweisen von Krankenschwestern folgend, hat Hackmeyer überdies die 60 schlimmsten Schmierer im Spital ausfindig gemacht und ihnen ein Seminar verschrieben, das in der Heilkunst bisher ohne Beispiel ist: Zwei Lehrerinnen, Expertinnen in Sachen Kalligrafie, zeigten den Doktores Anfang Mai, wie sie den Stift halten müssen. »The quick brown fox jumps over the lazy dog« ("Der schnelle braune Fuchs springt über den faulen Hund") lautete einer der Sätze, den die studierten Abc-Schützen niederzuschreiben hatten. Sollten die Übungsstunden nicht fruchten, droht Hackmeyer, dann müssen die Ärzte im September nachsitzen.
In Deutschland werden Rezepte zwar zunehmend per Computer ausgedruckt. Doch Striche, Punkte und Kringel auf Röntgenformularen und Krankenakten lassen mitunter auch hiesige Krankenpfleger, Ärzte und Patienten verzweifeln und beschäftigen neuerdings sogar die Juristen. Das Amtsgericht Hagen verurteilte vor zwei Jahren einen Mediziner dazu, einem Patienten eine lesbare Abschrift der Behandlungsunterlagen auszuhändigen. Das Original war nicht zu dechiffrieren.
Kryptische Krankenakten bekommt auch Peter Gausmann von der Gesellschaft für Risiko-Beratung mit Sitz in Detmold immer wieder zu Gesicht. Er untersucht die Arbeitsabläufe in Krankenhäusern und deckt organisatorische Mängel auf, die Kunstfehler begünstigen. Dazu zählt Gausmann Anweisungen, die keiner lesen kann: »Die kalligrafischen Defizite mancher Ärzte sind eklatant.«
Gausmann wertet vor allem als Gefahr, dass Operationspläne in der Hektik des Tages durch immer neue handschriftliche Streichungen und Zusätze zu wirren Schmierblättern verkommen. Der Blick auf einen OP-Plan, der kürzlich in einem hiesigen Krankenhaus aushing, gibt dem Risikomanager Recht.
Im Saal 3 sollte offenbar einem Mann der Unterschenkel amputiert werden. Jedenfalls hatte ein Arzt auf den OP-Plan gekritzelt: »Us-Amp.« sowie das Männlichkeitssymbol. Weder Name noch Geburtsdatum des Patienten fanden Platz auf dem vollgekrakelten Stück Papier. Ebenso fehlte der Hinweis, ob denn nun der linke oder rechte Fuß abzuschneiden sei. JÖRG BLECH