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PSYCHOLOGIE Trügerisches Lächeln

Die Psychologen haben angefangen, Gefühle zu vermessen. Ärger, Trauer, Freude - alles im Computer. *
aus DER SPIEGEL 28/1984

Was gibt 6 plus 12? Nach Dr. Paul Ekman, Psychologe an der University of California in San Francisco, ist das Ergebnis »ein freudiges Lächeln«.

Ekman erforscht die Aufgaben der verschiedenen Gesichtsmuskeln beim Ausdruck eines Gefühls. Lächelt jemand nicht gequält, aber auch nicht ironisch oder scheinheilig, sondern eben freudig, treten die Muskeln Nummer 6 und 12 in Aktion, fand Ekman heraus.

Die Formeln, auf welche Gefühlsregungen sich bringen lassen, wenn man die Gesichtsmuskulatur vermißt, zählen zu den jüngsten Ergebnissen der Emotions-Forschung. »Zum erstenmal«, so Richard Davidson, Professor für Psychologie an der State University of New York, »gibt es Möglichkeiten, Gefühle objektiv zu messen.« Mit Video-Aufzeichnungen und Computer-Analysen körperlicher Funktionen ist es möglich geworden, komplizierte Gefühle zu identifizieren, die sich hinter einem mehrdeutigen Gesichtsausdruck verbergen.

»Das Studium des Ausdrucks ist schwierig, da die Bewegungen häufig äußerst unbedeutend und von einer schnell vorübergehenden Natur sind«, klagte Charles Darwin schon in der Vorrede zu seinem 1872 veröffentlichten Buch über den »Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren«. Eine wesentliche Quelle von

Irrtümern sei die Einbildung: »... denn wenn wir nach der Natur der Umstände irgend einen Ausdruck zu sehen erwarten, so bilden wir uns leicht seine Anwesenheit ein.«

Um zu erkunden, »inwieweit besondere Bewegungen der Gesichtszüge ... wirklich gewisse Seelenzustände ausdrücken«, wertete Darwin vor allem Studien an Kindern und Geisteskranken aus: Sie böten, meint er, seelische Erregung kräftig und unkontrolliert dar. Auch nutzte Darwin die Photographien des berühmten Pariser Neurologen Guillaume Duchenne, der Gesichtsmuskeln elektrisch stimulierte und die Kontraktionen analysierte.

Für die galvanischen Experimente mußte ein alter Mann herhalten, der, laut Darwin, eine »wenig empfindliche« Gesichtshaut hatte. Schonender und dabei präziser können nun, mit Hilfe von Computer- und Videotechnik, die Wissenschaftler bei ihrer Emotions-Forschung vorgehen.

Ein Jahr brauchte Ekman, um jeden einzelnen der etwa 80 bekannten Gesichtsmuskeln (zu Darwins Zeiten waren nur 55 bekannt) zu kontrollieren. Auf zwei Wegen gelangten Ekman und sein Kollege Wallace Friesen dann zu den Formeln, auf die sich die menschlichen Gefühlsäußerungen reduzieren lassen: Ob Ärger oder Trauer, ob Freude, Zustimmung oder Mißstimmung - jedes Gefühl hat seinen speziellen Code, der sich aus dem Zusammenspiel bestimmter Gesichtsmuskeln ergibt.

Gleichzeitig konnten die Psychologen ihre Zahlen-Formeln mit Momentaufnahmen der Gehirntätigkeit überprüfen, die vom Computer ausgewertet wurden. Auch Messungen anderer körperlicher Werte, etwa des Herzschlags oder der Schweißabsonderung, bestätigten: Jedes Gefühl hat sein physiologisches Muster.

Mit diesen Methoden gelang es auch, verborgene Gefühle bloßzulegen. Ein trügerisches Lächeln zeigten beispielsweise vier Versuchspersonen, die sich, in unterschiedlichen Situationen, für Videoaufnahmen zur Verfügung gestellt hatten. Der Zahlenschlüssel der beteiligten Muskeln deckte auf, was jeweils dahintersteckte.

Mit dem Lächeln »1, 2, 13, 25, 55« maskierte eine Frau ihren Ärger, ihr war gerade ihre Entlassung mitgeteilt worden (Bild 1); nur zwei Sekunden lang war das Lächeln echt, mit dem ein Krankenhausangestellter einen Patienten bei der Aufnahme begrüßte, zehn Sekunden dauerte hingegen das erkünstelte, übertriebene Lächeln mit der Formel »12, 20, 25, 53, 56« (Bild 2); aus der Anspannung der Muskeln »12, 24, 41« entstand ein versöhnliches Lächeln, das eine Kritik weniger harsch machen sollte (Bild 3); das zögerliche, angepaßte Lächeln mit dem Code »1, 2, 12« verbarg Resignation (Bild 4).

Die Diskrepanz zwischen dem, was Leute vorgeben zu fühlen, und dem, was ihr Körper verrät, so vermutet Psychologe Davidson, könnte in bestimmten Fällen in einer Art innerer »Kommunikationslücke« begründet sein.

Davidson untersuchte eine Gruppe von sogenannten »Gefühlsunterdrückern« - Leute, die behaupteten, sie fühlten sich auch in Streß-Situationen ruhig, obwohl physiologische Messungen bei ihnen eine hochgradige Ängstlichkeit enthüllten. Hirnmessungen zeigten, daß ihr Zentrum für negative Gefühle in der rechten vorderen Großhirnrinde keine ausreichende Verbindung zu ihrem Sprachzentrum in der linken Hirnrinde hatte.

Männer und Frauen, so beobachtete Emotionsforscher Robert Levenson von der Indiana University anhand der Video-Aufnahmen von 50 Ehepaaren, gehen mit negativen Gefühlen, besonders mit Ärger, unterschiedlich um. Frauen, die sich geärgert hatten, erwarteten die gleiche Reaktion bei ihren Männern. Den Männern hingegen genügte es, ihren Ärger kundzutun.

Männer scheuen offenbar vor fortgesetzten negativen Gefühlen in einer Partnerschaft zurück - weil sie biologisch dafür bestraft werden, vermutet Levenson: Der männliche Körper reagiert anscheinend stärker auf Streßerscheinungen.

»Bei Schwierigkeiten«, so der Psychologe, »möchten Frauen ihren Mann gern dahin bringen, daß er die Probleme an der Wurzel packt.« Aber die Männer reagieren lieber versöhnlich oder ziehen sich, wenn das nicht hilft, zurück.

Nach dem Rezept für Konfliktbewältigung in einer glücklichen Ehe befragt, meinte Levenson: »Die Ehepartner gestehen sich gegenseitig Raum für ärgerliche Empfindungen und Differenzen zu und versuchen, den Gesichtspunkt des anderen zu verstehen. Aber sie steigern ihre Streitigkeiten nicht bis zu einem Punkt, wo sie zerstörerisch für die Beziehung werden.«

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