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Umweltverschmutzung in der Antike Dicke Luft bei den Alten Römern

In der Eifel legten Archäologen ein gigantisches Industrierevier der Antike frei. Warum aber wurde es fern der Städte errichtet? Umweltmeteorologen fanden nun eine mögliche Antwort.
aus DER SPIEGEL 14/2023
Experiment mit einem Ofen, wie er im Rom der Antike zum Brennen von Keramik benutzt wurde.

Experiment mit einem Ofen, wie er im Rom der Antike zum Brennen von Keramik benutzt wurde.

Foto: Michael Herdick / LEIZA

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Der Wald zwischen Speicher und Herforst im Eifelkreis Bitburg-Prüm war schon vor mehr als hundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel für Hobbyarchäologen; Freizeitausgräber konnten dort reiche Beute machen. Sie fanden Keramiksplitter und Geschirrreste aus der Römerzeit im Erdreich. Dass auf dem Gelände des beschaulichen Waldes einst in der Antike eine gigantische Industrieanlage betrieben wurde, haben Archäologen jedoch erst in jüngster Zeit entdeckt.

Auf einem Gelände von rund vier Quadratkilometern betrieben Handwerker des Römischen Reichs rund 240 Töpfereien. »Offenbar haben wir hier ein antikes Industrierevier vor uns«, vermuten die Archäologin Angelika Hunold und ihr Kollege Holger Schaaff vom Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie in Mainz.

Das ab etwa 100 n. Chr. in dieser Fabrik produzierte Geschirr entwickelte sich offenbar zum Exportschlager. Die Keramik aus Herforst wurde in das Gebiet des heutigen Luxemburgs, Teile Belgiens, des Saarlands und sogar bis in die Schweiz verkauft. Rätselhaft erscheint jedoch die Lage: Die spätere Kaiserresidenz Trier etwa lag rund 30 Kilometer entfernt von der Keramikhochburg.

Heutige Grenzwerte deutlich überschritten

In anderen Städten wie Mainz, Bonn oder Köln seien römische Töpfereien indes »unmittelbar in städtische Strukturen eingebunden« gewesen, sagen Hunold und Schaff. Den Grund für das Schaffen im Exil haben nun womöglich Umweltmeteorologen der Universität Trier aufgedeckt. Die gigantischen Öfen – rund 50 waren es wohl zu Hochzeiten – bliesen damals mutmaßlich derart viele Stickoxide und Kohlenmonoxid in die Luft, dass heutige Grenzwerte deutlich überschritten würden.

Von derartigen Umweltbelastungen wussten die Menschen der Antike zwar noch nichts. Die dicke Luft und der damit einhergehende Gestank dürfte ihnen aber dennoch unangenehm aufgefallen sein.

Im Labor für experimentelle Archäologie des Leibniz-Zentrums in Mainz tüftelten Forscher aus, wie viel Holz die Keramiker der Antike verfeuern mussten, damit ihre Öfen die nötige Betriebstemperatur von 900 Grad erreichten. Ergebnis: In Spitzenzeiten schaufelten sie bis zu 120 Kilo Weich- und Hartholz pro Stunde in die Flammen eines einzigen Ofens. Und davon brannten bis zu 50 gleichzeitig.

60 Bäume pro Jahr verfeuert – für eine Therme

Wie verschwenderisch die Römer mit der Ressource Holz umgingen, zeigen auch andere Untersuchungen. Die US-Archäologin Ismini Miliaresis hat etwa berechnete, dass rund 60 große Bäume im Jahr verfeuert wurden, um die Stabianer Thermen in Pompeji zu beheizen. Damals fragte niemand nach den Folgen solcher Materialschlachten. In der Gegenwart muss jedoch schon vor der Inbetriebnahme einer Industrieanlage detailliert ermittelt werden, welche möglichen Umweltgefahren zu erwarten sind. Wissenschaftler füttern dazu Computerprogramme mit etlichen Daten und simulieren die voraussichtlichen Emissionen.

Solche Profile zu erstellen gehört zu den Kernaufgaben von Umweltmeteorologen wie Clemens Drüe von der Universität Trier. »Das ist aber meistens nicht sehr spannend«, bekennt der Wissenschaftler, »die Ergebnisse sind häufig erwartbar«. Deshalb kam ihm die Idee, gemeinsam mit Studierenden seines Fachs eine solche Schadstoffprojektion für die römischen Keramikfabriken aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. zu erstellen.

Simulation der mittleren Stickstoffemissionen im Herforster Wald zur Römerzeit.

Simulation der mittleren Stickstoffemissionen im Herforster Wald zur Römerzeit.

Foto: Clemens Drüe

Hunold und Schaaff vermuten, dass die Großanlage von Herforst damals »auf der grünen Wiese gegründet« wurde. Die bisherigen Erkenntnisse legen nahe, dass die einzelnen Töpfereien als Familienbetriebe verwaltet wurden. Vermutlich haben die Betreiber vor knapp 2000 Jahren sogar in unmittelbarer Nähe der qualmenden Schlote gelebt und geschlafen.

Grauer Himmel in der Eifel

Nur dank neuester technischer Verfahren waren Experten aus Wien überhaupt in der Lage, das tatsächliche Ausmaß der Anlage zu erkennen. Bei geophysikalischen Testmessungen und dem Einsatz von Lasertechnik vom Flugzeug aus entdeckten die Forscher eine faszinierende Fülle an Hinterlassenschaften. Auf dieser Grundlage begannen Hunold und Schaaff anschließend zu buddeln.

Die Daten des Umweltmeteorologen Drüe und seines Teams erweitern nun das Wissen um diesen Ort. Wie üblich speisten die Wetterexperten ihr gesamtes Wissen in ihre Rechner; also alle jene Erkenntnisse, die durch Messverfahren und archäologische Experimente zur Verfügung standen. Aus dem Zahlensalat, der sich daraus ergab, hat Drüe ein recht deutliches Ergebnis herausgefiltert. Blau kann der Himmel über der Eifelgemeinde einst nicht gewesen sein.

Jede einzelne Töpferwerkstatt pustete pro Stunde 10 Gramm Feinstaub und 20 Gramm Stickoxide in die Luft. Nach heutigen Maßstäben hätte die gesamte Anlage wohl keine Zulassung erhalten. Die schädliche Wirkung der Emissionen haben die Bewohner des Herforster Töpferreviers im Zweifel aber wohl auf den Zorn der Götter geschoben.

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