Unheimlich fleißig
Die Nachricht vom Mäuse-Experiment machte weltweit Furore: Karl Illmensee, Professor an der Universität Genf, beschrieb 1981 in der Fachzeitschrift »Cell« die erste erfolgreiche Klonierung von Säugetieren. Als »Sensation« und »Durchbruch« wurde dieser Erfolg genetischer Fortpflanzung gefeiert: Herstellung völlig identischer Mäuse-Generationen durch Austausch von Zellkernen.
Zellbiologe Illmensee galt fortan als Star einer zukunftweisenden Wissenschaft.
Doch nun, zwei Jahre später, fällt Schatten auf die Karriere des jugendlich wirkenden Professors. Illmensee geriet in Verdacht, bei seinen genetischen Versuchen unsauber gearbeitet zu haben. Zwar sei ihm kein »systematischer Betrug« nachzuweisen, erklärte ein Sprecher der Genfer Hochschule. Aber »Standardregeln zur Führung wissenschaftlicher Protokolle« seien nicht eingehalten worden.
Kummer mit einem vielversprechenden Biologen hatte jüngst auch die Freie Universität Berlin: Eine Untersuchungskommission warf Professor Hasko Paradies vor, Forschungsdaten geschönt zu haben. Paradies kam der Rücknahme seiner Ernennung im Mai durch die eigene Kündigung zuvor.
Während der Fall Paradies damit erledigt scheint, soll über Illmensee noch eine Kommission beraten. Amerikanische Kollegen empfahlen ihm, die angefochtenen Experimente zu wiederholen.
Ob Mogelei oder nur Schlampigkeit - solche Vorkommnisse galten in der wissenschaftlichen Gemeinde bislang als Ausnahmen. Schwindel und Betrug, so schien es, grassieren überall, nur nicht in den Labors erkenntnissuchender Professoren und Doktoren.
Nun jedoch haben sich die Fälle von manipulierter Forschung derart gehäuft, daß die britische Wissenschaftszeitschrift »Nature« fragte: »Ist Wissenschaft wirklich ein Haufen von Lügen?«
Eine »Schwemme wissenschaftlicher Fälschungen«, so heißt es in dem Leitartikel, habe in den vergangenen Jahren den gesamten Forschungsbetrieb ins Gerede gebracht.
Die Ironie sei dabei, daß die etwa zwölf Fälle nachgewiesenen Betruges sich gerade an den berühmtesten Institutionen ereignet hätten - beispielsweise am Sloan-Kettering Institute sowie an den Universitäten von Yale, Harvard und Cornell. Unter den Kollegen galten die Beschuldigten zumeist als intellektuell herausragende Persönlichkeiten.
Mit frisierten oder erfundenen Forschungsergebnissen suchten vor allem Mediziner und Biologen seit den 70er Jahren wissenschaftlichen Ruhm zu erlangen: *___William Summerlin, Mediziner am ____Sloan-Kettering-Krebsforschungsinstitut in New York, ____half mit dem Filzschreiber nach, als ihm die ____Hautverpflanzung zwischen verschiedenfarbigen Mäusen ____nicht gelang. Er mußte zugeben, daß er 1974 einem ____weißen Versuchstier nicht, wie behauptet, schwarzes ____Fell überpflanzt, sondern es nur aufgemalt hatte. *___Der Brite Robert Gullis, Gastforscher am ____Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, ____türkte Versuche mit sogenannten Neurotransmittern. Was ____er als Meßwerte über die Funktion dieser chemischen ____Überträgerstoffe in Hirnzellen publiziert habe, so ____gestand Gullis 1977, seien in Wahrheit nur Hypothesen ____gewesen. *___John C. Long, Pathologe am Massachusetts General ____Hospital, gab 1980 zu, Versuchsdaten gefälscht zu ____haben. Zur Erforschung des Morbus Hodgkin hatte er ____angeblich menschliche Zellkulturen benutzt - in ____Wahrheit handelte es sich um Zellmaterial von Affen. *___An der Yale University veröffentlichte der Mediziner ____Vijay Soman Plagiate als eigene Forschungsergebnisse. ____1980 mußte er elf Publikationen (zum Thema ____Insulin-Stoffwechsel) zurückziehen. *___Den Stoffwechselveränderungen bei der Entstehung von ____Krebs war angeblich der 24jährige Mark Spector auf die ____Spur gekommen. 1981, wenige Wochen nach eindrucksvollen ____Veröffentlichungen, kam heraus, daß der Student an der ____Cornell University bei seinen Experimenten gemogelt ____hatte. *___Frisiert waren auch die Versuchsergebnisse, mit denen ____sich der Amerikaner John Darsee in etwa 100 ____Publikationen als Herzforscher profiliert hatte. 1981 ____wurde Darsee erstmals ertappt. Offensichtlich hatte er ____Versuchspersonen und Referenzen für seine ____Veröffentlichungen erfunden, die nach dem Eklat zu ____Dutzenden von der Harvard und der Emory University ____zurückgezogen wurden.
»Gewiß, es gibt ein paar Betrüger«, räumte ein Gremium namhafter amerikanischer Wissenschaftler 1981 bei einer Anhörung vor dem US-Repräsentantenhaus ein. Aber die bekanntgewordenen Fälle von Wissenschaftsschwindel zeigten doch, wie aufmerksam die Kollegen untereinander seien.
Nirgends hätten Lügen kürzere Beine als in der Wissenschaft, tröstete sich Bernd Hamprecht, Chef des Briten Gullis am Max-Planck-Institut. Meistens entpuppten sich die Fälscher als Psychopathen, hieß es schließlich im Frühjahr 1983 auf dem Kongreß der American Association for the Advancement of Science: Solche Irren gebe es schließlich in allen Berufen, und man komme ihnen rasch auf die Spur.
Doch die Ermittlungen an den betroffenen Instituten zeigen ein ganz anderes Bild: Durchaus über längere Zeit - bei dem Herzforscher Darsee beispielsweise 14 Jahre, bei dem Pathologen Long sieben Jahre lang - blieben die Manipulationen unentdeckt.
Von ihren Mitarbeitern, auch von ihren Chefs, wurden viele der Mogler als außergewöhnliche Talente gelobt. So wurden dem Krebsforscher Spector von Insidern »goldene Hände« beim Experimentieren nachgesagt, er galt schon als Anwärter auf einen Nobelpreis.
Auf den Immunforscher Summerlin setzten die Organ-Transplanteure große Hoffnungen, der Engländer Gullis wurde in Martinsried als »überaus intelligent und unheimlich fleißig« beurteilt, auch den Herzforscher Darsee betrachteten Kollegen als brillanten Aufsteiger.
Als Beweis dafür, wie langlebig Manipulation und Plagiat, Weglassung und Erfindung sein können, führen die amerikanischen Autoren William Broad und Nicholas Wade in einem Buch über Betrug
in der Wissenschaft erlesene Namen an: _(William Broad, Nicholas Wade: »Betrayers ) _(of the Truth«. Simon & Schuster, New ) _(York; 256 Seiten; 14,95 Dollar. )
Ptolemäus und Galilei, Newton, Mendel oder auch John Dalton, ein berühmter Chemiker des 19. Jahrhunderts - sie alle hätten es an wissenschaftlicher Ehrlichkeit fehlen lassen, viele ihrer Experimente hielten Nachprüfungen nicht stand.
Die herkömmlichen Schutzmechanismen, so meinen Wade und Broad, hätten sich untauglich erwiesen: Weder die Begutachtung von Publikationen vor der Veröffentlichung noch die Nachprüfung von Experimenten durch Wiederholung böten wirklichen Schutz vor Wissenschaftsbetrug.
»Publish or perish«, veröffentlichen oder untergehen - dieses in Wissenschaftskreisen geflügelte Wort legt die Schwachstellen des Forschungsbetriebes bloß: Wer nicht schnell und viel veröffentlicht, macht keine Karriere. Der Druck, sich immer wieder mit Publikationen hervorzutun, gilt als Hauptmotiv für die Schwindeleien. Die stetig wachsende Flut von Publikationen wiederum macht eine Überprüfung immer schwieriger.
Begünstigt wird das Zurechtbiegen wissenschaftlicher Befunde auch durch den Brauch, ehrenhalber eine Reihe von Mitautoren anzuführen - die aber oftmals vom Inhalt der Arbeit gar keine Ahnung haben. Sie waren, wie beispielsweise im Falle Darsee, weder an den Experimenten noch an ihrer Auswertung beteiligt.
Zumindest hier sollten Sicherungen eingebaut werden, fordert Arnold S. Relman, Herausgeber des »New England Journal of Medicine«, das Mitte des Monats zwei Publikationen von Darsee offiziell zurückzog. Als Mitautor, meint Relman, solle künftig nur erscheinen, wer sich in der veröffentlichten Arbeit wirklich auskenne.
Geradezu gefährlich können solche Schummeleien von Wissenschaftlern ausgehen, wenn es dabei nicht um esoterische Forschung, sondern um handfeste Wirtschaftsinteressen geht. Ein Beispiel dafür ist der jüngste Betrugsfall, der aus amerikanischen Labors bekannt wurde.
In Chicago stehen vier Wissenschaftler vor Gericht, denen die Fälschung von Testresultaten vorgeworfen wird. In den Bio-Test Laboratories, einem mit staatlichen Aufträgen versehenen Labor, sollen sie Befunde bei der Prüfung von Chemikalien frisiert haben - den Wünschen der betreffenden Hersteller entsprechend. Hunderte von Insekten- und Unkrautvernichtungsmitteln, Kosmetika und Lebensmittelzusätzen seien aufgrund dieser Experimente fälschlich als sicher deklariert worden.
»Wer«, so fragte die »New York Times« angesichts dieses jüngsten Skandals, »soll eigentlich die Testlabors testen?«
William Broad, Nicholas Wade: »Betrayers of the Truth«. Simon &Schuster, New York; 256 Seiten; 14,95 Dollar.