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Automobile Unsichtbarer Dritter

Zuwenig nützlich, womöglich gar schädlich? Fachleute streiten über neuartige »Unfalldatenspeicher« für Personenwagen.
aus DER SPIEGEL 19/1993

Mitten auf einer Ampel-Kreuzung der Innenstadt von Trier prallte, morgens um 1.10 Uhr, ein Passat-Taxi gegen einen Mercedes 190. Beide Fahrer - Personen waren nicht zu Schaden gekommen - behaupteten, bei grünem Signal auf die Kreuzung gefahren zu sein. Die Lage der Wracks ließ keine Rückschlüsse auf die Schuldfrage zu, brauchbare Zeugen fehlten.

Aber da war doch ein Zeuge. Er verbarg sich, eingesperrt in eine schwarze Box von der Größe eines Zigarrenkistchens, unter dem Fahrersitz des Passat - eine Apparatur von erstaunlicher Merkfähigkeit. Eine Spezialsoftware am Personalcomputer brachte sie mittels weniger Berechnungen zum Sprechen. Mühelos konnte der Sachverständige den Unfallverlauf rekonstruieren.

Demnach fuhr die Passat-Droschke Tempo 53 rund 120 Meter vor der Ampel, die in diesem Moment von Rot auf Gelb sprang. Mithin war zweifelsfrei der gegnerische Mercedes als Missetäter ermittelt, der bei Rot auf die Kreuzung geraten war, wo sich ihm das Taxi mit Tempo 58 in die Flanke bohrte.

Aus seiner Beweisnot rettete den Taxifahrer ein »Unfalldatenspeicher«, jenes Gerät, wie es sich seine Hersteller, aber auch manche Politiker und Verkehrsfachleute zum Pflicht-Einbau in alle Personenwagen wünschen.

Seine Fürsprecher erhoffen sich von diesem »unsichtbaren Dritten« bessere Sitten auf deutschen Straßen und mehr Gerechtigkeit beim Unfallgeschehen: Jedes Jahr lassen sich, aus Mangel an Beweisen, bei rund 400 000 Unfällen Schuldige nicht ermitteln.

Der Datenspeicher, schon erfolgreich getestet in monatelangen Feldversuchen, registriert im Endlosverfahren - ähnlich wie der Flugschreiber aus der Luftfahrt - mittels seiner Sensoren 30 Sekunden vor und 15 Sekunden nach einem Crash alle wichtigen Fahrzeugdaten. Er erfaßt Quer- und Längsbeschleunigungen, Rotationen und Bremsmanöver, aber auch, ob und wann der Fahrer blinkte, das Licht einschaltete oder die Zündung abstellte. Aus dem auf Chips gespeicherten Info-Wust rekonstruieren Experten angeblich sogar haarscharf die Verläufe von Massenkarambolagen, von Unfällen bei Glätte und von Bremswegen verunglückter Autos mit Anti-Blockier-Systemen (die mangels Blockierens kaum Bremsspuren hinterlassen).

Als erste Lieferantin eines Fahrdatenspeichers für Personenwagen bietet die Schwarzwaldfirma Mannesmann-Kienzle aus Villingen seit Anfang des Jahres ihre Blackbox »UDS 2165« ("Unfall-Datenspeicher") für 590 Mark an, zuzüglich etwa 300 Mark Einbaukosten. Die Aussicht, sich durch den freiwilligen Einbau des Geräts für den Notfall »wichtiges Beweismaterial« (Firmenwerbung) zu sichern, führte bereits zu »mehr als 5000 Anfragen« (so Firmensprecherin Barbara Kögler), insbesondere von »Vielfahrern«. Schon nächstes Jahr soll ein weiteres Speichergerät, entwickelt von der Daimler-Benz-Tochter MBB, auf den Markt kommen. Der Firma Mercedes-Benz ist die Apparatur so wichtig, daß sie nicht mehr auf das heranreifende Produkt aus dem eigenen Hause warten will - für ihre Omnibusse bietet sie schon heute den Kienzle-Speicher als Sonderausstattung an.

Der »Deutschen Interessengemeinschaft für Verkehrsunfallopfer e. V.«, der die Kienzle-Ingenieure gerade ein Testgerät für ein Vorstandsauto dedizierten, wäre am liebsten, der Bundestag würde sogleich »den gesetzlichen Einbau« in alle Autos verfügen. Ähnliche Forderungen hatten schon vor Jahr und Tag der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Schnoor erhoben, um im Lande der Drängler und Raser wenigstens die schlimmsten Rüpel des Motorwesens womöglich leichter überführen zu können.

»Neuer Wahnsinn gegen die Autofahrer«, wetterte Bild. Der mächtige ADAC nannte das Gerät, das für den früheren Verkehrsgerichtstags-Präsidenten Richard Spiegel »ein neues Rechtsinstitut mit unbestreitbarer Beweisintegrität« darstellt, einen »Spion im Auto« und einen Schritt zum »Gläsernen Autofahrer«.

Nach einem Test des nun in den Handel gebrachten Datenspeichers rügten die ADAC-Prüfer, bei einem leichten Aufprall reiche die Sensibilität der Meßfühler nicht aus, den Unfall auch als Unfall zu erkennen und aufzuzeichnen. Ernster zeigten sich die Juristen des Klubs besorgt: Nach einer Karambolage könnte ein »Bumerang-Effekt« eintreten und, mit Hilfe des eigenen Aufzeichnungsgeräts, »sich der Fahrer selbst ans Messer liefern«. Der Datenspeicher würde in solchen Fällen das Recht des Autofahrers auf eine Verweigerung der Aussage »praktisch unterlaufen«.

Hersteller Kienzle sah derartige Bedenken offenbar voraus: Der Fahrer hat zwar die Möglichkeit, bis zu drei »Ereignisse« aufzuzeichnen, kann aber durch Druck auf eine »Löschtaste« alle Daten auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen, etwa, falls sein Beweismittel sich gegen ihn verwenden ließe. »Das«, erläuterte Sprecherin Kögler, »darf bei freiwilligem Einbau nicht anders sein.«

Doch selbst mit Löschtaste wirkt die Blackbox als psychologische Bremse, mit deren Hilfe bei 60 Testfahrern des WKD-Sicherheitsdienstes in Bisingen (Baden-Württemberg) die Quote der Bagatellschäden um 70 Prozent sank.

Beim Einbau in Fahrzeuge von Firmenflotten, verriet Kienzle, werde häufig absichtlich auf die Löschtaste verzichtet - und die Folge sei ein »friedlicheres und bewußteres Fahren«.

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