TOURISMUS Urlaub mit Tante
Man muß schon das Außergewöhnliche lieben, um dieser Insel einen Reiz abzugewinnen«, warnt das Touristikunternehmen Transeuropa alle Urlauber, die Ferien auf der heißen Vulkaninsel Lanzarote buchen wollen. Abschreckend sei nicht nur die kahle Kraterlandschaft, »tagsüber« müsse »mit Baulärm gerechnet werden«, und abends seien »Strom- und Wasserausfälle« nicht eben selten.
Just diese kleine Kanareninsel vor der westafrikanischen Küste will nun ein deutscher Kleinveranstalter mit der »Erlebnisreise des Jahres« ansteuern: Helmut Moll, Reisebürochef im hessischen Dreieich, verlangt für den Zwei-Wochen-Trip nach Lanzarote fast zehnmal soviel wie die Konkurrenz und ist dennoch überzeugt: »Wir werden ganz schnell ausgebucht sein.«
Für rund 10000 Mark bietet Moll seinen Kunden die denkbar langwierigste und unbequemste Anreise: Statt an Bord einer Boeing in vier bis fünf Stunden ins Ferienland zu jetten, sollen sie in einem Veteranen der Luftfahrt, einer fast 50 Jahre alten Junkers Ju 52, eine Woche lang durch die Lüfte in Richtung Badeinsel geschaukelt werden.
In insgesamt acht Etappen soll der dreimotorige Oldtimer - über Alpen und Pyrenäen, über das Mittelmeer und die marokkanische Wüste - die 3700 Kilometer lange Strecke bewältigen. Nach jeweils ein paar Flugstunden sind Zwischenstopps eingeplant, der erste schon in Lyon, dann einer in Toulouse, später in Valencia und Malaga und schließlich auch noch in den marokkanischen Städten Meknes, Marrakesch und Agadir.
Während das Flugzeug gewartet und aufgetankt wird, können sich auch die Passagiere von der Luftkutscherei erholen. Mangels Druckkabine und ausreichender Heizung beträgt die Reiseflughöhe der Ju 52 maximal 3800 Meter, eine Höhe, in der oft heftige Winde an der Maschine zerren und sich mancher Fluggast an seinem Sessel festkrallt, wenn ihm schlagartig demonstriert wird, was unter einem »Luftloch« zu verstehen ist.
»In diesen alten Böcken ist Fliegen eben noch Fliegen«, erläutert Moll. Von einigen Rundflügen, die er letztes Jahr organisiert hat, weiß er, daß die Achterbahnfahrten mit der Ju nicht für jeden die reine Freude sind: »Da sind immer ein paar dabei, denen schlecht wird.«
Der von Moll gecharterte Aero-Oldie ist einer der letzten Überlebenden einer Flugzeugserie, die schon kurz nach ihrem ersten Start im Jahr 1932 zum Symbol für Zuverlässigkeit und Sicherheit wurde. Zum Start genügten dem Luftroß notfalls zwei Motoren, fürs Fliegen reichte ein einziges der relativ schwachen Kolbentriebwerke.
Nicht einmal 500 Meter Startbahn brauchte (mit allen drei Motoren) die Ju 52, um vom Boden abzuheben. Konstrukteur Ernst Zindel wählte wellblechartig gepreßtes Aluminium für Rumpf, Flügel und Leitwerk, ein Material, das zwar wenig windschlüpfig, dafür aber leicht und billig war. Außer der Lufthansa dienten die in Dessau gebauten Ju 52 noch 29 weiteren Fluggesellschaften. Insgesamt wurden während des Dritten Reiches mehr als 3500 Stück geliefert.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der behäbige Omnibus der Lüfte, der lediglich im Sturzflug mehr als 250 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichte und bei scharfem Südwind kaum über die Alpen kam, endgültig zum Mythos unter deutschen Landsern und Aviatikern - als Retter für Verletzte und Nothelfer für eingeschlossene Truppenteile, aber auch als vom Gegner gefürchteter »Behelfs-Bomber« oder unermüdlicher Lastesel für Proviant, Munition und Fallschirmjäger.
Kaum eine andere Maschine, lobten die Flieger in den dreißiger und vierziger Jahren, sei annähernd so sicher und gutmütig wie die »Tante Ju«.
Hinreichend Sicherheit verspricht auch Reiseunternehmer Moll den Teilnehmern der Tante-Ju-Tour nach Lanzarote. Die 1979 von der Schweizer Armee ausgemusterte Maschine sei technisch generalüberholt, am Steuerknüppel säßen fast ausschließlich Flugkapitäne der Swissair. »Das machen die aus Spaß«, so Moll, »Honorar gibt es dafür nicht.«
Jeder der 18 Passagiere in der Wellblech-Matrone hat einen Fensterplatz; andere gibt es nicht. Die Kabine ist so schmal, daß man sich mit ausgestreckten Armen rechts und links gleichzeitig abstützen kann.
Ängstliche Interessenten will der Reiseunternehmer mit Vorsorgemaßnahmen beruhigen. »Selbstverständlich«, verspricht der Prospekt, seien alle Gäste »ausreichend versichert«. Im Todesfall erhalten die Erben 100000 Schweizer Franken, Überlebende einer Havarie haben fünf Jahre lang Anspruch auf »unbegrenztes Heilungsgeld«.
Manche Teilnehmer kann ein Absturz ohnehin nicht schrecken. Unter seinen Rundfluggästen, verrät Moll, seien »einige gewesen, die früher mit dem Ding schon mal abgeschmiert sind«.
Beim Rückflug nach einigen Tagen können Molls Kunden dann erst richtig ermessen, was sie mit der alten »Tante Ju« erlebt haben: Zurück geht es in einem Rutsch - im modernen Jet.