KRIMINOLOGIE Verräterisches Muster
Für die Einwanderungskontrolleure des Landoner Flughafens Heathrow war es ein Fall unter vielen: Nach vielstündigem Flug wurde dem kleinen Jungen aus Ghana, der zu Mutter und Geschwistern nach England ziehen wollte die Einreise verweigert.
Der Junge, argwöhnten die Grenzwächter, wolle illegal in England unterschlüpfen. Er sei, so der Verdacht der Behörde, nicht der Sohn seiner vorgeblichen Mutter, sondern einer ihrer zahlreichen in Ghana lebenden Neffen.
Das Schicksal des schwarzen Jungen bewegte im Sommer letzten Jahres für Wochen Polizeiermittler, Anwälte, Ärzte und - zu seinem Glück - ein Wissenschaftler-Team um den Genetiker Alec Jeffreys von der University of Leicester.
Was Ärzte und Anwälte mit Bluttests und Recherchen nicht vermocht hatten gelang Jeffreys. Auf neuartige Weise, mit sogenannten DNA-Fingerabdrücken, wies der Genetiker nach, daß der Junge aus Ghana nur der Sohn - und nicht etwa ein Neffe - seiner mutmaßlichen Mutter sein konnte.
»Eine der größten Errungenschaften der forensischen Wissenschaften«, schwärmten Experten wie Peter Gill vom Kriminaltechnischen Untersuchungslabor des britischen Innenministeriums, als Jeffreys seinen subtilen Verwandtschaftsnachweis jüngst im britischen Wissenschaftsmagazin »Nature« beschrieb: Bestimmte, kurze Abschnitte der in Desoxyribonukleinsäure-(DNA-) Molekülen gespeicherten menschlichen Erbinformationen, erkannte Jeffreys, verraten ihren Träger untrüglich, sie dienen gleichsam als fälschungssichere, genetisch fixierte Personenkennung.
Polizeipraktiker erhoffen sich von den unveränderlichen Mustern aus dem Lebensmolekül nützliche Fahndungs- und Beweishilfen, wie Jeffreys erläutert: *___Vergewaltiger könnten selbst dann der Tat über führt ____werden, wenn das einzige Beweismittel Sa menspuren ____seien. *___Winzigen Blutflecken oder einem ausgerissenen Haar ____komme künftig volle Be weiskraft bei der Ermitt lung ____eines Täters zu. *___Vaterschaftsnachweise sei en nun mit »letzter Sicher ____heit« zu führen.
Derzeit dienen Gerichten Blutgruppenvergleiche von Vater und Kind gleichsam als negative Vaterschafts-Indikatoren - ermittelt werden kann nur, wer aufgrund seiner Blutmerkmale nicht als Vater in Betracht kommt. Ebenfalls nach dem Ausschluß-Prinzip grenzen Ermittler bei Blut- oder Samenproben den Kreis der Verdächtigen ein. DNA-Fingerabdrücke hingegen erlauben eine positive Spurenzuordnung: Blutspuren etwa können einem Verdächtigen eindeutig zugeschrieben werden - was bislang nur bei Fingerabdrücken möglich war.
Seit einem Dreivierteljahrhundert gehören Fingerabdrücke zum klassischen Repertoire der Kriminologie. Im Mai 1905 verurteilten Geschworene des Londoner Kriminalgerichts Old Bailey erstmals in der Rechtsgeschichte zwei Mörder aufgrund des verräterischen Musters einer Fingerkuppe zum Tode: Ein Daumenabdruck auf einer Geldkassette wurde den Gebrüdern Stratton, die im Londoner Stadtteil Deptford einen brutalen Raubmord an einem alten Ehepaar verübt hatten, zum Verhängnis.
Fortan wurde die »Daktyloskopie«, der Kunstgriff, Menschen durch Fingerabdrücke zu identifizieren, zu einem wichtigen Hilfsmittel der Anklagebehörden. 1952 verlieh der Bundesgerichtshof der Daktyloskopie höchste Rechtsweihen: Ein Richter, so das Karlsruher Urteil, begehe »keinen Verstoß gegen Rechtsnormen oder gegen allgemeine Erfahrungssätze der Wissenschaft«, wenn er seine »Überzeugung von der Täterschaft« auf Fingerabdrücke stütze.
Erwiesen ist, daß sich die eigentümlichen Fingerkuppen-Muster jedes Menschen bereits beim Embryo im Mutterleib ausprägen, etwa im vierten Monat der Schwangerschaft. Bis zur »Auflösung des Körpers nach dem Tode« gelten die Fingerabdrücke, wie das Bundeskriminalamt konstatierte, als individuelles, einmaliges und unveränderliches Identifizierungsmerkmal: Noch nie wurden _(unten: beim Bundeskriminalamt in Wies ) _(baden. ) _(Oben: Aus verschiedenen Blut- und ) _(Samenpro ben; )
zwei Menschen mit identischen Fingerabdrücken gefunden.
Blutproben dagegen erlauben bisher selbst dann keine eindeutige Personenidentifizierung, wenn Tatspuren schon wenige Stunden nach einem Gewaltverbrechen mit dem Blut eines Verdächtigen verglichen werden können. In Wahrheit, so das BKA, stünden in der kriminologischen Praxis »fast ausschließlich« angetrocknete,und verunreinigte Proben zur Verfügung - wodurch die Wahrscheinlichkeit der richtigen Zuordnung auf etwa eins zu siebzig sinke. Bei Samenspuren, klagen BKA-Experten, sei die Quote der Verläßlichkeit noch »wesentlich geringer«.
Auch Stimmanalysen, mit denen das BKA seit einigen Jahren insbesondere Terrorismusverdächtige und Erpresser zu überführen trachtet, gelten Richtern nach BKA-Erfahrungen »nur in Ausnahmefällen« als »über jeden vernünftigen Zweifel« erhabene Beweismittel - nur dann, wenn »sehr viel Untersuchungsmaterial« in »sehr guter technischer Qualität« vorliegt. Am Telephon mitgeschnittene Stimmaufnahmen scheiden weil die Übertragungsqualität zu schlecht ist, aus.
Erst den DNA-Fingerabdrücken dürfte künftig die gleiche Beweiskraft zukommen wie der Daktyloskopie. Was Jeffreys durch subtile Manipulationen an Erbmolekülen gewann, ist ein höchst persönliches Strichmuster nach Art der Warencodes im Supermarkt. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Zell-Strichcode bei zwei Menschen übereinstimmt, ist kleiner als eins zu dreißig Milliarden.
Werden aus Zellproben statt einem zwei der DNA-Strichmuster kristallisiert, wächst die Zuverlässigkeit der Gen-Methode noch beträchtlich. Auf eins zu einer Trillion schrumpft dann das Risiko, daß zwei (nicht als Zwillinge verwandte) Menschen die gleiche Strichkombination aufweisen könnten.
Bei Verwandten allerdings, so fanden die britischen Wissenschaftler, gleichen bestimmte Ausschnitte des Gen-Puzzles einander an - wobei die Annäherung mit dem Verwandtschaftsgrad zunimmt. Eineiige Zwillinge verfügen über identische DNA-Codes, Kinder und ihre genetischen Eltern weisen innerhalb der individuellen Strichmuster Streifendoubletten auf: So konnte Jeffreys beweisen daß der kleine Schwarze der Sohn seiner Mutter ist - so könnten künftig Vaterschaften eindeutig bestimmt werden.
Bislang zauberten die DNA-Tüftler von der University of Leicester genetische Fingerabdrücke aus Haarwurzeln und Vaginalsekret, aus Blut- und Samenproben. Auch noch aus Tatspuren, die bisher als unauswertbar galten, konnten DNA-Abdrücke gewonnen werden: aus eingetrockneten, zwei Jahre alten Samenflecken und vier Jahre alten Blutspritzern.
Noch gilt der kriminologische Griff nach dem DNA-Code als zu aufwendig und diffizil, um in den Kriminal-Labors routinemäßig praktiziert zu werden. Doch die Gen-Methode reift; Jeffreys meldete seine Kennmuster aus der Zelle bereits zum Patent an.
Da sei, schwant einem deutschen Kollegen, der Tag wohl nicht fern, wo dem gläsernen Menschen ein »persönliches Warenmuster aus der Zelle« angeheftet werde: Blutproben, aus denen der genetische Fingerabdruck zu gewinnen ist, werden fast jedem Erdenbürger schon am Tag seiner Geburt entnommen.
unten: beim Bundeskriminalamt in Wies baden.Oben: Aus verschiedenen Blut- und Samenpro ben;