TIERSCHUTZ Walkampf in Berlin
Mit Sentimentalitäten braucht man Isländern gar nicht erst zu kommen. Die Botschaft von den mystischen Meeresriesen: sinnloses Gerede. Der Verweis auf ihre hohe Intelligenz: vergeudete Liebesmüh.
»Das bringt alles gar nichts«, sagt Asbjörn Björgvinsson. Was wirklich etwas verändern könne in einem Land, dessen Bewohner Wale traditionell lieber grillen als hätscheln? Das schnöde Geld.
»Die Wale werfen sehr viel Profit ab«, freut sich Björgvinsson, Vorsitzender von Islands Whale-Watching-Verband. In den vergangenen sieben Jahren habe sich die Zahl der Waltouristen in Island verdreißigfacht, sagt der 45-Jährige, der im isländischen Húsavik ein Walmuseum betreibt.
»Lebend sind die Wale für Island viel wertvoller als tot«, sagt Björgvinsson und entzückt damit die internationale Walschutzgemeinde. Allein: Er hat die Rechnung ohne seine Landsleute gemacht. Umfragen zufolge sind etwa 90 Prozent der Nordmänner dafür, nach 14-jähriger Harpunenruhe wieder auf Waljagd zu gehen.
Schon hat das Land angekündigt, den umstrittenen »wissenschaftlichen« Walfang wieder aufnehmen zu wollen, mit dem Japan seit Jahren Walfans in aller Welt erzürnt. Island erwägt sogar, ab 2006 wieder in die kommerzielle Waljagd einzusteigen. »Wir wollen alle marinen Ressourcen in unseren Gewässern nutzen - inklusive der Wale«, sagt Stefán Ásmundsson vom isländischen Fischereiministerium. »Es ist nicht akzeptabel, dass uns andere Länder in dieser Frage ihre kulturellen Vorstellungen aufdrücken.«
Ásmundsson fällt die undankbare Aufgabe zu, als Verhandlungschef Islands die Position seiner Landsleute in dieser Woche auf der 55. Sitzung der Internationalen Walfangkommission (IWC) in Berlin zu vertreten. Gegenwind ist dem Walfangfan sicher. Schon im Vorfeld der Konferenz brachten Artenschutzverbände ihre Pappwale und Sperrholzdelfine in Anschlag. Greenpeace verzurrte einen aufblasbaren Wal - fern dem Ozean - in 2962 Meter Höhe auf der Zugspitze.
So heftig wie lange nicht wird das alljährlich wiederkehrende Gezerre um die Meeressäuger in diesem Jahr wohl ausfallen. Denn reichlich Zündstoff bietet die Tagesordnung der Delegierten: Mit der so genannten »Berlin Initiative« legen 18 der 49 Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, ein Papier vor, das den Umbau der IWC von einer Walfang- in eine Walschutzkommission einläuten könnte. Andererseits begibt sich Island mit seinem Antrag auf »Wissenschaftswalfang« direkt ins Sperrfeuer von Artenschützern und Delegierten.
»Wir nehmen nicht hin, dass Japan unter dem Deckmantel der Wissenschaft kommerziellen Walfang betreibt und jetzt auch Island solche Pläne hat«, sagt Matthias Berninger, Parlamentarischer Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium von Renate Künast. »Der Schutzgedanke der IWC muss gestärkt und in den Vordergrund gerückt werden. Dabei geht es um den Erhalt aller Wale - auch der Delfine und anderer Kleinwale.«
Erst am 14. Oktober 2002 kehrten die Isländer nach zehn Jahren in die IWC zurück - nicht ohne gleichzeitig ihre Vorbehalte gegen das seit 1986 geltende Walfangmoratorium zu bekräftigen, das die kommerzielle Jagd auf die Tiere verbietet. Damit folgte das Land dem Kurs Norwegens. Weil die Norweger dem Moratorium von vornherein widersprachen, können sie - ganz legal - auch in diesem Jahr wieder über 700 Zwergwale abschießen.
So einfach machen es die IWC-Statuten den Isländern allerdings nicht. Die Frist für einen Einspruch gegen das Moratorium ist längst abgelaufen. Ein anderes Schlupfloch jedoch bleibt weiterhin offen: der Walfang für die Forschung. Fristgerecht für die Tagung in Berlin reichte Island im März bei der IWC einen Antrag für die Jagd auf 200 Finnwale, 100 Seiwale und 200 Zwergwale in den nächsten zwei Jahren ein. »Wir wollen untersuchen, was Wale fressen und wie sie die Fischbestände rund um Island beeinflussen«, erläutert Ásmundsson.
Doch Artenschützer misstrauen den hehren Forschungszielen. Auch die Japaner betrieben den »Wissenschaftswalfang« nur, um Tonnen von Walfleisch als Delikatesse zu verkaufen. »Der Antrag ist ganz klar kommerziell motiviert«, sagt Sandra Altherr von der Artenschutzorganisation Pro Wildlife. »Das Land erhofft sich durch
Exporte von Walfleisch nach Japan ein Millionengeschäft.« Und auch Forscher haben Einwände. Man sei »ernsthaft besorgt« über den »regelmäßigen Missbrauch« der Wissenschaftsklausel des IWC-Vertrags, heißt es in einem Papier, das IWC-Wissenschaftler diese Woche vorlegen werden. Die Ziele des isländischen Forschungsvorhabens seien »entweder nicht relevant« für den Walschutz oder könnten »wesentlich schneller durch gut etablierte nicht tödliche Methoden« erreicht werden.
Die deftige Kritik an Isländern und Japanern macht deutlich, wie verfahren die Situation in der IWC ist. Seit Jahren schon wirkt die Organisation wie gelähmt, weil sich Walfangbefürworter und Walfanggegner feindlich gegenüberstehen.
Bereits 1994 beispielsweise entstand in der IWC die Idee, Fangquoten für nicht unmittelbar gefährdete Walarten festzulegen. Ein guter Bewirtschaftungsplan, so die Einsicht vieler Walschützer, könnte erfolgreicher sein als ein schlechtes Moratorium. Doch die Idee wird seither konsequent zerredet. Umstritten ist etwa, wie solche Fangquoten überwacht werden sollen.
Genauso verfahren ist die Lage bei den Schutzgebieten: Schon lange liegen in der IWC Anträge für neue Walschutzgebiete im Südpazifik und Südatlantik auf dem Tisch. Doch immer wieder scheitern die Pläne an der notwendigen Dreiviertelmehrheit.
Mit der jetzt vorgelegten »Berlin Initiative« machen die Walschützer erneut den Versuch, Bewegung in die IWC zu bringen. Handlungsbedarf besteht allemal. Trotz des Walfangmoratoriums haben sich bislang nur einzelne Bestände von der jahrzehntelangen Bejagung erholt. Immer noch sieht der Weltnaturschutzbund IUCN Walarten wie etwa den Nordkaper oder den Blauwal akut bedroht. Auch um kleinere Vertreter der Wale wie den Chinesischen Flussdelfin oder den Amazonas-Delfin ist es schlecht bestellt - Tiere, um die sich die IWC traditionell kaum kümmert.
Doch das soll sich nun ändern. Künftig, so hoffen die Initiatoren der »Berlin Initiative«, sollen auch Delfine und andere Kleinwale unter die Obhut der IWC kommen. Nicht mehr die Waljagd sondern der Walschutz soll in den Mittelpunkt der Verhandlungen rücken. »Rund 300 000 Wale und Delfine verenden pro Jahr als so genannter Beifang in den Netzen von Fischern«, beschreibt die Meeresbiologin Petra Deimer, Mitglied des IWC-Wissenschaftsausschusses, eines der drängendsten Probleme. Meeresverschmutzung und zunehmender Unterwasserlärm machten den Tieren ebenfalls zu schaffen, so Deimer. Es sei längst überfällig, dass sich die IWC auch mit diesen Problemen beschäftige.
Fingerspitzengefühl ist allerdings nötig, um auch die am Walfang interessierten Nationen in die Pläne einzubinden. Sie weiter zu brüskieren, so fürchten manche Wal-diplomaten, könnte das Ende der IWC bedeuten - und damit den Verlust auch der letzten Kontrollinstanz im Walfang.
Den gemeinsamen Nenner in den Verhandlungen zu finden scheint in diesem Jahr jedoch schwieriger denn je. Im Fall Islands jedenfalls stehen die Zeichen auf Sturm. Aus Walfängern seien letztlich keine Walschützer zu machen, warnt etwa Asbjörn Björgvinsson: »Bis heute gilt Greenpeace bei vielen Isländern als Terroristengruppe.« Das Bekenntnis zum Walfang sei für viele eine Frage der »nationalen Ehre«.
Nur mit Geld, so glaubt Björgvinsson, seien die Nordmänner zu ködern. Deshalb setzt er auf Whale-Watching. 14 Millionen US-Dollar Umsatz werde mit dem isländischen Waltourismus inzwischen jährlich erzielt, sagt der ehemalige Elektriker, der sein Herz auf Whale-Watching-Tour an die Tiere verlor. Gleich 14 Walarten ließen sich etwa im Ozean vor Húsavik beobachten - inklusive der über 30 Meter langen Blauwale.
Und dann wird der Isländer doch noch sentimental. »Die Tiere sind einfach majestätisch«, schwärmt Björgvinsson. Ihre schiere Größe und Anmut rührten das Herz: »Ich habe Leute weinen sehen, als sie ihrem ersten Wal begegneten.« PHILIP BETHGE
* Im Hafen von Reykjavik; seit 1989 sind die Schiffe nicht mehrauf Walfang gewesen, jedoch einsatzbereit.