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AUTOMOBILE Warten auf Wunder

Optimismus ist unangebracht: Für den Abgas-Katalysator ist eine billigere Ersatz-Technologie auf lange Jahre nicht in Sicht. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Sie können sich darauf verlassen«, versicherte der Kölner Ford-Vorstandsvorsitzende Daniel Goeudevert, »der Katalysator kommt nie.« Das war vor anderthalb Jahren.

Nun, da die teure Abgas-Apparatur dennoch über die deutschen Automobilisten gekommen ist, sie über alle Maßen verwirrt und beunruhigt, sagen andere Automanager schon wieder ihr baldiges Verschwinden voraus - etwa binnen fünf Jahren.

Er verlange »bessere Lösungen«, ließ sich Audi-Technikvorstand und Porsche-Enkel Ferdinand Piech vernehmen, aber sie seien wohl »nicht vor Ablauf des Jahrzehnts serienreif«. Doch danach sieht es ganz und gar nicht aus.

»Es gibt einstweilen keine andere Technologie als den Abgas-Katalysator, mit der sich die auch bei uns geforderten US-Grenzwerte einhalten ließen«, erläuterte letzte Woche Mercedes-Benz-Motorenkonstrukteur Kurt Obländer. Was in fünf Jahren gebaut werden solle, müsse schon heute in allen Einzelheiten festliegen - »es sei denn, man verläßt sich zusätzlich auf das Prinzip Hoffnung«.

»Wir richten uns auf wenigstens zehn Jahre mit dem Katalysator ein«, erklärte auch Porsches Technik-Vorstand Helmuth Bott. VW-Entwicklungschef Ernst Fiala, der jüngst einen Klein-Katalysator, kaum dicker als eine Havanna-Zigarre, für die Nachrüstung der kleineren VW-Typen vorstellte: »Mit dem Ding werden wir noch lange leben müssen.«

Da hilft gar nichts, weder ein wundersames Kraftstoffzusatz-Gebräu wie das neue Shell-Additiv, das nach Ansicht einiger enthemmter Interpreten der Abgas-Qualität spürbar aufhelfe (Obländer: »Kokolores"), noch ein besonders heißer Zündfunken, etwa aus der von hitzigen Lobbyisten propagierten »Baur Plasma-Zündung«. Mercedes-Entwicklungschef Rudolf Hörnig: »Es gibt eben immer noch Leute, die glauben an Wunder in der Technik.«

An Wunder wohl nicht, aber an völlig neue, kühne Lösungen haben nahezu alle Motoren-Ingenieure geglaubt, als vor rund 20 Jahren auf dem US-Automarkt die Abgasgesetze mit ihren immer schärfer gefaßten Abstufungen konzipiert wurden. Da fand sich kaum ein Entwicklungschef, der nicht wild entschlossen war, die unelegante, aufwendige und teure Methode der katalytischen Abgasreinigung zu vermeiden.

Den Technikern ging es, unter Aufwand unzähliger Millionen, um die Entwicklung

revolutionärer Antriebe, bei denen Schadstoffe in nennenswerter Menge gar nicht erst entstehen würden. Auf den Reißbrettern der Autofirmen wurden konzipiert: Motoren mit kontinuierlicher äußerer Verbrennung ("Stirling-Motor"), Dampfmotoren, gleichsam als Rückgriff auf die Schlachtrösser der Auto-Frühzeit, ferner Elektro-Hybrid-Motoren und Gasturbinen-Antriebe.

»Alle waren viel teurer als das, was wir hatten, verbrauchten mehr, und waren im Abgas kaum geringer - und die Millionen waren futsch«, sagte Wolfgang Lincke, Chef der Personenwagen-Entwicklung bei VW. Fast überall, eigentlich nur mit Ausnahme der besonders finanzstarken Daimler-Benz AG und ihrer wohl besonders hartnäckigen Ingenieure, wurden die Entwicklungen aufgegeben.

Notgedrungen wendeten sich die Techniker mit aller Energie der Weiterentwicklung des Katalysators zu, einem Kompendium aus Stahl, Keramik und edelmetallbeschichteten Waben, das Schadstoffe großenteils in harmlose Bestandteile umwandelt. Dabei hat sich die Sportwagenfirma Porsche besonders hervorgetan.

»Wir wollen Vorbild sein - wenig Verbrauch, wenig Abgas«, sprach Chef-Techniker Bott, dessen Autos im Durchschnitt so lange Lieferzeiten haben wie eine Leihmutter (neun Monate). »Von allem nahmen wir nur das Beste«, erläuterte Paul Hensler, Leiter der Motorenentwicklung bei Porsche.

Die Zuffenhausener lassen die Abgase durch isolierte Auspuffleitungen sausen (damit der Katalysator auch beim Kaltstart schon frühzeitig wirkt), trugen mehr Edelmetall (2,7 Gramm Platin, 0,54 Gramm Rhodium) auf als üblich, und wählten, für höheren Luftdurchsatz und damit wirksamere Entgiftung, einen gegenüber der Norm um 25 Prozent erweiterten Durchmesser. Das Ganze betteten sie aufwendig in haarfeines Drahtgeflecht, damit - so Hensler - »der spröde Keramikkörper beim Gehuckel nicht zerbröselt«.

Mit diesem Aufwand haben die Porsche-Ingenieure ein ehrgeiziges Entwicklungsziel erreicht, das als erster der neue Porsche 944 turbo (220 PS, 245 km/h) schon zu bieten hat: Katalysator-Porsches sollen, entgegen der Norm, genauso schnell sein wie das jeweilige - für alle Märkte ohne bleifreies Benzin benötigte - Modell ohne Katalysator. Bott: »Der Käufer soll keinen Leistungsverlust hinnehmen.«

Porsche hat es auch übernommen, die Leistungsgrenze eines rasenden Katalysators zu ermitteln; bis zu 6000 Kilometer fuhren die Testfahrer, bei sogenannten Vollastversuchen, im 250-km/h-Dauertempo. Bott: »Was er vertragen kann, hat noch keiner ausgelotet.«

Beim Versuch, die Abgasgrenzwerte eines Motors ohne Katalysator den US-Normen anzunähern, experimentieren die Techniker vorwiegend mit »Magermotoren«, bei denen über einen möglichst breiten Betriebsbereich ein extrem kraftstoffarmes ("mageres") Gemisch verfeuert wird. Ob der Weg zum Erfolg führt, bleibt einstweilen unklar, die Gurus des Motorwesens sind sich noch nicht einig.

»Es gibt kein Magerkonzept«, so Mercedes-Obländer, »das alle drei Schadstoffe - Kohlenwasserstoff, Kohlenmonoxid und Stickoxide - so absenkt wie der geregelte Katalysator.« Andere halten bestimmte Magersysteme für praktikabel, wenngleich zu einstweilen noch unvertretbaren Kosten. Der Magermotor kann seine Vorzüge offenbar nur mit einer sehr aufwendigen elektronischen Regelung entfalten und wird überdies kaum ohne einen (allerdings ungeregelten, einfachen) Katalysator auskommen. Lediglich Winzlinge der 500-Kilo-Klasse wie der Fiat Bambino, weit davon entfernt, vollwertige Autos zu sein, könnten per Magerkonzept die US-Grenzwerte womöglich ohne Katalysator bewältigen.

Für die Besitzer schwererer Normalautos hingegen besteht keine Hoffnung, in absehbarer Zeit dem Katalysator zu entrinnen. Dennoch: An Flüsterparolen ist kein Mangel. Unter Bankern und Partygästen kursiert seit kurzem die Wispernachricht, die Mercedes-Benz-Ingenieure stünden bei der Entwicklung des Wasserstoffautos unmittelbar vor einem entscheidenden Durchbruch.

Wahr ist: Die Stuttgarter testen seit einigen Monaten Autos mit Wasserstoffantrieb im Alltagsverkehr West-Berlins. Crux dieses Antriebes ist noch immer der schwere Speichertank mit Wasserstoff, dessen Herstellung viel zuviel Elektrizität verschlingt.

Marktreife? Mercedes-Motorenkonstrukteur Obländer: »Nicht mehr in diesem Jahrhundert.«

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