Christian Stöcker

Virusmutation Warum es gegen Omikron keine einfachen Mittel gibt

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Die Omikron-Variante hebt die Geschwindigkeit der Coronapandemie auf eine neue Stufe. Auch taktisch und kommunikativ ist die nächste Welle ein Riesenproblem.
Omikron-Virusvariante: Blinde, unersättliche Miniaturmonster

Omikron-Virusvariante: Blinde, unersättliche Miniaturmonster

Foto: nopparit / Getty Images/iStockphoto

Man gerät, nach bald zwei Jahren Pandemie, leicht in Versuchung, das Geschehen mit Begriffen menschlicher Moral oder gar Fairness zu beschreiben. Ist es nicht unglaublich gemein, dass ausgerechnet jetzt, wo es Impfstoffe gibt und die allermeisten Menschen bereit sind, sich an der Bekämpfung des Virus zu beteiligen, diese neue Variante auftaucht? Die offenbar auch noch eine »Turboseuche«  ist, eine Virusversion, die sich so schnell ausbreitet wie keine zuvor?

Aber Viren sind eben keine Menschen. Sie sind keine Kriegsgegner und keine politischen Feinde. Sondern gewissermaßen Aliens, blinde, rücksichtslose, unersättliche Miniaturmonster, die in ihrem unstillbaren Bedürfnis nach Vermehrung oftmals ihre eigenen Wirte töten. Und die, dank ihrer immensen Reproduktionsfähigkeit, auch ständig neue Gelegenheiten bekommen zu mutieren. Und sich so noch besser an die Verteidigungsstrategien ihrer Wirtstiere anzupassen. Das erleben wir gerade erneut.

Die Natur ist immer rücksichtslos

Die Natur ist immer rücksichtslos, im Moment wird das nur mal wieder besonders sichtbar.

Weil das emotional so schwer zu akzeptieren ist, verlagert sich die Aggression, die dieses Überrolltwerden auslöst. In der Regel auf andere Menschen. Manchmal mit mehr Berechtigung, manchmal mit weniger. Und manchmal im Einklang mit den Fakten, manchmal im Widerspruch zu ihnen. Ein aktuelles Beispiel für diese irrationale Aggressionsverlagerung hat gerade Wolfgang Kubicki (FDP) geliefert. Er unterstellt Leuten, die eine Impfpflicht befürworten, »Rache und Vergeltung« als Motive.

Das ist schon irre, angesichts der Tatsache, dass man mit einer Impfung ja Menschenleben schützt, während man mit Impfverweigerung Menschenleben – nicht zuletzt sein eigenes – gefährdet. Wie gesagt: Manchen scheinen die Fakten in dieser quälenden Lage aus dem Blick zu geraten.

Wie lange funktioniert eine Gesellschaft?

Die Fakten sind: Covid-19 ist eine gefährliche Krankheit, die viele Menschen tötet und anderen schlimme Langzeitfolgen beschert. Sie lässt sich mithilfe von Impfungen eindämmen und abschwächen. Sie breitet sich extrem schnell aus, wenn man sie nicht daran hindert.

So schnell, dass auch die Gesundheitssysteme der reichsten Länder der Erde irgendwann überfordert sind. Und, das kommt jetzt schlimmstenfalls dazu: irgendwann auch andere Systeme, die Gesellschaften zum Funktionieren brauchen.

Wir wissen mittlerweile sehr genau, was wir tun müssen, um diese Krankheit in Schach zu halten. Das weiterhin wichtigste Werkzeug dabei sind Impfungen, denn die können, so war es zumindest bislang, die Ansteckungswahrscheinlichkeit senken. Und, dabei wird es hoffentlich bleiben, das Risiko, schwer zu erkranken, minimieren oder wenigstens reduzieren.

Das wird nicht reichen

Omikron aber scheint, so steht es zum Beispiel in einer aktuellen Studie aus Großbritannien , eine sogenannte Fluchtmutante. Das veränderte Virus kann offenbar mit weit höherer Wahrscheinlichkeit auch Menschen befallen, die schon eine Coronainfektion hinter sich haben – und auch Geimpfte.

Diese neue britische Studie schätzt das Risiko einer Wiederansteckung mit Omikron als 5,4-mal höher ein als bei der Deltavariante. Auch zweifach Geimpfte und sogar Geboosterte kann Omikron offenbar infizieren, auch symptomatisch. Geboostert zu sein stellt immer noch einen guten, aber bei Weitem keinen perfekten Schutz dar.

Unfassbar schnell

Vor allem aber ist Omikron unfassbar schnell, sowohl in einigen Organregionen als auch innerhalb einer Population. In Großbritannien wird die Verdoppelungszeit des Omikron-Anteils unter den Coronafällen derzeit auf zwei Tage geschätzt. Wer sich einmal mit exponentiellem Wachstum beschäftigt hat, weiß, was das bedeutet: eine unfassbare Beschleunigung.

Nur als Rechenbeispiel: Wenn es in einer Population heute 1000 Omikron-Fälle gibt und sich die Fallzahl ungebremst alle zwei Tage verdoppelt, dann landet man in zwei Wochen bei 128.000 Fällen. Weitere vier Tage später wäre man dann bei über einer halben Million.

In Großbritannien lag die Zahl der neu diagnostizierten Coronafälle am 3. Dezember bei gut 50.000, zwei Wochen später waren es über 93.000. Die Jahreskurve der Fälle ist dort jetzt so steil, dass sie fast senkrecht aussieht. Dass diese Kurve hierzulande noch leicht nach unten zeigt, ist, das kann man leider mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, ein vorübergehendes Phänomen.

Und ob Omikron tatsächlich im Schnitt mildere Verläufe verursacht, ist im Moment unklar. Klar ist: Wer ungeimpft ist, ist weiterhin in großer Gefahr. Auf Impfverweigerer-Hotspots wie Sachsen oder Thüringen kommen sehr harte Wochen zu.

Unfassbar schnell vermehrt sich Omikron offenbar auch in den menschlichen Bronchien. Einer Studie aus Hongkong  zufolge etwa 70-mal so schnell wie die Delta-Variante. Das könnte auch erklären, warum die neue Variante so extrem ansteckend zu sein scheint: Neuinfizierte haben vermutlich innerhalb sehr kurzer Zeit sehr viele Viren zum Verteilen in den oberen Atemwegen. Dafür vermehrt Omikron sich tiefer in der Lunge wohl langsamer.

»Tun Sie alles. Tun Sie es konsequent«

Die zuständigen Institutionen schlagen längst Alarm – so laut, wie das in ihrer Position eben geht. Die Direktorin der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC erklärte , es müssten »dringend starke Maßnahmen ergriffen werden«.

Und der Direktor der WHO sagte  diese Woche: »Selbst, wenn Omikron weniger schwere Erkrankungen verursachen sollte, könnte die schiere Menge der Fälle unvorbereitete Gesundheitssysteme überwältigen.«

Er benannte auch das scheinbar Paradoxe an der neuen Lage: »Impfungen allein werden kein Land aus dieser Krise bringen.«

Es könne nicht um »Impfungen statt Masken«, »Impfungen statt Abstandsregeln«, »Impfungen statt Lüften oder Händewaschen« gehen: »Tun Sie alles. Tun Sie es konsequent. Machen Sie es richtig.«

Die Pandemie ist nicht vorbei, im Gegenteil. Dem Virus ist es völlig egal, ob wir das »unfair« finden.

Kommunikatives Riesenproblem

Für die Corona-Kommunikatoren in Politik und Wissenschaft macht die neue Lage alles noch schwieriger. In Deutschland sind noch immer elf Millionen Erwachsene ungeimpft , und selbst, wenn die jetzt ihre Entscheidung endlich überdenken sollten, hätten viele von ihnen noch keinen vollständigen Impfschutz, wenn die Omikron-Welle über das Land hereinbricht.

»Da kommt keine Welle, sondern eine Wand«, so fasste es Christian Endt von der ZEIT diese Woche in einem vielbeachteten Twitter-Thread  zusammen. Christian Drosten schloss sich dieser Einschätzung ausdrücklich an .

Ab wann wird es gesellschaftlich eng?

Leute, die sich mit der Materie auskennen, sind sich mittlerweile einig: Eine Omikron-Welle könnte auch westliche Industrienationen so schnell überrollen, so viele Menschen gleichzeitig krank machen, dass sie wichtige gesellschaftliche Systeme an ihre Grenzen bringt. Nicht nur, wenn zu viele Menschen Intensivbetten brauchen, wenn zu viele Ärztinnen und Pfleger erkranken oder in Quarantäne müssen, wird das dramatische Folgen haben. Ab einem bestimmten Krankenstand kommen auch Nahverkehr, Polizei oder andere Systeme in Schwierigkeiten.

Ab einem bestimmten Punkt kann eine Pandemie noch immer auch zu einem Problem für die öffentliche Sicherheit werden, auch bei uns. Auch wenn Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Woche laut vor der Omikron-Welle warnte – man hat im Moment nicht den Eindruck, dass die deutsche Öffentlichkeit wirklich auf das vorbereitet ist, was kommt.

Es ist deshalb weiterhin eine zentrale Aufgabe von Politik, Gesellschaft und Gesundheitssystem, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen möglichst umfassend geimpft sind, am besten dreimal.

Gleichzeitig trifft uns jetzt das, was man das Omikron-Paradoxon nennen könnte: Auch gegen die neue Variante hilft nur impfen – aber impfen allein wird nicht reichen.

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