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KOSMOLOGIE Welt aus Blasen

Amerikanische Forscher haben ein dreidimensionales Modell des Universums entworfen - es zeigt: Der Kosmos besteht aus gigantischen Hohlkugeln. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Vom Raumschiff Erde aus betrachtet, gleicht das nächtliche Firmament einer reich, doch regellos illuminierten Kuppel. Wie willkürlich hingestreut wirken die Himmelslichter, die nur hier und da prägnante Zufallsmuster zu bilden scheinen.

Daß am Himmel dennoch Ordnung herrscht, war schon vor mehr als 4000 Jahren Ägyptens Sternkundigen klar, die den Lauf vieler Gestirne exakt berechnet hatten. Seither ist das Universum bis in die fernsten Randbezirke durchforscht und vermessen worden - rund 20 Milliarden Lichtjahre beträgt, nach jüngsten Berechnungen, seine Ausdehnung.

Bislang allerdings war das räumliche Bild vom Aufbau des kosmischen Riesenreichs höchst lückenhaft geblieben: Ein realistisches, dreidimensionales Modell der Sternsysteme existierte nur vom planetarischen Umfeld der Erde, sonst allenfalls noch von ein paar ausgewählten galaktischen Sternkolonien.

Nun hat ein amerikanisches Forscher-Team vom Harvard-Smithsonian Center für Astrophysik in Cambridge, Massachusetts, erstmals einen größeren zusammenhängenden Himmelssektor vermessen und den Stand der Gestirne in einem weitläufigen 3-D-Modell dargestellt; das Ergebnis der Herkulesarbeit, die rund zehn Jahre in Anspruch genommen hat, könnte eine wissenschaftliche Revolution auslösen.

Denn was die Himmelskartographen aus Cambridge der Fachwelt jetzt präsentieren, widerspricht allen früheren Vorstellungen von der Struktur des Kosmos: Die meisten Gestirne, Galaxien und Spiralnebel schwimmen, so das neue Modell, gleichsam auf der Oberfläche gigantischer, materiefreier und damit unsichtbarer Kugeln; das gesamte Universum besteht danach aus einer unendlichen Zahl solcher Hohlkugeln, die, dicht gepackt, aneinanderstoßen wie die Seifenblasen in einem Schaumbad.

Wo die kosmischen Blasen einander berühren, finden sich allenthalben besonders viele Gestirne, Milchstraßen oder langgezogene Sternfelder, die wie flimmernde Kontinente über gewaltigen Hohlräumen schweben; einige der Himmelsblasen besitzen, wie die Cambridge-Forscher errechnet haben, einen Durchmesser von mehr als 160 Millionen Lichtjahren.

Daß die Wissenschaftler nicht schon früher die Blasen-Struktur des Kosmos erkannten, hat gute Gründe. Noch immer bereitet es den Gelehrten Schwierigkeiten, den Abstand weit entfernter Himmelskörper exakt zu ermitteln. Erstmals 1838 war es dem Königsberger Astronomen Friedrich W. Bessel gelungen, die Entfernung eines entlegenen Fixsterns ("61 Cygni« im Sternbild Schwan) genau zu bestimmen, durch trigonometrische Berechnungen wie bei der Landvermessung.

Inzwischen bedienen sich die Sternkartographen sogenannter photometrischer Methoden; dabei wird der Abstand eines Gestirns von der Erde an den Verschiebungen im Spektrum seiner Lichtstrahlen abgelesen. Doch zuverlässig arbeitet das Verfahren erst seit 1979: Damals empfingen die Astronomen das grelle Licht einer explodierenden Supernova in der Galaxie »M 100« - der kosmische Blitz ermöglichte eine Parademessung, die den Himmelsgeometern seither als eine Art Eichstab dient.

Sollte das photometrisch erstellte Blasen-Modell des Cambridge-Teams der kosmischen Realität entsprechen, dann wären die Astrophysiker, wieder einmal, in einer Theorie-Krise. Nach ihrer seit längerem fast einstimmig bekundeten Auffassung war es allein die Schwerkraft, die einst nach dem Urknall, dem explosiven Start des Universums vor etwa 20 Milliarden Jahren, die auseinanderstiebende Materie allmählich zu immer dichteren Gaswolken und schließlich zu Sonnen, Planeten, Monden und Galaxien komprimierte.

Mit der Schwerkraftlehre allein aber läßt sich das Hohlraum-Modell wohl kaum erklären, ein Dilemma, das allerdings einigen Astrophysikern auch Auftrieb gibt. Als »sehr gute Nachricht für mich« begrüßte etwa der Astronom Jeremiah P. Ostriker von der amerikanischen Princeton-Universität die revolutionäre Kunde aus Cambridge - der Wissenschaftler war in der Lage, auf Anhieb ein theoretisches Konzept vorzulegen, das die Entstehung der himmlischen Hohlkugeln plausibel macht.

In der wüsten Frühzeit des Universums, so explizierte Ostriker, habe es im Weltall ein Gewimmel von riesigen Sonnen gegeben, die in kurzer Zelt ausgebrannt und dann, nach einem Schwerkraft-Kollaps, als Supernova explodiert seien. Wo solche Sterngiganten nahe beieinanderstanden, konnte es, laut Ostriker, zu gewaltigen Kettenreaktionen kommen, bei denen Sonnen serienweise explosionsartig verglühten.

Das kosmische Feuerwerk, meint der Princeton-Gelehrte, habe enorme »Schockwellen« ausgelöst, die zur Entstehung der mysteriösen Himmelsblasen geführt hätten: Rings um die Explosionsorte sei alle Materie gleichsam weggefegt worden und erst später, in großer Entfernung, auf einer kugelförmigen Fläche wieder zur Ruhe gekommen. Dort konnten sich dann, getreu dem Blasen-Modell der Cambridge-Forscher, aus dem verwehten Ur-Material neue Gestirne, kosmische Staubwolken oder auch Galaxien bilden.

Die Cambridge-Forscher unter Leitung des Astronomie-Professors John P. Huchra werden ihre mühsame Arbeit fortsetzen. Bislang umfaßt ihr kosmisches Struktur-Modell rund 1100 Milchstraßen; im nächsten Durchgang will das Team einen zehnmal größeren Himmelssektor vermessen.

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