Abwehr von Asteroiden So soll der Weltuntergang verhindert werden

Asteroid im Anflug auf die Erde (künstlerische Darstellung)
Foto: ESA Science Office / DPAUm es vorweg klar zu sagen: Nein, die Gefahr ist nicht real. Dieses Mal nicht. Das Pan-STARRS-Teleskop auf Hawaii hat die besorgniserregende Entdeckung nicht gemacht. Der Asteroid 2019 PDC, irgendetwas zwischen 100 und 300 Meter groß, rast nicht mit 14 Kilometer pro Sekunde auf die Erde zu. Und dass er am 29. April 2027 irgendwo auf unserem Planeten einschlägt, ist auch ausgeschlossen.
Astronomen haben sich diesen Himmelskörper nur ausgedacht. Er ist Hauptdarsteller eines Planspiels, das in dieser Woche in den Konferenzsälen eines Hotels auf dem Campus der University of Maryland in der Nähe der US-Hauptstadt Washington stattfindet.
Wäre 2019 PDC real, hätte Rüdiger Jehn auch keine Zeit zum Telefonieren. Der Mathematiker arbeitet als Head of Planetary Defence für die Europäische Weltraumorganisation (Esa) und ist schon seinem Titel nach für die Verteidigung der Erde zuständig. "Wir nehmen die Bedrohung sehr ernst", sagt er, wenn man ihn auf die Gefahren eines Einschlags anspricht. "Und ein Planspiel wie dieses hilft uns bei der Vorbereitung auf solche Ereignisse. Das ist wie bei einem Feueralarm, den muss man auch üben."
Den Einschlag eines Asteroiden, so etwas kennt man bisher aus Filmen. In "Armageddon" rettet ein von Bruce Willis gespielter Ölarbeiter die Welt, indem er eine Atombombe im Inneren eines heranfliegenden Himmelskörpers zündet. In der Realität sind dagegen keine kosmischen Objekte bekannt, die sich in absehbarer Zeit auf Kollisionskurs mit der Erde befinden. Aber das kann sich im Prinzip jederzeit ändern.

Bruce Willis als Ölbohrexperte Harry S. Stamper im Film "Armageddon" (1998)
Foto: DPA/ Buena VistaLeute wie Jehn sind also keine wagemutigen Ad-hoc-Weltretter, die sich am Ende notfalls sogar selbst opfern. Sie sind nüchterne Planer für einen Tag, der früher oder später kommen wird. Immerhin werden jeden Monat etwa 150 neue Asteroiden in der Nähe unseres Planeten entdeckt, insgesamt liegt die Zahl dieser sogenannten Near Earth Objects, kurz NEOs, bei etwa 20.000. Vor allem die kleineren unter ihnen sind es, die Experten Sorgen bereiten.
Denn diese Brocken sind längst nicht alle bekannt, können aber schwere Schäden verursachen. Und sie könnten uns fast ohne Vorwarnzeit treffen - klein und dunkel sind sie vor der Schwärze des Alls mit der bisherigen Beobachtungstechnik oft nur schwer zu entdecken.
Der Asteroid, der im Februar 2013 am Himmel über der russischen Stadt Tscheljabinsk zerbarst, hatte einen geschätzten Durchmesser von gerade einmal 20 Metern. Vor allem durch splitterndes Fensterglas verletzte dieses kleine Exemplar aber mehr als 1000 Menschen. Ein Asteroid von der Größe des imaginären 2019 PDC würde weit schwerere Schäden anrichten.
Er würde zwar kein Massensterben auf der Erde auslösen wie der Himmelskörper, der vor 66 Millionen Jahren im Golf von Mexiko einschlug und das Ende der Dinosaurier besiegelte. Aber einen Hunderte Meter tiefen Krater würde er dennoch schlagen. Und einen kilometergroßen Feuerball entfachen. 2019 PDC hätte das Potenzial, eine gesamte Metropolregion in Schutt und Asche zu legen.

Einschlagkrater im US-Bundesstaat Arizona, der Meteorit hatte eine Größe von 45 Metern
Foto: Alexander Gerst / Esa / Nasa / dpaDeswegen gibt es alle zwei Jahre Planspiele zur Asteroidenabwehr. Neben den Weltraumexperten von Nasa und Esa sind außerdem auch Kollegen aus Japan oder China mit dabei. Auf US-Seite sitzt die Katastrophenschutzbehörde Fema mit am Tisch.
Jeden Tag wird das Szenario verzwickter
Das Szenario hat sich Paul Chodas vom Center for Near Earth Object Studies der Nasa ausgedacht. Jeden Tag in dieser Woche ist die Simulation etwas verzwickter geworden. Die Einschlaggefahr des imaginären Himmelskörpers ist von zunächst nur einem Prozent immer weiter angestiegen.
Am Anfang der Simulation mussten sich die Mitglieder zweier Arbeitsgruppen, des International Asteroid Warning Network und der Space Mission Planning and Advisory Group, zunächst mit einfach erscheinenden Aufgaben befassen: Mit welchen Worten wird die Welt über die drohende Gefahr informiert? Wer schickt die Nachricht an die Vereinten Nationen? Und welche E-Mail-Adresse nutzt man dafür? Später wurden die Schwierigkeiten handfester: Ließe sich der riesige Felsbrocken ablenken, um einen drohenden Einschlag zu verhindern? Und wenn ja, wie ginge das genau?
"Solche Trockenübungen sind notwendig, sie reichen aber nicht aus", hatte Rusty Schweickart, Astronaut im "Apollo"-Programm der Nasa vor drei Jahren im SPIEGEL-Interview erklärt. "Wir müssen nicht nur Leute trainieren, wir müssen auch Abwehrtechniken entwickeln und testen."
Im Video: Ex-Apollo-Astronaut über die Asteroidengefahr (2016)
Als Mittel der Wahl gilt bei Experten, den Asteroiden mit dem gezielten Aufprall eines Flugkörpers aus der Bahn zu werfen. Man muss sich das vorstellen wie zwei Billardkugeln, die aufeinanderprallen. Nur dass in diesem Fall eine der Kugeln, der Asteroid, größer wäre - und die andere, die anfliegende Sonde von der Erde, kleiner. "Momentan wäre solch ein kinetic impactor die einzige Lösung", sagt Jehn. "Und das würde wohl eine amerikanische Mission werden, wir haben in Europa für so etwas keine Kapazitäten."
Auch deswegen tragen die Verantwortlichen der Esa ihre Teilnahme an dem Planspiel gezielt an die Öffentlichkeit. Es gibt einen Blog , auch auf Twitter werden regelmäßig Updates gepostet. Die Asteroidenabwehr ist kein rein theoretisches Thema, es geht auch um Projekte, die praktisch umgesetzt werden sollen.
Im November dieses Jahres treffen sich die Mitgliedstaaten der beteiligten Organisationen in Spanien. Sie müssen entscheiden, welche Programme in den kommenden Jahren wie viel Geld bekommen. Und die Verantwortlichen für die Asteroidenabwehr wollen vor dieser entscheidenden Konferenz zeigen, wie wichtig ihre Arbeit ist. Sogar Werbefilmchen fürs Netz haben sie produzieren lassen.
Beim jüngsten großen Esa-Ministerratstreffen im Dezember 2016 hatten die Esa-Staaten aus Geldmangel eine geplante Asteroiden-Mission namens "AIM" beerdigt. Sie sollte zusammen mit einer amerikanischen Sonde zu einem Doppel-Himmelskörper namens Didymos fliegen. Dort sollte der kleinere der beiden Teile, der 160 Meter messende Didymoon, gezielt abgelenkt werden. Genau genommen wollten die Amerikaner sich um den nötigen Einschlag kümmern, die Europäer sollten zusehen.
Deutsche Firma will Sonde bauen
Die Amerikaner wollen ihre Mission "Dart" trotzdem 2021 starten, kürzlich haben sie bei SpaceX die dafür nötige Rakete gekauft. Und die Europäer? Sie haben Planungen für eine Nachfolgemission namens "Hera" gestartet. Diese würde den Einschlagkrater von "Dart" zwar nur mit mehreren Jahren Verzögerung vermessen können. Aber weil mit dem Bremer Raumfahrtkonzern OHB dieses Mal ein deutsches Unternehmen den Auftrag für den Bau der Sonde ergattern möchte, hofft mancher bei der Esa auf mehr politische Unterstützung, vor allem von der Bundesregierung in Berlin.
Auf dem Wunschzettel für die Ministerratskonferenz hat man außerdem noch ein Teleskop namens Flyeye. Ein erstes Exemplar für die gezielte Beobachtung von Asteroiden entsteht gerade im Süden Italiens, zur Abdeckung des Südhimmels bräuchte man aber ein weiteres Exemplar in Chile. Und langfristig möchte Rüdiger Jehn zu den Fähigkeiten der Amerikaner aufschließen: "Ich hätte gern, dass wir auch in Europa die Möglichkeit hätten, einen kinetic impactor loszuschicken." Ein Gerät von der Größe der Kometensonde "Rosetta", die betankt etwa drei Tonnen gewogen habe, sei völlig ausreichend.
Es sei schließlich sinnvoll, mehr als eine Abfangmission zu einem gefährlichen Asteroiden zu schicken, sagt Jehn. Wenn der erste Versuch der Ablenkung fehlschlüge, hätte man sozusagen einen Schuss frei. Aber wäre es denn überhaupt möglich, innerhalb von acht Jahren - wie im Planspiel - eine Mission zu planen und auf den Weg zu bringen? Schließlich brauchen Weltraumprojekte oft eine viel längere Vorbereitungszeit. Jehn gibt sich optimistisch: "Wenn Druck und Geld da sind, geht es auch in der Raumfahrt etwas schneller."