
Historische Mission: Der finale Start eines Space Shuttles
Abschied von "Atlantis" Weltraum-Veteran startet seine letzte Mission
Im allerletzten Moment halten sie doch noch den Atem an. Und zwar buchstäblich: Das Nasa-Kontrollzentrum stoppt den Countdown des Space Shuttle "Atlantis" 31 Sekunden vor dem Start - für zweieinhalb endlose Minuten.
Aber nicht das Wetter ist schuld, sondern schlichtweg Sorgfalt: Die Techniker wollen sich vergewissern, dass einer der Gerüstarme auch wirklich vom Orbiter abgelegt hat. Erst dann geben sie grünes Licht. Um 11.29 Uhr Ortszeit ist es schließlich soweit.
Die Raketen tosen los, mit ohrenbetäubendem Donnern. Pro Sekunde verbrennen sie Abertausende Liter Treibstoff und feuern das Gas in die Wassergräben unter Abschussrampe 39A, um somit eine Schubkraft von sieben Millionen Pfund zu erzeugen. Langsam hievt sich die "Atlantis" empor, getragen von einer gigantischen Säule aus Dampf und Qualm.
Erst steil und behäbig, dann immer flacher und schneller steigt die Raumfähre gen Himmel und verschwindet schließlich durch eine von den Wetterfröschen perfekt einkalkulierte Lücke in der Wolkendecke. "Ein makelloser Start", freut sich Nasa-Sprecher George Diller, der die Shuttle-Starts seit einem Vierteljahrhundert kommentiert und den Countdown abzählt. "Ein fantastisches Spektakel", jubiliert auch Bob Cabana, der Chef des Kennedy Space Centers (KSC) und selbst ein altgedienter Shuttle-Pilot.
Mit 27.000 Stundenkilometer in die Umlaufbahn
Jenseits des Banana Creeks, am Ufer eines Bayous, stehen Hunderte Fotografen und Nasa-Mitarbeiter auf der feuchten Wiese und verrenken sich die Hälse. Die meisten bejubeln den Start, andere liegen sich weinend in den Armen. Es ist der letzte Start eines US-Space-Shuttle, für die Fans der bemannten Raumfahrt geht eine Ära zu Ende. Auch Shuttle-Startmanager Mike Moses gibt zu, diesmal "einen Kloß im Hals" zu haben.
Bald ist nur noch die Rauchsäule zu sehen. Irgendwo hinter den Wolken stößt die "Atlantis" jetzt ihre Raketen ab, dann den gigantischen Treibstofftank. Nach achteinhalb Minuten wird sie mit einer Geschwindigkeit von 27.000 Stundenkilometern die Erdumlaufbahn erreichen und die Unwetter, die weiter über Florida treiben, hinter und unter sich lassen.
Beinahe wäre die Mission am Wetter gescheitert, sie stand bis zuletzt auf der Kippe. "Wir warfen eine Münze", scherzt Mike Moses.
Tatsächlich zogen am Donnerstag schwere Gewitterstürme über Cape Canaveral, mit Regenfällen, die das Gelände unpassierbar machten und das Pressezentrum in einen Mückensumpf verwandelten. Mittags schlug sogar ein Blitz an der Rampe ein. "Heute schon euren Regentanz vollführt?", juxt Nasa-Manager Aly Mendoza.
Exakte Wetter-Prämissen müssen aber erfüllt sein, um einen Shuttle-Start zu erlauben. Vor allem darf es im Startgebiet und bei der avisierten Landung keinen Niederschlag geben. So hat jeder Start nur ein enges Zeitfenster - in diesem Fall von 11.26 bis 11.30 Uhr. "Atlantis" schafft es gerade noch - 58 Sekunden später wäre es zu spät gewesen. Die Nasa-Meteorologen räumen dabei ein, die Regeln diesmal etwas "gedehnt" zu haben.
Auch sonst geht nicht alles glatt. Erst streikt eine Brennstoffpumpe. Dann fällt nach dem Start plötzlich der Kabinendruck ab. "Es bleibt bis zur letzten Minute spannend", lacht Moses.
Jubelnde Fans begrüßen die Astronauten
Eine Verschiebung des Shuttle-Finales hätte nicht nur die Nasa und die 1535 Reporter aus dem Konzept gebracht, die nach Cape Canaveral gepilgert sind, sondern auch die fast eine Million Schaulustigen. Schon in der Nacht stauen sich die Autos auf allen Zufahrtstraßen, bis hin nach Orlando und Walt Disney World.
Unterdessen hat sich die Crew ganz nach Plan vorbereitet. Die vier Astronauten - Shuttle-Kommandeur Chris Ferguson, genannt "Fergie", 50, Pilot Doug Hurley, 44, sowie Missionsspezialisten Sandra Magnus, 46, und Rex Walheim, 48 - sind um 20 Uhr schlafen gegangen und um 4.30 Uhr aufgestanden. Um kurz nach sieben klettern sie in ihre Raumanzüge. Um exakt 7.36 Uhr verlassen sie das Crew-Gebäude, einen weißen, gesichtlosen Bürobau auf dem KSC.
Alle vier haben Weltraum-Erfahrung. Ferguson, Magnus und Walheim fliegen zum dritten Mal ins All, Hurley fliegt zum zweiten Mal. Magnus verbrachte außerdem viereinhalb Monate an Bord der Internationalen Raumstation (ISS).
Draußen werden sie in der frischen, sanften Morgenbrise von Fotografen, Nasa-Kollegen und Ex-Astronauten mit Jubel empfangen. Das Quartett winkt fast unbeholfen in die Kameras. "Ich weiß ganz genau, was jetzt in denen vorgeht", sagt Leland Melvin, ein schwarzer Hüne in einem blauen Overall. Melvin flog zweimal mit der "Atlantis", 2008 und 2009.
Viele haben sich blau-goldene Schleifen mit der Aufschrift "Go Atlantis!" an die Uniformen gesteckt. Nicht nur die Shuttle-Ära geht zu Ende, sondern auch die Lebensart dieser Leute. "Ein großartiger, schwerer Moment", murmelt Nasa-Ärztin Rebecca Blue mit feuchtem Blick.
Jede Mission kostet 775 Millionen Dollar
Auf jeden Fall ein historischer Moment. Seit dem ersten Shuttle-Start der "Columbia" am 12. April 1981 flog die Flotte 134 Einsätze, der Start der "Atlantis" an diesem Freitag ist Mission Nr. 135.
Zwei Flüge endeten in Tragödien: 1986 explodierte "Challenger" kurz nach dem Start, 2003 verglühte "Columbia" beim Wiedereintritt in die Atmosphäre, nur 16 Minuten vor der Landung. Beide Katastrophen enthüllten unter anderem auch Pannen und Misswirtschaft bei der Nasa und besiegelten das Ende des Programms, das zuletzt pro Mission rund 775 Millionen Dollar kostete.
Der "Atlantis"-Flug ist nur nachträglich noch angehängt worden, quasi als Ehrenrunde. Mangels eines Reserve-Shuttle zur Rettung sind nur vier statt sieben Astronauten an Bord.
Dabei hat die "Atlantis" eine stolze Geschichte: Seit ihrem Jungfernflug 1985 hat sie auf 32 Missionen 121 Millionen Meilen zurückgelegt, 294 Tage im All verbracht und die Erde 4648-mal umkreist. Sie hat die Sonden "Magellan" und "Galileo" ausgesetzt und auch siebenmal an der russischen Raumstation Mir angedockt.
Dagegen ist die letzte, zwölftägige Mission dieses Frachtkahns geradezu banal: "Atlantis" schafft Proviant, Material und Technik für Experimente zur ISS. Für eines davon sind auch 30 Mäuse dabei, an denen Knochenschwund gemessen und ein neuer Abwehrstoff getestet werden soll. "Es ist uns eine Ehre, mit der Nasa bei ihrer letzten Mission mitzumachen", sagt Chris Paszty, der Wissenschaftsdirektor des Pharmakonzerns Amgen, der den Antikörper erfunden hat.
"Ihr habt geholfen, dass unser Land im Weltraum-Zeitalter führt"
Ein fast schon antiquarischer Nasa-Bus fährt die Crew zur Startrampe, wo die "Atlantis" aufgebaut ist. Ganz oben winden sich die vier Astronauten, assistiert von Nasa-Helfern, ins Besatzungsmodul. Um 9.21 Uhr wird die Luke geschlossen, nachdem die Dichtungen noch einmal penibel abgewischt wurden - selbst das kleinste Härchen kann zu Druckverlust führen.
"Glückwunsch", würdigt Nasa-Operationschef Bill Gerstenmaier sein gesamtes Team später. "Ich kann euch gar nicht genug danken." Auch Präsident Barack Obama dankt dem Shuttle-Team: "Ihr habt geholfen, dass unser Land im Weltraum-Zeitalter führt, und ihr inspiriert uns weiter jeden Tag."
Doch die Raumfahrt-Begeisterung der restlichen Amerikaner hat sich längst abgekühlt seit der "Apollo"-Ära. "Der Space Shuttle ist heute so spannend wie der Delta-Shuttle", schrieb David Roth neulich im "New York Magazine", in Anspielung auf den stündlichen Pendlerflug von New York nach Washington. Was zu Zeiten des Kalten Krieges ein politisches Wettrennen zwischen den Erzfeinden USA und Sowjetunion war, gilt heute vielen nur noch als Geldverschwendung.
Dreißig Jahre lang symbolisierte der Shuttle Amerikas Herrschaft im All. Seine Auslagerung lässt eine klaffende Lücke im Raumprogramm, "The Gap", wie sie hier sagen: Was danach kommt, ist unklar. Das Weiße Haus hat der Nasa eine Atempause verordnet, derweil Frachttrips in den Weltraum privat outgesourct werden. Wollen Nasa-Astronauten künftig ins All, müssen sie bei den Russen mitfliegen.
Als die "Atlantis"-Manager nach dem Start vor die Kameras treten, begrüßen die Reporter sie mit großem Beifall. Die Nasa-Männer verspäten sich: Im KSC-Kontrollzentrum gibt es erst noch Gruppenfotos, Schulterklopfen, Händeschütteln - und Tränen. "Es war", beschreibt Launch-Direktor Mike Leinbach die Stimmung, "als wollte keiner aufhören."