
Mondgestein: Was von "Apollo" übrig blieb
50 Jahre "Apollo 11"-Landung Was die Mondsteine verraten
"Sie dürfen nur nicht genau beschreiben, wo der Safe steht". Das sei die Bedingung der Nasa für den Besuch gewesen, sagt Thorsten Kleine zur Begrüßung. Deshalb muss dieser Artikel in Bezug auf das Labor an der Universität Münster, in das der Geoforscher seinen Gast geführt hat, etwas vage bleiben.
Kleine geht vor einem Stahlschrank in die Hocke, gibt auf einem Tastenfeld eine Zahlenkombination ein, die außer ihm und seinen Mitarbeitern niemand kennen darf. Dann dreht er an einem Rad, die Tür schwingt auf.
Sie gibt den Blick auf eine Reihe Glasbehälter frei, die sich den Platz auf den Schrankböden mit Plastikkisten teilen, in denen die Forscher durchsichtige Kunststofftüten gesammelt haben. Das Plastik schließt Metallgefäßchen ein, die an einen Lippenstift oder eine Zündkerze erinnern. Wie die größeren Gläser enthalten sie jeweils wenige Gramm Gestein, das eine einmalige Geschichte hat: Es wurde vor rund 50 Jahren von amerikanischen "Apollo"-Astronauten an verschiedenen Stellen des Mondes eingesammelt.
Die Steinkrumen haben längst nicht nur historischen Wert, denn mit solchen Proben wird bis heute in ausgewählten Laboren rund um den Erdball Forschung betrieben. Hier in Münster beschäftigen sich die Forscher mit der Frage, wie alt der Mond eigentlich ist und wie die katastrophalen Ereignisse abgelaufen sind, die seine turbulente Frühzeit geprägt haben.

Houston: Hier liegt der Mond-Schatz der Nasa
Felsbrocken, Kieselsteine, feiner Staub, mit Rohren aus dem Boden geholte Gesteinskerne: Insgesamt 382 Kilogramm Mondmaterial haben die "Apollo"-Astronauten bei ihren sechs Landungen eingesammelt und zur Erde gebracht. Ein großer Teil davon wird bis heute in Houston aufbewahrt, im Gebäude 31N des Johnson Space Center der US-Weltraumbehörde Nasa. Und nur ein Teil des Materials ist bisher überhaupt von Wissenschaftlern bearbeitet worden.
Ursprünglich lag die Zahl der Einzelproben in der Lunar Sample Laboratory Facility der Nasa bei 2200. Über die Jahre sind diese für die wissenschaftlichen Analysen aber immer wieder geteilt worden. Deswegen umfasst der Katalog inzwischen 110.000 Einträge. Von Houston aus wird das Material an Forscher in der ganzen Welt geschickt, pro Jahr gehen etwa 400 der unbezahlbaren Stücke in die normale Paketpost.
So hat auch Kleine sein Material bekommen, insgesamt 76 Proben. Jede von ihnen musste der Wissenschaftler einzeln bei einem Kurator beantragen, mit einem Plan, welche aktuelle Forschungsfrage damit auf welche Weise beantwortet werden soll. "Man muss ehrlich sagen, was man benötigt", sagt Kleine. "Dann bekommt man eigentlich auch, was man braucht."
Die Münsteraner gehen nicht zimperlich mit den Mondproben um: Sie zerbröseln das Gestein für ihre Analysen, lösen es in Reinraumlabors in starker Säure auf, zerlegen es mit chemischen Verfahren in einzelne Elemente und untersuchen diese dann in Massenspektrographen. "Dann ist die Probe weg, das ist okay. Man muss es nur vorher in Houston sagen", so Kleine.

Mondgestein: Was von "Apollo" übrig blieb
Der Forscher nimmt eines der Gläschen aus dem Safe zur Hand, darin liegen mehrere helle Krumen. "Das Material stammt von einer der am besten datierten Mondproben überhaupt", erklärt Kleine. Gesammelt wurde das "Lunar Sample 60025 " im April 1972 von den Astronauten der Mission "Apollo 16" im Hochland des Mondes. Es handelt sich um das Mineral Anorthit - und es ist, das lässt sich mithilfe des radioaktiven Zerfalls des in ihm enthaltenen, kleinen Urananteils zeigen, genau 4,36 Milliarden Jahre alt.
Das Material soll Teil der ursprünglichen Mondkruste gewesen sein. Und bisher geht die Rechnung so: Der Erdtrabant ist so alt, wie das älteste von ihm bekannte Material, also so alt wie die Probe, die Kleine gerade in der Hand hält. Womöglich gibt es allerdings auch ältere Minerale - doch wissen kann man das nicht, weil sich die anderen Anorthit-Proben aus dem "Apollo"-Fundus nicht ohne Weiteres datieren lassen. Sie wurden über Milliarden Jahre auf dem Mond so starken Umwelteinflüssen ausgesetzt, dass die normalerweise angewandte Methode zur Altersbestimmung versagt.
Doch Kleine und seine Leute haben ein Verfahren erdacht, mit dem das Alter von anderem Krustenmaterial zumindest im Vergleich zum "Lunar Sample 60025" zu bestimmen wäre. Und das hätte einen handfesten Nutzen bei der Altersbestimmung des Erdtrabanten.
"Man weiß bisher nicht genau, wie alt der Mond ist", erklärt Kleine. Als sicher gilt: Vor etwa 4,4 Milliarden Jahren krachte ein Himmelskörper aus dem äußeren Bereich des Sonnensystems kommend, auf die noch junge Erde. Astronomen gehen davon aus, dass dieser Planetenvorläufer namens Theia etwa so groß war wie der Mars. Sein Einschlag schmolz die Erdkruste auf und schleuderte große Mengen Material ins All hinaus, aus dem dann der Mond entstand.
Auch der junge Mond war zunächst flüssig, bedeckt von einem sogenannten Magmaozean. Auf diesem Ozean bildete sich nach vergleichsweise kurzer Abkühlzeit eine Kruste aus festem Gestein. "Das ist wie beim Kochen die Haut auf dem Pudding", beschreibt Kleine. Unklar ist allerdings, wie schnell die Kruste genau entstand. Dauerte es nur ein paar Millionen Jahre, wie manche Astronomen glauben - oder doch 100 Millionen Jahre und mehr, wie es Kleine für wahrscheinlich hält?

Spuren der Mondmissionen: So sehen die "Apollo"-Landestellen aus
Wenn es ihm und seinen Mitarbeitern gelingt, mit der neuen Datierungsmethode Krustenmaterial in den "Apollo"-Proben zu finden, das deutlich älter ist als das "Lunar Sample 60025", wäre der Mond mal eben um bis zu 100 Millionen Jahre älter geworden. Hinweise, dass der Mond durchaus auch 4,5 Milliarden Jahre alt sein kann, gibt es bereits.
Die Arbeiten haben gerade begonnen. Bei den Analysen suchen Kleine und seine Leute nach winzigen Mengen des Elements Strontium, dessen verschiedene Varianten in den Proben vermessen werden.
An einem weiteren Projekt arbeitet Doktorandin Emily Worsham, die an einem hell ausgeleuchteten Arbeitsplatz des Münsteraner Labors sitzt. Es hat mit einer der Katastrophen zu tun, die den Mond nach seiner Entstehung ereilt haben sollen. Viele Forscher glauben, dass vor etwa 3,9 Milliarden Jahren eine große Zahl riesiger Asteroiden dort eingeschlagen ist. Diese sollen aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems gekommen sein.
Auch die Erde erlebte dieses große Bombardement wohl, allerdings haben natürliche Prozesse wie Erosion und Plattentektonik längst alle seine Spuren getilgt.
Winzige Metallkügelchen verraten Einschlag
3,9 Milliarden Jahre - genau so alt sind viele der "Apollo"-Proben vom Mond, vom Krustenmaterial aus dem Hochland einmal abgesehen. Das legt nahe, dass damals große Teile der Oberfläche bei Einschlägen aufgeschmolzen wurden. Und die Spuren des Bombardements, so hofft Worsham, lassen sich bis heute in dem vor ihr liegenden Gestein erkennen - in Form winziger Metallkügelchen. Diese sollen aus Material der eingeschlagenen Himmelskörper bestehen.
Auf der Suche nach ihnen zerdrückt die Forscherin mit einem Stößel das Mondgestein. Vor sich hat sie mehrere Papierunterlagen, auf denen nach und nach ein immer feineres Puder entsteht. Aus diesem kann Worsham mit Magneten den metallischen Anteil abtrennen. Unter einem Auflichtmikroskop sind die geheimnisvoll glänzenden Mini-Sphären dann gut zu erkennen. "Das ist eine so schöne Probe", freut sich Worsham. Auf ihrem Mobiltelefon hat sie bereits zahllose Bilder der Metallkugeln gespeichert.
Wenn sie einmal genug davon gesammelt hat, wird sie die Kügelchen in Säure auflösen, wird die entstandene Mischung verdampfen - und sich dann genau anschauen, in welchen Verhältnissen verschiedene Formen des Edelmetalls Ruthenium darin vorkommen. Und das wiederum könnte verraten, ob es tatsächlich ein Bombardement durch Körper vom Rand des Sonnensystems gab.
Eine alternative Erklärung wäre der Einschlag eines einzigen großen Körpers im Mare Imbrium des Mondes. Das ist der größte Fleck in der nördlichen Mitte des Erdtrabanten. Dieser Rums wäre dann so mächtig gewesen, dass sich seine geologischen Spuren in allen "Apollo"-Proben fänden. Die Ruthenium-Zusammensetzung wäre in diesem Fall vergleichbar mit Material auf der Erde. Sollten dagegen zahlreiche Himmelskörper aus dem äußeren Sonnensystem den Mond zerfurcht haben, müsste sich deren charakteristische Ruthenium-Signatur finden, die Forscher von bestimmten Meteoriten kennen, sogenannten kohligen Chondriten.
Nasa macht ungeöffnete Proben zugänglich
Mehr als die Hälfte des von den "Apollo"-Astronauten gesammelten Materials hat aber bis heute kein Forscher zur Analyse vor sich gehabt. Die Nasa hat diese Proben seit den Siebzigern mit Absicht unangetastet gelassen. Manche sind noch in der luftdichten Originalverpackung, in der sie vom Mond kamen, andere tiefgefroren und wieder andere in flüssigem Helium konserviert. So sollten spätere Forschergenerationen mit neueren Messverfahren und frischeren Ideen auch noch unberührtes Mondgestein übrighaben.
In diesem Jahr sollen nun einige dieser Proben der Missionen "Apollo 15" bis "Apollo 17" geöffnet werden. Neun Forscherteams in den USA sind von der Weltraumbehörde für ein Programm namens "Apollo Next Generation Sample Analysis" ausgesucht worden. Dass die neuen Untersuchungen genau zum 50. Jubiläum der Mondlandung starten, sei zwar ein Zufall, heißt es bei der Nasa, aber ein willkommener.
In Münster werden sie keine der bisher ungeöffneten Proben bekommen, doch Kleine hofft: "Vielleicht findet man ja da etwas, das man bis heute nicht kennt."
Zusammengefasst: Forscher arbeiten bis heute mit den Gesteinsproben, die im Rahmen der "Apollo"-Missionen vom Mond zur Erde gebracht wurden. An der Universität Münster wird dabei unter anderem die Frage untersucht, wie alt der Mond genau ist und welche Katastrophe sich dort vor 3,9 Milliarden Jahren ereignet hat. Die Nasa hat einen großen Teil der "Apollo"-Proben aber bis heute noch nicht geöffnet. Ein kleiner Teil davon soll in diesem Jahr neun Forscherteams in den USA zur Verfügung gestellt werden.