
Ariane-Nachfolger gesucht: Europas Raketenbasar
Raumfahrt Der Kuhhandel um Europas neue Rakete Ariane 6
Die Zukunft der europäischen Raumfahrt dauerte gerade einmal sechs Jahre. Dann war schon wieder alles anders. Vor sechs Jahren, im November 2008, beschlossen die Mitgliedstaaten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa, ihr alterndes Arbeitspferd, die mächtige Ariane-5-Rakete, einer Frischzellenkur zu unterziehen. Um künftigen Anforderungen gewachsen zu sein, sollte eine verbesserte Ariane 5 ME ("Midlife Evolution") entwickelt werden - flexibler, rentabler, noch leistungsfähiger.
Daraus wird nun nichts. Wenige Jahre vor ihrem Erstflug, der für 2017 angepeilt war, ist die Ariane 5 ME bereits wieder Geschichte. Sie wird nie fliegen. Während Brigitte Zypries, Raumfahrtkoordinatorin der Bundesregierung, entsprechende Gerüchte vergangene Woche weder bestätigen noch dementieren wollte, lässt der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Johann-Dietrich Wörner, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE daran keinen Zweifel. Als Rückschlag will Wörner das vorzeitige Ende dennoch nicht sehen. Im Gegenteil.
Das Lavieren hat gute Gründe: Raumfahrt in Europa ist nicht allein dazu da, Satelliten ins All und Sonden auf ferne Kometen zu bringen. Es geht vor allem um Industriepolitik, um Macht und Aufträge und darum, aus Verhandlungen mit den anderen europäischen Raumfahrtnationen nicht als Verlierer hervorzugehen - manchmal auch auf Kosten der technisch und wirtschaftlich sinnvollsten Lösung.
Trostpreis für die Franzosen
Deshalb auch der Schwenk bei der Ariane 5 ME. Noch vor zwei Jahren, bei einem Ministertreffen in Neapel, hatte die Esa auf Drängen Deutschlands beschlossen, bis 2014 mehr als 400 Millionen Euro in die Weiterentwicklung der Ariane 5 einschließlich einer neuartigen Oberstufe zu stecken. Die Franzosen, die zweiten großen Beitragszahler in Europas Raumfahrt, konnten sich mit ihrem Wunsch nach einer kleineren, komplett neuen Ariane 6 nicht durchsetzen. Statt mit flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff, wie die Ariane 5, sollte sie hauptsächlich von festen Treibstoffen angetrieben werden - ähnlich den französischen Atomraketen. Als Trostpreis wurde den Franzosen immerhin zugestanden, für 157 Millionen Euro ein Konzept für ihre Ariane 6 entwickeln zu dürfen.
Wörner spricht inzwischen von einem "Scheinkompromiss", auf den man sich damals eingelassen habe. Sicher ist: Deutschland stand mit seinem Beharren auf der Ariane 5 ME in Europa zuletzt isoliert da. Doch auch Frankreich konnte sich mit seiner kleinen Ariane 6 nicht durchsetzen. Stattdessen wollen die zuständigen Minister der 20 Esa-Staaten bei ihrem nächsten Treffen Anfang Dezember in Luxemburg eine ganz andere Variante beschließen. Sie soll aus einer umgebauten Hauptstufe der alten Ariane 5 bestehen, aus der geplanten und in Deutschland entwickelten Oberstufe der 5 ME und aus zwei oder vier Feststoffraketen, die von der kleinen europäischen Vega-Rakete geborgt werden.
Konkurrenz aus Asien und den USA
Ob sich damit die künftigen Herausforderungen meistern lassen oder durch das neue Konzept in erster Linie Esa-Staaten mit Industrieaufträgen bedacht werden sollten, muss sich erst noch zeigen. "Das Ergebnis ist auf jeden Fall gut für uns", meint Wörner. "Letztlich ist das eine optimierte Ariane 5, wir nennen sie nur Ariane 6." Das wiederum ist wichtig, um die Franzosen zufriedenzustellen und sie wie Sieger aussehen zu lassen. So sehen Kompromisse in Europas Raumfahrt aus.
Unklar ist, ob sich das Ganze auch rechnet: Sowohl der Zeitplan mit einem Erstflug im Jahr 2020 als auch der Stückpreis von 90 Millionen Euro sind ambitioniert. Zudem wurde in den vergangenen sechs Jahren bereits viel Geld und noch mehr Zeit mit Vorarbeiten vergeudet. Die Konkurrenz auf dem Raketenmarkt zögert jedenfalls nicht: Indien und China wollen künftig eine wichtigere Rolle spielen. Zugleich drängen private US-Unternehmen wie SpaceX mit Kampfpreisen auf den Markt und arbeiten bereits an wiederverwendbaren Raketen.
Die Europäer haben ein weiteres Problem: Zwar soll die Industrie bei der Ariane 6 - ähnlich wie Airbus im Flugzeugbau - erstmals Design, Entwicklung und Betrieb der Rakete in Eigenregie übernehmen. In welchen Ländern die einzelnen Komponenten entwickelt werden, wird aber wie bislang davon abhängen, wieviel Geld die jeweiligen Staaten beisteuern. Das Prinzip hat bereits in der Vergangenheit zusätzliche Kosten und langjährige Verzögerungen verursacht. In Luxemburg soll zudem nur ein vorläufiger Entschluss gefasst werden. Die endgültige Entscheidung über den Bau der Ariane 6 ist, so Wörner, erst für 2016 geplant.
Noch steht der Kompromiss. Deutschland ist ihn auch deshalb eingegangen, um Frankreich und Italien dazu zu bewegen, die Internationale Raumstation ISS weiterhin zu finanzieren. Vor zwei Jahren, in Neapel, hatten sich beide Länder zurückgezogen. Um die ISS zu retten, musste Deutschland seinen Anteil an den europäischen Betriebskosten auf etwa 50 Prozent hochschrauben. Nun soll der Fortbestand der Station in zwei Etappen bis 2020 sichergestellt werden - mit einem deutschen Anteil von 37,5 Prozent. Mehr als ein "Kopfnicken" aus Frankreich und Italien habe er allerdings noch nicht bekommen, so Wörner. "Da wird es sicherlich noch Diskussionen geben."