Astronomische Ausblicke Frostiger Fahrstuhl
Der ferne Jupitermond sieht aus, als hätten ihn gerade Tausende Snowboard- und Monoski-Fahrer heimgesucht: Auf einer jetzt veröffentlichten Detailansicht präsentiert sich Europa als eisige, von zahllosen Kratzern durchfurchte Wüste. Doch an der Aufnahme der Nasa-Raumsonde "Galileo" fasziniert Astronomen weniger das bizarre Spurennetz. Ihr Interesse gilt ausgerechnet den Gruben und rötlich-braunen Malen, die unschön aus dem strahlenden Weiß hervorstechen.
Das Bild
Die Farbansicht der Europa-Kruste, die ein Forscherteam auf einer geologischen Fachkonferenz in Denver vorgestellt hat, verzerrt die wirklichen Dimensionen: Jeder der schmutzigen Flecken ist etwa zehn Kilometer groß. Wie die Astronomen um Robert Pappalardo von der University of Colorado in Boulder annehmen, entstehen die planetaren Pickel durch wärmeres Eis, das aus dem Inneren des Trabanten zur Oberfläche aufsteigt. Damit könnten sie die Lösung eines Problems darstellen, das Wissenschaftler seit einiger Zeit verzweifeln lässt.
Denn die Eiswelt am Jupiter gilt bei der Suche nach außerirdischem Leben als einer der heißesten Kandidaten: Unter der Kruste vermuten Forscher einen Ozean aus geschmolzenem Salzwasser, in dem sich primitive Organismen tummeln könnten, die ähnlich zäh sind wie die Mikroben in den irdischen Polgebieten. Allerdings ist die mutmaßliche Wasserwelt, wie Studien zeigten, von einer möglicherweise über 20 Kilometer dicken Eisschicht bedeckt - selbst Schmelzrobotern dürfte es schwer fallen, in diese Tiefe vorzudringen.
Deshalb, so meinen Pappalardo und Kollegen, könnten sich gerade die unscheinbaren Schmutzstellen auf der Eiskruste als Ziel einer Landesonde empfehlen - unter ihnen verbergen sich womöglich natürliche Fahrstühle für Kreaturen aus der Unterwelt. "Europa funktioniert wie eine planetarische Lavalampe", erklärt Pappalardo, der mit seinen Mitarbeitern derzeit ein genaues Computermodell der Mondkruste entwickelt. "Material von der Oberfläche sinkt nach unten in den Ozean, zugleich könnten Organismen, falls sie dort existieren, nach oben getragen werden."
Über eine Satellitenmission zum Jupitermond wird bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa bereits nachgedacht. Der "Europa Geophysical Explorer", der sich allerdings erst in einer sehr frühen Konzeptionsphase befindet, könnte innerhalb der nächsten zehn Jahre aufbrechen. Zu den Aufgaben des Orbiters würde gehören, nach Anzeichen für den vermuteten unterirdischen Ozean zu suchen. Außerdem könnte er von der Umlaufbahn aus die Eiskruste beobachten - und nach geeigneten Landeplätzen für mögliche spätere Missionen Ausschau halten.
Die Kamera
Die jetzt vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa herausgegebene Aufnahme ist aus Fotos zusammengesetzt, die "Galileo" bereits 1996 und 1998 bei zwei Vorbeiflügen an Europa geschossen hatte. Die altersschwache Raumsonde, die den Jupiter vor sieben Jahren erreichte, ist noch immer im Einsatz. Allerdings nicht mehr lange: Am 5. November soll sie den kleinen Mond Amalthea inspizieren, dann geht es auf die letzte Runde um den Gasriesen. Ende 2003 wird der Weltraum-Veteran kontrolliert in die Jupiterhülle stürzen - aus Rücksicht auf einen möglichen Ozean auf Europa, der durch einen versehentlichen Sondenaufprall verunreinigt werden könnte.
Martin Paetsch